Der missverstandene Pflanzenschutz

Immer mehr Gartenbesitzer verzichten auf Pestizide – die Landwirtschaft aber nicht

Wo das "Pflanzenschutzmittel" Glyphosat verspritzt wird, entstehen ökologische Wüsten.
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Insgesamt 123.203 Tonnen chemisch-synthetische Pflanzenbehandlungsmittel gelangten 2015 auf deutsche Felder – mit immer verheerenderen Auswirkungen für Mensch und Umwelt.

Diese sogenannten Pestizide vernichten außer der Anbaupflanze fast alle Wildkräuter und Insekten. Damit entziehen sie vielen Tierarten die Nahrungsgrundlage und gelten aktuellen Forschungsergebnissen verschiedener Fledermaus- und Pestizidexperten zufolge als eine der Hauptursachen für den Rückgang der Fledermäuse und der Bienen. Dies nicht allein wegen des Nahrungsmangels. Die Gifte reichern sich auch in den Tieren an und schwächen sie oder ihren Nachwuchs.

Alarmierend ist zudem, dass zunehmend Pestizid-Rückstände im Grundwasser und damit auch im Trinkwasser gefunden werden, Chemikalien wie Bentazon, Isoproturon oder Chloridazon zum Beispiel. Für Wasserwerke steigen der Reinigungsaufwand und die Kosten. Durch Fernverwehung über mehrere Kilometer gelangen Pestizide auf benachbarte Öko-Anbauflächen, in die Natur und auch in die Gärten der Wohngebiete. Zunehmend werden „Insektizide“ als ein möglicher Verursacher der Parkinson-Erkrankung diskutiert, die in Frankreich als Berufskrankheit für Landwirte anerkannt ist.

Die NaturFreunde fordern
  Pestizid-Verbot für Privatanwender
■  keine Pestizide in Natura-2000-Gebieten
  keine Pestizide auf ökologischenVorrangflächen
  effektive Pestizid-Reduktionsprogramme für die Landwirtschaft
  Erhöhung der Kontrollen, Sanktionen bei Verstößen
  Reform des Zulassungsverfahrens
  Steuern/Abgaben auf Pestizide

8,8 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar

Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) werden in der Bundesrepublik jedes Jahr 8,8 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar Fläche eingesetzt – ein Spitzenwert in Europa. Doch dafür sind nicht nur Landwirte verantwortlich, auch Kleingärtner beteiligen sich: Statistisch gesehen war in den 90er-Jahren jeder von ihnen für ein Kilogramm Pestizide pro Jahr verantwortlich.

Immerhin verzichten mittlerweile immer mehr Gartenbesitzer auf den Einsatz von Pestiziden, so eine bundesweite Befragung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus dem Jahr 2016. Heute liegt ihr Beitrag bei unter einem halben Kilogramm pro Hektar.

Auch Baumärkte setzen auf Alternativen. „Es geht auch ohne Chemie“ heißt es im aktuellen Magazin von „Bauhaus“, welches für „Hitze statt Spritzmittel“ wirbt und Vlies-Abdeckungen, Hacken und rückenfreundliche Unkrautstecher empfiehlt. In den Kommunen sind Pestizide auf öffentlichen Flächen bereits seit Jahren verboten. Warum also diese Mittel außerhalb der Landwirtschaft nicht gleich ganz verbieten?

Frankreich hat diesen Schritt bereits im Jahr 2014 eingeleitet. Demnach sind dem französischen Staat, Lokalbehörden und öffentlichen Einrichtungen verboten, Pestizide zu nutzen. Für Friedhöfe und Sportplätze gelten Ausnahmeregelungen. Ab Januar 2019 wird es in Frankreich zudem verboten sein, Pflanzenschutzmittel an Amateurgärtner zu verkaufen. Die meisten Pestizide gelangen zwar in der Landwirtschaft zur Anwendung. Dennoch gehen die Behörden von einer Senkung der Chemieanwendung durch ein Verbot in Frankreichs Gärten von immerhin zehn Prozent aus.

Was der größte Pestizid-Anwender Europas vormacht, sollte für alle Mitgliedsstaaten möglich sein, dachte sich zumindest der zuständige grüne Senator Joël Labbé in Frankreich. Ende März 2017 stellte er einen Antrag an die EU, in ganz Europa die Nutzung von Pestiziden außerhalb der Landwirtschaft zu verbieten. Andere EU-Staaten handeln ebenfalls. Belgien, Luxemburg und die Niederlande setzten sich ähnliche Ziele, Wallonien ist seit 2015 pestizidfreies Gebiet – mit einigen Ausnahmen, die jedoch 2019 auslaufen.

Der Pestizid-Verbrauch steigt

Runder Tisch Pestizide

Bundesweit gelangen viel zu viele chemisch-synthetische Pflanzenbehandlungsmittel in die Umwelt. Vom Pestizid-Einsatz ist Schleswig-Holstein besonders stark betroffen. Dabei werden Pestizide viel zu oft unnötig eingesetzt. Die NaturFreunde Schleswig-Holstein wollen mit ihrem Projekt „Beiträge zur Reduktion des Pestizideinsatzes“ Politik und Anwender für diesen Missstand sensibilisieren und Möglichkeiten zur Verringerung aufzeigen. Schwerpunkt des Projektes ist ein „Runder Tisch“, der Fachleute, Organisationen und Interessierte vernetzt, gemeinsame Aktionen plant und Forderungen an die Politik formuliert.

Rückfragen: NaturFreunde Schleswig-Holstein ∙ Projektleitung ∙ Dipl. Biol. Angelika Elak ∙
(0431) 98 28 29 95 ∙ angelika.elak@naturfreunde-sh.de

Mit dem „Nationalen Aktionsplan zur Reduzierung des Pestizideinsatzes“ aus dem Jahr 2013 schreibt auch der deutsche Gesetzgeber der Landwirtschaft eine Reduktion des Pestizideinsatzes vor – leider eine Luftnummer. Konkrete Vorgaben, wie viel bis wann reduziert werden muss, fehlen. Statt einer Pestizid-Reduktion ist der Verbrauch sogar noch gestiegen.

Dabei zeigt eine aktuelle französische Studie, dass die Erträge selten leiden, wenn an Chemie gespart wird. Eine Ursache liegt beim Zulassungsverfahren. Die Pestizidindustrie selbst forscht für die Zulassung ihrer eigenen Produkte. Für ihre Unterlagen bei den Behörden ist Geheimhaltung vereinbart. Hier bedarf es einer grundlegenden Reform, die dem Stand der Wissenschaft Rechnung trägt und eine von Herstellerinteressen unabhängige Bewertung sicherstellt.

Wie drängend das Problem ist, zeigen nicht allein der Verlust der biologischen Vielfalt auf und neben dem Acker sowie die Gewässerbelastungen. Bei einer Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von Anfang April fanden Lebensmittelprüfer in 47 Prozent aller herkömmlichen Nahrungsmittelproben aus der EU, Norwegen und Island Pestizidrückstände. Nicht einmal mehr die Ökoprodukte sind pestizidfrei: 14 Prozent aller Proben enthielten Pestizide, und das, obwohl Ökobauern selbst auf den Einsatz von Pestiziden verzichten.

Ina Walenda
NaturFreunde Schleswig-Holstein