Warum wir jetzt eine neue und starke Friedensbewegung brauchen
Lange schwächelte die Friedensbewegung. Jetzt aber kommt sie zurück. Klima- und Umweltinitiativen vernetzen sich mit Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und Sozialorganisationen. Wir NaturFreunde haben dabei viele Kontakte hergestellt. Darauf können wir stolz sein, denn es braucht eine neue und starke Friedensbewegung. Bei keiner anderen existenziellen Frage ist der Widerspruch zwischen der Bedeutung des Themas und der öffentlichen Aufmerksamkeit so groß.
Ein neuer Rüstungswettlauf
Denn die Kriegsgefahren kommen zurück, wenn auch in neuer Form. Noch im Jahr 1990 schienen die Zeichen auf Abrüstung und friedlicher Zusammenarbeit zu stehen. Damals erklärten die europäischen Staaten zusammen mit den USA und Kanada in der sogenannten Charta von Paris ihren Willen, Europa zu einer Region des Friedens zu machen. Zwar kam es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einer Verringerung der Militärausgaben. Doch spätestens Mitte des letzten Jahrzehnts war das vorbei und langsam bereitet sich eine gigantische Aufrüstung aus. Zudem wurde der INF-Vertrag zur Abrüstung der atomaren Mittelstreckensysteme aufgekündigt und die Verhandlungen über die Zukunft der Rüstungskontrollabkommen stagnieren. Und nun breitet sich auch noch das Krebsgeschwür des Nationalismus wieder aus. Eine neue Entspannungspolitik ist nicht in Sicht.
Von der Idee der aktiven und gemeinsamen Sicherheitspolitik, die 1982 von Olof Palme und der UN-Kommission für eine friedliche Kooperation unterschiedlicher Gesellschaftssysteme entwickelt worden war, ist nichts mehr zu hören. Stattdessen wird in den strategischen Instituten über völlig neuartige Waffensysteme nachgedacht. Dazu gehören zum Beispiel globale biologische Waffen wie gentechnisch veränderte Viren. Dazu gehört auch der besinnungslose Ausbau der sogenannten künstlichen Intelligenz, die sich verselbstständigen und außer Kontrolle geraten kann. Ein neuer Rüstungswettlauf ist keine Drohung mehr, er ist längst harte Realität.
Steigende Militärausgaben, gefährlichere Waffen
Der 2015 verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr würde die zunehmende Militärlogik in internationalen Beziehungen eine „Krise des Gehirns“ nennen. Die Rüstungsausgaben erreichen neue Rekordhöhen und liegen heute wieder deutlich über denen von vor 1989. 75 Prozent der weltweiten Militäretats entfallen auf nur zehn Länder, wobei Deutschland bereits auf Platz 7 liegt. Im Jahr 2019 vermeldete unser Land mit zehn Prozent den höchsten Zuwachs der ersten 15 Länder mit den höchsten Ausgaben. Würde sogar das absurde Ziel eines Militäranteils von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt umgesetzt, erreichte Deutschland Platz 4 in der fragwürdigen Rangliste der Länder mit den höchsten Militärausgaben – und Platz eins in Europa.
Die Weltuntergangsuhr in Washington wurde im letzten Jahr von den Atomwissenschaftler*innen auf zwei Minuten vor zwölf gestellt. Denn neue Atomraketen sollen auf noch schnelleren Raketensystemen stationiert werden. Und wieder wird überlegt, Raketen und Sprengköpfe im Weltall zu installieren. Ebenso nehmen die konventionellen Waffen mit hohem Vernichtungspotenzial weltweit zu. Auch der Rüstungsexport in Krisen- und Kriegsgebiete hält unverändert an. Hier erreichte Deutschland in den letzten Jahren den unrühmlichen Platz 5. Zudem wird das Säbelrasseln lauter gegen alte (Russland) und neue Feindbilder (China).
Folgen der Erderwärmung werden zu mehr Gewalt führen
Begründet wird die Militarisierung des Denkens mit einer vermeintlichen Alternativlosigkeit in einer Welt der Gewalt. Immer wieder heißt es dabei, Deutschland müsse Verantwortung übernehmen. Wie blind sind solche Aussagen eigentlich? Die Frage ist doch, für was wir denn Verantwortung übernehmen sollen? Für eine friedliche Welt, die auf der Basis einer Weltinnenpolitik eine sozial und ökologisch gerechte Ordnung verwirklicht? Oder für eine Welt mit immer mehr Waffen? Die Welt ist bedroht von einem schnellen und einem langsamen Selbstmord. Der schnelle Selbstmord wird nicht nur durch die neue atomare Hochrüstung denkbar, sondern auch durch biologische Waffen. Einerseits verfügen reiche oder große Staaten über derartige Technologien, andererseits können sie in kleinen, schmutzigen Varianten von Terrorgruppen eingesetzt werden. Dagegen die Gewaltspirale stetig zu erhöhen, führt in immer neue Sackgassen. Der langsame Selbstmord hingegen wird möglich durch die Zuspitzung sozialer und ökologischer Konflikte auf der Welt, die sich in verschiedenen Bereichen aufbauen. Schon in 20 bis 25 Jahren wird mit einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius der erste kritische Punkt erreicht, nach weiteren 20 Jahren schlägt die anthropogene Klimakrise dann massiv zu. Doch schon vor dem Anstieg auf zwei Grad Celsius können kritische Kipppunkte erreicht werden, die unabsehbare Folgen haben. Dazu gehören ein Wegbrechen der thermohalinen Strömungen im Atlantik, ein Absterben der australischen Korallenriffe, das Auftauen der Permafrostregionen in Sibirien und Nordamerika und auch der Zusammenbruch von Tropenwaldgürteln in Amazonien.
Das Schlimme allerdings ist, dass die Menschheit von den globalen ökologischen Gefahren zeitlich, räumlich und sozial höchst unterschiedlich betroffen sein wird. Tatsächlich werden die Hauptverursacher noch eine längere Zeit später von den Folgen betroffen sein als die ärmsten Regionen der Welt. Auch das erhöht die Spannungen und Konflikte, die zu Gewalt, Verteilungskämpfen und letztlich auch zu Kriegen führen können. Die Zeit ist reif für eine neue Entspannungspolitik. Deutschland kann dabei eine entscheidende Rolle einnehmen, die eng mit mehr Klimaschutz und der sozialökologischen Gestaltung der Transformation verbunden wird. Wir brauchen wieder eine starke Friedensbewegung, die eng mit den Umwelt- und Klimainitiativen und den sozialen Verbänden zusammenarbeiten muss. Der Wind muss sich drehen.
Michael Müller