Die (extrem) rechte Renaissance des Wanderns

Seit Jahren erlebt das Wandern in der extremen Rechten eine Renaissance. Inzwischen sind Wanderungen ein fester Bestandteil der extrem rechten Lebenswelt. Dieser Artikel von Timo Büchner beleuchtet die Fragen, wer in dieser Szene wandert und warum.

Timo Büchner studierte Politische Wissenschaften und Jüdische Studien in Heidelberg. Er recherchiert zur extremen Rechten in Baden-Württemberg sowie zur Musik der extremen Rechten.
 

Von AfD bis Der Dritte Weg

Unter den (extrem) rechten Organisationen, die Wanderungen machen, sind drei Typen zu beobachten. Der erste Typ umfasst Organisationen, in denen das Wandern ein Bestandteil des politischen Aktivismus darstellt. Es sind insbesondere Parteien und deren Jugendorganisationen: die Alternative für Deutschland (AfD) und die Junge Alternative, Die Heimat, ehemals Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die Jungen Nationalisten sowie Der Dritte Weg (vor allem die AG Körper & Geist) und die Nationalrevolutionäre Jugend. Ein Beispiel liefert die jährliche „Wanderung der Vögte“ vom „Stützpunkt Vogtland“ der Partei Der Dritte Weg.

Dieser Artikel ist Teil der Handreichung "Die extreme Rechte und Menschenfeindlichkeit in der Umweltbildung", die im Jahr 2023 von der NaturFreunde-Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) herausgegeben wurde. FARN identifiziert rechtsextreme und menschenverachtende Ideologien und Denkmuster im Natur- und Umweltschutz und erarbeitet menschenbejahende und demokratiefördernde Gegenentwürfe.
www.nf-farn.de

Der zweite Typ umfasst Organisationen, in denen das Wandern ein integraler Bestandteil des politischen Aktivismus darstellt. Es sind vornehmlich Organisationen einer neuen Generation junger Neonazis. Beispiele: Aktionsblog (2016–2021) aus Mecklenburg-Vorpommern, Junge Revolution (2019–2021) aus Baden-Württemberg und Thüringen, Junge Tat (2019 bis heute) aus der Schweiz und Werra Elbflorenz (2019 bis heute) aus Sachsen. Die Organisationen bestehen im Wesentlichen aus jungen Männern zwischen 16 und 30 Jahren. Die Männer sind gewaltaffin und machen Kampfsport. Sie verschmelzen die Ideologie des Nationalsozialismus mit dem Vokabular der Identitären. Im Mittelpunkt steht ein biologistischer Identitäts- und Kulturbegriff.

Von Aktionsblog bis Werra Elbflorenz

Die extrem rechte Kameradschaft Werra Elbflorenz wurde von ehemaligen Mitgliedern der Freien Kameradschaft Dresden und der Identitären Bewegung Dresden gegründet. Die Kameradschaft führte anlässlich der Gründung ein Kampfsporttraining und eine Wanderung in der Sächsischen Schweiz durch. 2020 besuchte Werra Elbflorenz die Neonazi-Kameradschaft Aktionsblog (bzw. Nationale Sozialisten Rostock) in Mecklenburg-Vorpommern. Die beiden Kameradschaften hatten, wie Werra Elbflorenz via Telegram schrieb, ein „Wochenende im Sinne der Gemeinschaft“. Stolz berichtete ein Neonazi des Aktionsblogs im Interview mit der extrem rechten Zeitschrift N.S. Heute: „Gemeinsam haben wir […] das Wochenende mit zwei Sporteinheiten und einer Wanderung an der Ostsee verbracht, alkoholfrei und bei einer komplett veganen Versorgung von uns allen.“

Die extrem rechte Kameradschaft Junge Tat wurde von ehemaligen Mitgliedern der Eisenjugend und der Nationalen Jugend Schweiz gegründet und ist Teil der Nationalen Aktionsfront. Sie ist mit Neonazis aus Süddeutschland vernetzt. Beispielsweise machten Mitglieder der Jungen Tat und der Jungen Revolution am 7. Juni 2021 eine Wanderung in den Schweizer Bergen. Es nahmen rund 25 Menschen teil. Nach der Wanderung veröffentlichte die Junge Tat via Telegram mehrere Fotos und schrieb: „Der Schweiss rinnt die Stirn herunter, die Beine werden schwer, die Luft ist bei dir und deinen Kameraden knapp. Schritt für Schritt erklimmt ihr den Berg. Diese Momente der Kameradschaft und des Kraftaufwandes, schmieden Zusammenhalt und stärken den Willen.“

Die Organisationen werden wegen antisemitischer, rassistischer Aktionen und nicht zuletzt wegen der enormen Gewaltaffinität mit staatlicher Repression konfrontiert. In der Vergangenheit fanden Hausdurchsuchungen gegen Mitglieder der Jungen Tat und der Jungen Revolution statt. Die Junge Tat verkündete am 20. Januar 2021 via Telegram: „Die Repressionen seitens des Staatsapparates adeln unsere Mitstreiter […]. Wir machen weiter und stehen hinter den verhafteten Kameraden und Freunden!“ Die Junge Revolution hingegen gab 2021 ihre Auflösung bekannt. Der Aktionsblog und sein Kampfsport-Ableger Baltik Korps wurden 2021 durch das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns verboten.

Von Sturmvogel bis Wanderfalken

Der dritte Typ umfasst Organisationen, in denen das Wandern ein Kernbestandteil des politischen Aktivismus darstellt. Das sind völkische Organisationen wie Der Freibund und Sturmvogel – Deutscher Jugendbund. Sie stehen in der Tradition der Hitlerjugend, Wiking-Jugend und Heimattreuen Deutschen Jugend und machen Wanderungen im Rahmen von Fahrten und Zeltlagern. Das sind neurechte Organisationen wie die Deutschen Wanderfalken und die Wanderjugend Schwaben. Sie stammen aus dem Umfeld der Identitären Bewegung und sind im Zuge des Deplatforming der Instagram-Kanäle der Identitären Bewegung im Jahr 2018 entstanden. Diese Organisationen veranstalten ausschließlich Wanderungen.

Die meisten Organisationen, die wandern gehen, veröffentlichen Fotos und/oder Kurzvideos der Wanderungen in den sozialen Netzwerken (vor allem Instagram und Telegram). Sie zeigen eindrucksvolle Bilder der Natur. In der Regel werden die Fotos/Kurzvideos durch ideologische Botschaften und Parolen ergänzt. Durch die sozialen Netzwerke wird eine simple Wanderung zur öffentlichkeitswirksamen politischen Aktion. Das haben die Organisationen durchaus von den Aktionen und der Social-Media-Kommunikation der Identitären Bewegung gelernt. Insofern sollten Wanderungen in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Die Social-Media-Posts sollen Jugendliche ansprechen. Dass Instagram ein wichtiges Instrument ist, um Jugendliche zu erreichen, hat nicht zuletzt die CORRECTIV-Reihe „Kein Filter für Rechts“ verdeutlicht.

„Ein starker Bund wird zelebriert“

Das Wandern schafft Gemeinschaft und Zusammenhalt. Meist werden die Gemeinschaftsgefühle, die in der Wandergruppe geweckt werden, in Social-Media-Posts überhöht. Der Aktionsblog schrieb am 28. Januar 2021 via Telegram: „Das Gefühl in einer wachsenden Gemeinschaft aufzugehen, wird in unseren Reihen Realität. Ein starker Bund wird zelebriert durch gemeinsame Aktivitäten, fernab vom Alltag. Um nicht nur seine Heimat und sich selbst besser zu ergründen, sondern auch denjenigen, mit dem man tagaus tagein für die Wahrheit streitet.“

Die Gemeinschaft, die im Kleinen erzeugt wird, wird auf das Große übertragen. So schrieben die Jungen Nationalisten am 10. März 2022 unter dem Titel „Berliner JN startet mit der Wandersaison“: „Gerade in den vergangenen zwei Jahren setzte der Staat auf Abschottung, Vereinsamung und Egoismus. […] Gerade uns als Nationalisten ist Gemeinschaft wichtig – nicht umsonst wollen wir, dass unser Volk wieder näher zusammenrückt und setzen der aktuellen Ellenbogengesellschaft unsere Vorstellung einer Volksgemeinschaft entgegen.“

#WandernBleibtDeutsch?

Das Wandern ist Ausdruck eines antagonistischen Weltbildes. Einerseits die liberale Moderne, die technisierte Globalisierung, der dekadente Hedonismus, die „überfremdete“ Großstadt. Andererseits das Anti-Moderne, Natürliche, Ursprüngliche im Ländlichen und im Wald. 2009 thematisierte die JN-Zeitschrift Der Aktivist die Frage, warum das Wandern unter deutschen Jugendlichen so unbeliebt ist. Die Antwort lautete, heutzutage sei der „Geist“ des Volkes „mehr und mehr entartet“. Die Ursache der „Entfremdung“ liege im Wandel der äußeren Einflüsse („natürlicher Raum, der Staat, die Politik und die Medien“). Die äußeren Einflüsse hätten sich „insbesondere mit der Hinwendung zur Demokratie und dem Kapitalismus prägnant gewandelt.“ Die Einschätzung, die „deutsche Jugend“ sei durch Drogen, Netflix & Co. verdorben, wird bis heute in Social-Media-Posts verbreitet.

Das Wandern wird als Teil der nationalen Identität und Kultur begriffen. Am 7. November 2021 machte die Junge Tat eine Wanderung im Kanton Glarus. Nach der Wanderung veröffentlichte die Schweizer Kameradschaft ein Kurzvideo. Das Video beginnt mit Wanderszenen und den Worten: „Wandern, eine Tradition tief verankert in unserem Kulturraum. Das Erklimmen eines Berges, das Streben nach einem Ziel, die Freude am Prozess, also am Wandern selbst, die Freude an der Tat selbst.“

Der Akt des Wanderns knüpft an die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik, an den Wandervogel aus dem späten 19. Jahrhundert, an die Bündische Jugend, eine völkische Jugendbewegung aus dem frühen 20. Jahrhundert, und an die Hitlerjugend aus dem Nationalsozialismus an. Nicht umsonst nutzte Werra Elbflorenz das Hashtag #WandernBleibtDeutsch, um ihren Wandertag vom 21. August 2021 in der Sächsischen Schweiz zu bewerben.

Timo Büchner

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der FARN-Handreichung "Die extreme Rechte und Menschenfeindlichkeit in der Umweltbildung".