Ein Standpunkt von Lukas Nicolaisen, Leiter der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)
Stellt euch vor, ihr seid Mitglied in einem Verband, der sich einsetzt für Solidarität und soziale Gerechtigkeit – zum Beispiel die NaturFreunde. Wie bei anderen Verbänden trefft ihr auch hier ganz unterschiedliche Menschen. Ihr nehmt aber an, dass bei all dieser Unterschiedlichkeit immer die gemeinsamen Werte Solidarität und soziale Gerechtigkeit vertreten werden.
Stellt euch weiterhin vor, ihr erfahrt von folgenden Ereignissen: Für eine Veranstaltung wurde eine Dienstleistung von einem Unternehmen gekauft, das einer Rechtspopulistin gehört. In euren Vereinsräumen fand regelmäßig der Stammtisch einer rechtsextremen Partei statt. Ein Mitglied eures Verbandes kandidierte für eine rechte Partei auf kommunaler Ebene und sah offenbar keinen Widerspruch darin, zeitgleich Mitglied in eurem Verband zu sein.
Diese Fälle sind real und sie geschehen jetzt. Bei den NaturFreunden wie auch bei anderen Verbänden. Das liegt daran, dass sich das gesellschaftliche Klima in Europa ändert. Sozialwissenschaftler* innen beschreiben diese Veränderung als „Radikalisierung der Mitte“.
Wir müssen anfangen, darüber zu sprechen. Denn die Zeit, in der wir davon ausgehen konnten, dass alle das Gleiche meinen, wenn sie Solidarität und soziale Gerechtigkeit sagen, ist vorbei. „Besorgte Bürger“ tragen deutschlandweit Transparente, auf denen eben diese Begriffe stehen. Rechte Gruppierungen propagieren: „Solidarität ist eine Waffe“. In Grundsatzprogrammen rechtsextremer Parteien finden sich Forderungen nach Bildungs- und Verteilungsgerechtigkeit. Aber diese Solidarität gilt den „Volksdeutschen“, den „Unentarteten“, den Leistungsstarken. Von sozialer Gerechtigkeit sollen nur sie selbst und „ihresgleichen“ profitieren.
Es ist wichtig, gemeinsame Werte nicht nur in einem Leitbild zu haben, sondern zu leben. Wir müssen darüber sprechen, was Solidarität und soziale Gerechtigkeit für NaturFreund*innen bedeuten. Wir müssen klarstellen, dass „naturfreundliche“ Solidarität nicht an nationalstaatlichen Grenzen endet, dass sie nicht gebunden ist an Religionszugehörigkeit, Geschlecht, Bildung oder Hautfarbe. Wir müssen für die gerechte Verteilung von Rechten, Ressourcen und Möglichkeiten eintreten.
Und neben Worten müssen Taten folgen, selbst dann, wenn sie unbequem sind. Wir müssen Position beziehen. Das wird unter anderem bedeuten, einige Menschen nicht (mehr) willkommen zu heißen, sie nicht teilhaben zu lassen an der NaturFreunde-Gemeinschaft, ihnen keinen Raum zu bieten, nicht mit ihnen zusammen zu arbeiten und auch keine Bündnisse mit ihnen einzugehen.
Lukas Nicolaisen
Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)