"Der Verkehr ist im Klimaschutz eine besondere Schwachstelle"

Interview mit dem Mobilitätsforscher Professor Stephan Rammler

Herr Rammler, Sie begründen in Ihren Büchern wie auch in Interviews sehr pointiert, dass unsere Mobilität und unser Mobilitätsverhalten nicht nachhaltig sind. Wo stehen wir denn in Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit?

Nicht besonders weit. Ich sehe eine gesamtgesellschaftliche Fehleinschätzung. Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir unsere Bemühungen um Nachhaltigkeit anschauen. Müll trennen, steigender Absatz von Biolebensmitteln und das bisschen Carsharing oder Radfahren können eben nicht die aktuellen Trends zu Flugverkehr, Amazon-Bestellungen und zunehmende Fahrtwege zur Arbeit aufwiegen.

Wir schleppen viel zu große ökologische Rucksäcke mit uns rum. Dazu kommen noch die digitalen Technologien, die die ökologischen und sozialen Verwerfungen noch zu verschärfen drohen. Und das in einem Maße, wie wir das seit den Hochzeiten des Erdölimperialismus nicht mehr kennen. Was mich ärgert ist, dass die Bundesregierung auf internationalem Parkett zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit das große Wort führt, aber im eigenen Land kaum etwas hinkriegt. Wissen und Wollen sind meilenweit vom Handeln entfernt. Und das ist bigott.

Woran hakt es und warum kommen wir auf dem Weg zur Nachhaltigkeit nicht vom Fleck?

Der Verkehr ist im Klimaschutz eine besondere Schwachstelle. Denn wir haben nach wie vor große Wachstumsraten im Verkehr, vor allem im Güter- und Luftverkehr – mit entsprechender Energie- und Klimagasbilanz.

Unsere Konsummuster sind sehr energieaufwändig und unser Konsum wächst. Der Fleischkonsum ist beispielsweise hochgradig mobilitäts- und damit energieintensiv. Denken wir allein an die Futterproduktion und den Futtertransport. Gerade im Verkehr müsste schnellstens umgesteuert werden. Aber das ist genau der Bereich, wo sich die Politik am wenigsten traut und wo die Konsumenten am wenigsten von ihrem eingespielten Verhalten abweichen wollen.

Prof. Dr. Stephan Rammler
ist Gründungsdirektor des Instituts für Transportation Design (ITD) und Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Er arbeitet in der Mobilitäts- und Zukunftsforschung, forscht zu Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik, Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik.

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st.rammler@hbk-bs.de

Für den Einzelnen heißt das?

Die Erwartung an die politische Ebene „Ändert was, aber ändert für mich nichts“ geht nicht auf. Nachhaltigkeit ist nicht vergleichbar mit anderen Politikbereichen. Es geht darum, in breitem Maße für breite Teile der Bevölkerung das Konsumverhalten in Frage stellen. Nur die Energieeffizienz zu verbessern, reicht nicht. Das ist schwer zu kommunizieren. Aber die Lebensqualität sinkt ja durch diese Einschränkungen nicht automatisch; mal abgesehen davon, dass man gesünder lebt. Wir müssen zu dem Punkt kommen, dass wir Lebensqualität und Wohlstand nicht mehr als Wachstum definieren.

Natürlich müssen wir Voraussetzungen für Verhaltensänderungen schaffen: Wo sind Spielräume? Wo nicht? Beispielsweise haben wir in den vergangenen 150 Jahren eine Raum- und Siedlungsstruktur in Deutschland geschaffen, die automobilabhängig ist. Gerade im ländlichen Raum ist das Auto vielerorts kaum verzichtbar. Wir haben also ein Henne-und-Ei-Problem. Wer macht den ersten Schritt? Die meisten Verbraucher möchten sich nicht ändern. Hier muss die Politik den ersten Schritt machen. Die Politik weiß, dass sie ändern könnte, aber traut sich nicht, weil sich das für sie nicht richtig auszahlt. Sie müsste das Auto – zumindest dort, wo es bessere Alternativen gibt – unattraktiv machen und den freiwilligen Umstieg auf ökologischere Verkehrsmittel oder zumindest Carsharing fördern. Das Prinzip kennen wir aus den Geschichtsbüchern als "Zuckerbrot und Peitsche". Aber viele Politiker haben Angst vor dem Wähler. Und Unternehmer trauen sich schon gar nicht einzugreifen, sondern wollen einfach nur die vorhandene Nachfrage bedienen. Da ist eine Verflechtungsfalle aus Abhängigkeiten und Ängsten entstanden. Und diese Falle müssen wir auflösen!

Was müsste denn im Verkehrssektor zuerst angepackt werden?

Jeder kann prüfen, ob er nicht den nächsten Urlaub mal in Deutschland verbringt, ob er seinen Fleischkonsum halbiert, ob er sein Auto öfter stehen lässt; viele kleine Schritte sind möglich, um die persönliche Bilanz zu optimieren. Die Politik muss sich um Regulierung kümmern. Der einfachste Weg ist, in die Preise externe Kosten für soziale und ökologische Schäden einzuberechnen. Dann hätten wir die Debatte über Nachhaltigkeit nicht. Wir haben die Debatte doch nur, weil wir Wege zur Nachhaltigkeit finden müssen jenseits der Kostenstruktur, die der derzeitige Markt vermittelt. Alles wäre geregelt, wenn wir CO2-Steuern, Energiesteuern etc. hätten, die die externen Kosten integrieren würden. Denn dann würden die Menschen von allein anders agieren. Da wir keine ehrlichen Preise haben, müssen wir die Angebotsalternativen ausbauen. Das heißt insbesondere die vernetzte Mobilität ausbauen, also alle Verkehrsträger ver- knüpfen, so dass das Auto nur ein Baustein die- ser neuen Mobilitätswelt ist. Und zwar ein Auto, das mit regenerativer Energie betrieben wird, das nicht nur einem Menschen gehören muss und durch die neuen Chancen der Automatisierung auch sicherer sein wird als heute. Die Politik muss so regulieren, dass die Industrie neue Produkte anbieten kann.

Die Instrumente dafür sind längst bekannt: die Kaufprämie, ein Bonus-Malus-System, das den Kauf von Spritschleudern verteuert und ökologischerer Autos anreizt, eine ökologischere Kfz-Steuer. Umweltschädliche Subventionen müssen abgeschafft werden; der VW-Chef Müller fordert ja sogar selbst den Abbau der Dieselsubventionen. Also die Doppelstrategie Verbraucherpolitik für den Umstieg und Unternehmenspolitik für den Umstieg wäre intelligente, schnell wirksame Politik jenseits von Steuerpolitik. Und noch eine Bemerkung: Wir sehen ja den Handlungsdruck auch an unserem jetzigen Gemütszustand. Die bisherige unnachhaltige Entwicklung hat dazu geführt, dass viele Menschen unglücklich, ängstlich und ratlos auf hohem Niveau sind.

Als Berliner kennen Sie sicher auch das Land Brandenburg. Haben Sie auch für unser Bundesland etwas, was oben auf die Agenda gehört?

Für mich ist das eine spannende räumliche Situation. Brandenburg ist ein vergleichsweise strukturschwaches Gebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem strukturstarken Gebiet, nämlich Berlin. Wir haben einen starken Kontrast. Brandenburg bietet großartige Möglichkeiten für Freizeit und Erholung, nicht nur für Brandenburger sondern auch für viele Berliner. Städte wie Berlin können nicht ohne das Land leben. Mich als Mobilitätsforscher interessieren besonders die verkehrlichen Auswirkungen. Das sind vor allem die Pendelbeziehungen zwischen Berlin und Brandenburg und daraus abgeleitet die erforderlichen kooperativen Ver- kehrskonzepte und die Siedlungsraumentwicklung der beiden Länder. Und da sehe ich viel Handlungsbedarf.

Wir müssen noch mehr Pendler auf die Schiene locken und den Öffentlichen Verkehr entsprechend ausbauen. Das heißt auch: Park & Ride verbessern und die letzte Meile – also den Weg vom Bahnhof zum Wohnhaus des Pendlers attraktiver machen. Da geht es zum Beispiel um die Entwicklung eines verkehrsträgerübergreifenden Fahrscheins. Da geht es um die geteilte Mobilität, also Carsharing. Da geht es um den Ausbau des Radwegenetzes, auch ergänzt um Radschnellwege. Und zweitens die Siedlungsplanung: muss ich weiterhin jedes Wohngebiet so planen, dass es nur mit dem Auto angebunden ist? Wichtig ist mir auch: in strukturschwachen Gebieten muss Daseinsvorsorge aufrechterhalten werden, damit die Menschen nicht weiter wegziehen. Diese Räume müssen attraktiv bleiben. Entwicklungsfähig sind naturnahe Tourismusangebote, denn Brandenburg ist ein schönes Land. Zu Fuß, per Rad oder auf dem Wasser kann man es wunderbar erkunden. Dafür muss natürlich das ländliche Verkehrssystem optimiert werden.

Und wo sehen Sie die Rolle der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen?

Es ist schwieriger für Nachhaltigkeit Politik zu machen und Verzicht zu erklären als Besitzsicherung zu predigen. Die Umweltverbände müssen weiter dieses dicke Brett bohren. Ich setze da auf Organisationen wie die NaturFreunde, die immer wieder erklären, dass die Ökonomie der Zukunft nicht ohne nachhaltiges Agieren funktioniert. Ökonomische Nachhaltigkeit geht nicht ohne ökologische. Dafür brauchen wir die ökologische Transformation, wie sie auch die NaturFreunde längst fordern.

Das Interview erschien zuerst im "Sandlatscher" 1/2018 der NaturFreunde Brandenburg.