Die demolierte Republik

Der Verlust des Politischen ist ein erschreckendes Phänomen unserer Zeit

Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands, kritisiert die zunehmende Oberflächlichkeit in den Medien: Nicht Leistung, Kompetenz und Erfolg sind das Kriterium für mediale Aufmerksamkeit, sondern die Erzeugung einer oberflächlichen Wichtigkeit, die in Wahrheit keine ist. Aufmerksamkeit um jeden Preis – Hauptsache, es lässt sich verkaufen. Die NaturFreunde Deutschlands vermissen Deutung und Substanz in der öffentlichen Diskussion.

Was ist das für ein Land, in dem C-Promis eine größere öffentliche Bedeutung haben als Philosophen oder republikanische Diskurse, in dem Schauspieler inhaltsleerer, drittklassiger Seifenopern schon zu Stars werden, während Nobelpreisträger völlig unbekannt sind?

Was ist das für ein Land, in dem die Zeitschrift Cicero auf einer Rangliste der 500 wichtigsten deutschen Intellektuellen Alice Schwarzer auf Platz 4 setzt, aber die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller nur Platz 38 erreicht, der erste Naturwissenschaftler gerade an 83. Stelle kommt, während Charlotte Roche mit ihren schlüpfrigen Texten als 67. eingruppiert ist?

Was ist das für ein Land, in dem die langen Beine der Freundin von Sami Khedira und der nicht verzollte Teppich von Dirk Niebel an einem Wochenende die Medien füllen, während der Transformationskongress von DGB, EKD und Umweltverbänden dort fast keine Erwähnung findet? Und das, obwohl diese Organisationen erstmals überhaupt in dieser Form kooperieren, immerhin 40 Prozent der Bevölkerung repräsentieren und einen wichtigen Zukunftsimpuls setzten.

Worum dreht sich eigentlich die öffentliche Debatte? Der geistige Verfall unserer Gesellschaft ist es nicht. Die Themenhoheit darf nicht den selbstverliebten Moderatoren des Zeitgeistes überlassen werden, die zu allem und zu nichts etwas sagen. Sie haben genau diese Form der Entleerung herbeigeführt, die sie dann – um sich abzusetzen und wichtig zu machen – kritisieren.

Wir vermissen Deutung und Substanz in der öffentlichen Diskussion. Vor 100 Jahren begann das Jahrhundert der Extreme: Ein überschäumender Nationalismus und Militarismus führte in den Ersten Weltkrieg. Damals war die Gesellschaft nicht in der Lage, die Zusammenhänge zu erkennen und die Welt zu ordnen. Das darf sich nicht wiederholen.

Wir brauchen dringend eine Gesellschaft, die ihren Bildungsauftrag ernst nimmt, die Aufklärung und Vernunft über die Suche nach der schnellen Überschrift stellt. Wir brauchen ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das politisch ist. Und in dem Talkshows das sind, was sie sein sollen: spannende Diskurse über wichtige Fragen.

Vor allem aber brauchen wir die Offenheit und Bereitschaft, die Zukunftsfragen kreativ und ohne Schablonen zu diskutieren. Nur wenn wir die Ernsthaftigkeit zurückgewinnen, gibt es eine starke Demokratie, die unser Land für die Zukunft braucht.
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