Berg frei in unfreien Zeiten? - NaturFreund*innen im Nationalsozialismus

90 Jahre Verbot und Verfolgung der NaturFreunde

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Am 21. März 2023 organisierten die Stärkenberatungsprojekte aus Brandenburg, Thüringen und Sachsen eine Online-Veranstaltung anlässlich der Aktionstage „90 Jahre Verbot und Verfolgung der NaturFreunde“. In diesem Zusammenhang sollten NaturFreund*innen motiviert werden, sich mit der eigenen Ortsgruppengeschichte auseinanderzusetzen oder bereits erarbeitetes historisches Material vorzustellen.

Zu Beginn der Veranstaltung gab es einen kurzen Input „1933: Lokale Auswirkungen des Verbots der NaturFreunde“, welcher auf den Ausarbeitungen von dem NaturFreund und Historiker Klaus-Dieter Groß basierte. Bereits 38 Jahre nach der Gründung der NaturFreunde, am 17. Juni 1933, wurde der Verein als marxistische Organisation eingestuft, was die Grundlage für das reichsweite Vereinsverbote darstellte. Der Umgang mit dem Vereinsverbot stellte sich unterschiedlich dar, einige NaturFreund*innen in Opposition übten Widerstand, wie im Grenzgebiet in der sächsischen Schweiz und der Tschechoslowakei, indem sie unter anderem geflüchtete Menschen unterstützten. Einige Ortsgruppen versuchten das Vereinsverbot aber auch mit Namensänderungen oder den Übertritt in eine bestehende Organisation, wie den Fränkischen Albverein, zu umgehen.

Einen genaueren Blick in die Geschichte erhielten wir im Anschluss durch den Vortrag von Karsten und Charlotte aus dem Landesverband Brandenburg. Diese berichteten über das Jugendgeschichtsprojekt „Lost places“ der NaturFreunde Brandenburg, eine bewegte Geschichte. Der Fokus in diesem Projekt liegt in der Erforschung von NaturFreunde-Orten, also Häusern, Hütten und Ferienanlagen: Welche Funktion hatten diese Gebäude und was ist heute noch von ihnen übrig? Mithilfe von Nachlässen von NaturFreund*innen, Besuchen in Stadtarchiven und Inventarlisten wird „verschwundenen Orten“ ein Gesicht gegeben, mit Fokus auf die Zeit der Enteignung der Naturfreundehäuser.

Luise aus der Ortsgruppe Eisenach nahm uns anschließend auf die Reise über das Naturfreundehaus in Eisenach, welches 1932 durch ehrenamtliche Arbeit der Ortsgruppe erbaut wurde. Dieses wurde in der Anfangszeit als Wanderquartier für junge NaturFreund*innen genutzt, bis es bereits 1933 von der NSDAP zwangsenteignet wurde. Schließlich wurde das Haus von 1939 bis 1944 zur Unterkunft für die SS-Bauleitung und das Wachpersonal veruntreut, welche den Bau einer Autobahn mit Zwangsarbeiter*innen überwachten. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam es noch nicht zur Wiedergründung der NaturFreunde, da der Verein in der DDR in den Kulturbund sowie Betriebssportgemeinschaften eingegliedert wurde. Von 1948 bis 1999 wurde das Haus vorwiegend als Wohnraum für Arbeiter*innenfamilien des Automobilwerks genutzt. Rückführungsansprüche von Seiten der NaturFreunde wurden erst im Jahr 1992 gestellt. Nach der Renovierung des NaturFreundehauses wird es heute für zahlreiche Aktivitäten, wie Sprachkurse für Migrant*innen, genutzt.

Im Anschluss daran stellte Ina aus dem Landesverband Sachsen die Geschichte des Naturfreundehauses in Königstein vor. Dieses Gebäude wurde ehemals als Fahrrad- und Nähmaschinenfabrik genutzt, bis es 1927 offizielle als Naturfreundehaus eingeweiht wurde. Am 10. März 1933 begann das dunkle Kapitel des Naturfreundehauses. Nachdem das Haus enteignet wurde, missbrauchte es die NSDAP als eines der ersten Konzentrationslager in Deutschland für Mitglieder von KPD, SPD, SAP und anderer linker Parteien, Organisationen und Gewerkschaften sowie für Jüd*innen und „Ausländer*innen“. Die Inhaftierten wurden auf brutalste Art gefoltert, gedemütigt und teilweise bis zum Tod oder Suizid gequält, wie Tagebucheinträge des Überlebenden Max Tabaschnik bezeugen. Heute erinnert ein Gedenkstein am Naturfreundehaus in Königstein an die unmenschlichen Gräueltaten der Nazis.

Nach einer kurzen Pause startete eine angeregte und spannende Diskussion: Wieso haben die Ortsgruppen in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland nur noch so wenige Naturfreundehäuser? Gibt es Versuche „verloren gegangene“ Naturfreundehäuser wieder in den Besitz des Verbandes zu bringen? Aber es gab auch einen kritischen Hinweis zur Widerstandsarbeit der NaturFreund*innen im Nationalsozialismus: Besonders NaturFreund*innen, die aus dem Verband ausgeschlossen wurden, zumeist aufgrund ihrer kommunistischen Einstellung, und/oder sich in der NaturFreunde-Opposition neu gruppierten, leisteten aktiv Widerstand. Dieser Umstand war in der Diskussion sehr präsent und wurde intensiv diskutiert.

Ihr habt die Veranstaltung verpasst oder seid neugierig geworden? Ihr könnt euch die Aufzeichnung zur Veranstaltung unter folgendem Link auf YouTube ansehen: „Berg frei in unfreien Zeiten?“ (1:43 Std.).

Die Projekte der Stärkenberatung werden gefördert durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat im Rahmen des Bundesprogramms "Zusammenhalt durch Teilhabe".