Der vergessene Genozid der Deutschen

Vor 130 Jahren wurde die Kolonie Deutsch-Ostafrika offiziell gegründet

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Ab jetzt war der Kilimandscharo höchster Berg Deutschlands: Vor 130 Jahren, am 1. Januar 1891, wurde per kaiserlichem Dekret das Gebiet des heutigen Tansanias, Burundis und Ruandas deutsche Kolonie. Und zwar die Größte: doppelt so groß wie das damalige Deutsche Reich. Trotzdem lebten selbst in der Hochzeit kaum mehr als 5.000 Deutsche in dem Gebiet. Drei Viertel aller Deutschen in Deutsch-Ostafrika waren Männer, darunter auch Hans Meyer (Meyers Konversations-Lexikon), der 1889 den Kilimandscharo als erster weißer Mensch bestieg und ihn „Kaiser-Wilhelm-Spitze“ taufte. Der Berg hieß dann noch bis 1964 so.

Bis zum 1. Januar 1891 war die Gegend am Äquator eine Privatkolonie: Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft demonstrierte unter der Leitung von Carl Peters den Einheimischen, was das Maschinengewehr „Maxim“ damals schon konnte – 500 Schuss pro Minute abfeuern. Dann boten Peters und seine Leute den Stammesältesten „Schutzverträge“ an. Und die übertrugen im Gegenzug zum Schutz vor Sklavenhändlern Land des jeweiligen Volkes auf die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG). So war ein beträchtliches Gebiet in Privatbesitz gekommen. Als sich die Einheimischen 1889 gegen die brutalen Methoden der Deutschen zur Wehr setzten, mussten deutsche Marinesoldaten eingesetzt werden. Das war für den Kaiser dann der Anlass, den Privatspuk der DOAG zu beenden.

In Tanga und Daressalam errichteten die Deutschen die damals modernsten Städte Afrikas an der Ostküste. Von dort aus trieben sie Eisenbahn-Trassen ins Landesinnere, die ersten Eisenbahnen in Zentralafrika. Es entstanden moderne Krankenhäuser – Robert Koch erforschte in Tanga die Malaria –, Telegrafenlinien, evangelische Missionsstationen.

Ausmaß der Gewalt und Ausbeutung wenig dokumentiert

Die Idee war freilich, Land und Leute auszubeuten: Elfenbein, Kokosnüsse, Kautschuk, Sisal, Sesam oder Kaffee wurden nach Deutschland exportiert und die Einheimischen mit Hungerlöhnen abgespeist. Das bekannteste Exportgut aus dieser Zeit dürfte das Usambara-Veilchen sein, ein Gewächs, das in den Usambara-Bergen gefunden und später gezüchtet wurde. Allerdings ging die Ausbeutung nie auf für Deutschland: Der Staat zahlte stets mehr zur Unterhaltung seiner Kolonie, als er – genauer: seine Konzerne – aus dem Land herausholen konnte.

In Deutsch-Ostafrika waren nicht einmal die Soldaten Deutsche: Für die „Kaiserliche Schutztruppe“ wurden bis zu 2.500 „Askaris“ angeheuert – Sudanesen, Ägypter oder Zulus; das Swahili-Wort bedeutet „Wächter“ oder „Krieger“. Aus Deutschland wurden lediglich die Offiziere geschickt, zur Ausbildung und Führung.

Der Drill war preußisch, die Askaris waren die wichtigste Unterdrückungswaffe der Deutschen. Obwohl sie vielen Stämmen in der Kolonie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen waren, behielten die Askaris dank ihrer Maxim-Maschinengewehre stets die Oberhand.

Während die Greuel der Deutschen in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, recht gut dokumentiert sind, ist Deutsch-Ostafrika diesbezüglich noch ein blinder Fleck. Wer kennt schon den Maji-Maji-Genozid, in dem unsere Vorfahren ungefähr 200.000 Menschen umbringen ließen. Auf dem südlichen Gebiet des heutigen Tansanias wurden ganze Völker ausgerottet. Nach dem Ersten Weltkrieg war dann Schluss mit Deutsch-Ostafrika: Großbritannien übernahm dis Kolonie im Mandat des Völkerbundes.

Nick Reimer