Die Arbeitskraft als Quelle des Reichtums

Vor 150 Jahren veröffentlichte Karl Marx den ersten Band von „Das Kapital“

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Als sich im Jahr 1895 in Wien die NaturFreunde gründeten, war für Mitglieder die Auseinandersetzung mit den Werken von Karl Marx ein Muss – zumindest verbal. Letztlich galt das für alle Menschen, die sich damals in der Arbeiterbewegung engagierten – einem dichten Geflecht aus Partei, Gewerkschaft und vielen Arbeiterkultur- und -sportvereinen.

800 Seiten und Hunderte von Fremdwörtern
Im Vergleich zum Kommunistischen Manifest, dem bereits 1848 erschienenen Hauptwerk von Marx, ist „Das Kapital“ intellektuell allerdings viel schwieriger zu verdauen. Der am 14. September 1867 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels annoncierte und im Hamburger Otto-Meissner-Verlag verlegte erste Band hatte mehr als 800 Seiten und Hunderte von Fremdwörtern. Und trotzdem beriefen sich Generationen von Linken auf dieses Werk.

Die Beschäftigung mit Marx und dem „Kapital“ war und ist ein wichtiger Bestandteil fortschrittlicher Bildungsarbeit. Auch die NaturFreunde wollten die Unmündigkeit der Arbeiterklasse überwinden helfen und mit einer neuen gesellschaftlichen Theorie eine bessere Zukunft schaffen. Dabei war ihnen bewusst, dass jeder auch immer die Vergangenheit in sich trägt. So schrieb etwa NaturFreund K. P. Harzer aus Jena 1927 im Mitteilungsblatt des NaturFreunde-Gaus Thüringen: „Wir Menschen sind Produkte unserer Zeit und ihrer gesellschaftlichen Formen. [...] Auch in uns ist ja die Einstellung verflossener Generationen noch lebendig und jeder trägt sein Bündel ‚Konservatismus‘ mit sich herum.“ Dabei wirft schon der erste Band – Untertitel „Der Produktionsprocess des Kapitals“ – alle bürgerlich-ökonomischen Binsenweisheiten über den Haufen. Marx wollte, dass Arbeitnehmer erkennen, dass sie mit dem Verkauf ihrer „Ware Arbeitskraft“ die „Quelle allen Reichtums“ in der Gesellschaft sind. Damit lieferte er die theoretische Grundlage für eine Rückeroberung des erwirtschafteten Reichtums.

Gerade heute ist ein Rückgriff auf die Denkkategorien von Karl Marx hilfreich, denn bürgerliche Ökonomen bezweifeln wieder die dominierende Rolle der Sozialen Frage. Dabei verhungert durchschnittlich alle acht Sekunden ein Kind, Millionen von Menschen müssen an grundsätzlich heilbaren Krankheiten sterben und die transnationalen Konzerne zerstören die natürlichen Lebensgrundlagen, weil ihre Aktionäre an kurzfristigen Gewinnen interessiert sind.

„Im Übergangszeitalter zum Sozialismus“
Die NaturFreunde haben sich immer als ein Verband verstanden, in dem die soziale und die ökologische Frage gleichberechtigt zusammengeführt werden. Ein Verbandsziel war und ist, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch und Natur zu schaffen. Dabei gab es durchaus auch unerfüllte Hoffnungen. So schrieb zum Beispiel der Ammendorfer NaturFreund Hugo Hecker 1927: „Wir Menschen von heute leben im Übergangszeitalter vom Kapitalismus zum Sozialismus. Und darum ist die Forderung des Tages die Erfüllung und Verwirklichung desselben, der die Menschheit von moderner Sklaverei befreien wird. Sozialismus ist der Weg zur Freiheit unser und aller Unterdrückten.“

Die NaturFreunde streiten weiterhin für eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft, in der die Befreiung des Einzelnen und die Befreiung der Natur von Ausbeutung und Zerstörung im Mittelpunkt stehen. Mit inhaltlichen Angeboten, sei es im Sport, in der Kulturarbeit, bei politischen Veranstaltungen oder auch im Rahmen von Wanderungen, versuchen NaturFreunde „Inseln der Solidarität“ in einer sich immer weiter durchkapitalisierten Welt zu schaffen und im „Heute“ schon ein Stück „Morgen“ durchblicken zu lassen.

Ob heute tatsächlich noch die über 2.500 Seiten der drei Bände des Kapitals gelesen werden müssen, soll bitte jeder selbst entscheiden. Ihre Analyse jedoch, dass die kapitalistische Produktionsweise die Zerstörung von Mensch und Natur in sich trägt, ist so aktuell wie vor 150 Jahren.

Uwe Hiksch, NaturFreunde Berlin
Erschienen in NATURFREUNDiN 3-2017