„Der ‚Green Deal‘ ist Europas Zukunft“

Wie die SPD-Europapolitikerin Delara Burkhard die Entwicklungspläne der EU bewertet

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Ende 2019 stellte die neue EU-Kommission ihren „European Green Deal“ vor. Was hat es damit auf sich?

Delara Burkhard: Beim „Green Deal“ geht es um eine neue Art des Wirtschaftens, eine Wirtschaft, die vom Kohlendioxid-Ausstoß, vom Verbrauch von Rohstoffen und vom Raubbau an der Natur entkoppelt ist. Dieser Plan verfolgt durchaus ambitionierte Ziele.

Wie soll das gelingen?

Ich sehe drei Hauptprojekte innerhalb des Green Deals. Erstens das EU-Klimagesetz, mit dem die EU bis spätestens 2050 klimaneutral werden soll – und damit verbunden eine Erhöhung des EU-Klimaziels für 2030.

Zweitens gibt es den Kreislaufwirtschaftsaktionsplan mit Gesetzesvorschlägen, um Rohstoffe länger im Produktkreislauf zu halten, Müll besser wiederzuverwerten oder besser noch, zu vermeiden. Denken wir zum Beispiel an Recyclingquoten, Einwegplastikverbote oder ein Recht auf Reparatur.

Die frühere stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Delara Burkhard (27) ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments, wo sie unter anderem im Umweltausschuss mitarbeitet. Delara ist auch Mitglied der NaturFreunde Ahrensburg.

Und drittens gibt es die neue EU-Artenschutzstrategie mit Zielen zur Ausweitung von Naturschutzflächen, zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme, der Reduktion von Chemikalien in der Umwelt und einer naturverträglicheren Landwirtschaft. Wobei gerade im Bereich der Landwirtschaft noch viel mehr passieren müsste. Die EU-Landwirtschaftspolitik muss weg vom Prinzip der Förderung nach Fläche, hin zur Förderung von Landwirt*innen, die mehr für den Klima-, Naturund Artenschutz tun.

Seit 2008 durchlief die EU eine Polykrise aus Finanz- und Währungskrise, Migration und Brexit. Zur Bewältigung wurde stets dem Wirtschaftswachstum oberste Priorität eingeräumt, während Umweltschutz auf der Agenda nach unten rutschte. Kommt es diesmal anders?

Ich denke schon. Es hilft der Druck der Straße, der sich mit Bewegungen wie „Fridays for Future“ aufbaute. Dieser Druck ist bei den meisten Politikerinnen und Politikern angekommen.

Das war vor der Corona-Pandemie. Jetzt geht es aber wieder um Krisenbewältigung.

Viele – auch ich – haben befürchtet, dass die durchaus ambitionierten Ziele nun in der Krise geschliffen werden würden. Natürlich gab es einige konservative Stimmen, die forderten, dass jetzt nicht mit der „Klimakeule“ auf die europäische Wirtschaft eingehauen werden dürfe – auch aus CDU und CSU. Aber diese Stimmen sind in der Minderheit.

Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission, hat schnell klargemacht, dass am „Green Deal“ nicht gerüttelt wird. Und er hat Taten folgen lassen, als er mitten in der Krise die neue EU-Artenschutzstrategie vorgestellt hat, die sich wirklich sehen lassen kann. Auch aus der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament gibt es das klare Bekenntnis, an hohen klima- und umweltpolitischen Ambitionen festzuhalten.

Trotzdem werden gerade unvorstellbare Summen in Konjunkturpakete investiert.

Für mich ist klar: Der „Green Deal“ ist Europas Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Er muss die Leitlinie und das Herzstück des Wiederaufbauprogramms für Europa sein und gleichzeitig zu einem Impulsgeber für die sozial-ökologische Wende auf unserem Kontinent werden.

Wie wollen Sie das sicherstellen?

Ich sehe vier Anforderungen an das europäische Wiederaufbauprogramm: Erstens muss die wirtschaftliche Erholung regulatorisch mit Rahmenbedingungen, Standards und Zielvorgaben begleitet werden. Daher dürfen Initiativen des „Green Deals“ nicht verzögert werden. Ambitionsniveaus des „Green Deals“ dürfen nicht herabgesetzt werden.

Zweitens sollte ein fester Betrag der Konjunkturpakete für nachhaltige Projekte vorgesehen sein, die an bestimmte Nachhaltigkeitskriterien gebunden sind. Drittens sollte das Prinzip des „do-no-harm“ verankert werden, also dass kein einziger Euro der Rettungspakete den Zielen des „Green Deals“ entgegenwirken darf. Und viertens muss auch der normale EU-Haushalt konsequent auf den „Green Deal“ ausgerichtet werden.

Aber das ist in den Konjunkturpaketen doch nicht berücksichtigt?

Leider, mir sind die bisherigen Vorschläge für das EU-Wiederaufbauprogramm und den EU-Haushalt nicht ambitioniert genug. Die Nachhaltigkeitskriterien sind sehr vage formuliert und können umlaufen werden, wenn zum Beispiel verstärkt in Digitalisierung investiert wird. Für Insolvenzhilfen mit EU-Geldern spielen Nachhaltigkeitsanforderungen sogar nur einen empfehlenden Charakter in den derzeitigen Vorschlägen. Und im EU-Haushalt sollen nur 25 Prozent der Mittel für Klimaschutz veranschlagt werden und kein eigener Posten für Artenschutz. Hier fordern wir Sozialdemokrat*innen mindestens 30 Prozent für Klimaschutz und 10 Prozent für Artenschutz. Ich hoffe, dass da im Gesetzgebungsverfahren in den Verhandlungen noch Nachbesserungen erzielt werden können.

Deutschland und Frankreich verfolgen mit Milliardenprogrammen eine Wasserstoffstrategie. Wenn man Wasserstoff ökologisch herstellen will, dann braucht man Windkraft und Sonnenenergie im Überfluss. Davon sind wir sehr weit entfernt. Wie sehen Sie den Ansatz?

Grüner Wasserstoff, also Wasserstoff, der mit Hilfe von Erneuerbaren entsteht, wird eine ganz wichtige Rolle in der sozial-ökologischen Transformation einnehmen. Besonders in Bereichen, in denen die Elektrifizierung schwierig ist, wird grüner Wasserstoff wichtig, etwa bei der Stahlherstellung. Aber dafür muss der Anteil Erneuerbarer noch deutlich steigen im Strommix.

Was muss passieren?

Auf Drängen der SPD haben CDU/CSU in Deutschland endlich ihre Blockade zur Hebung des Solardeckels und zur Lockerung der Abstandsregeln für Windkrafträder aufgegeben. Damit gibt es Hoffnung, dass der deutsche Ausbau erneuerbarer Energien wieder Fahrt aufnimmt. Aus der EU werden nächstes Jahr wahrscheinlich Impulse kommen, die die Bundesregierung dazu bringen werden, noch einmal nachzulegen. Dann will die Europäische Kommission ein höheres Ziel für Erneuerbare vorschlagen, um die ambitionierteren Klimaziele der EU für 2030 und 2050, die gerade diskutiert werden, erreichen zu können.

Interview: Hans-Gerd Marian