"An diesen Temperaturanstieg kann sich die Natur nicht anpassen"

Drei Fragen an den Klimaexperten und brandenburgischen NaturFreund Dr. Ulf Rassmann

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Rüdiger Herzog: Du belegst in deinen Vorträgen mit vielen Forschungsergebnissen, dass wir uns bereits in der Klimakrise befinden und hohen Handlungsdruck haben. Trotzdem gibt es auch in Deutschland noch Zweifler und Klimaleugner. Was treibt diese Leute an und wie begegnest du ihnen?

Dr. Ulf Rassmann: Ja natürlich gibt es Zweifler und Leugner. Man muss versuchen herauszubekommen, was ihre Motivation ist, denn dann kann man differenziert antworten.

Da sind zum einen Menschen, die sich stark an der eigenen Erfahrung und Vorstellung orientieren. Sie haben zum Beispiel die Vorstellung, Klimaerwärmung heißt, es wird hier bei uns wärmer und wir haben viel öfter schönes Badewetter. Kälteeinbrüche wie Ende Februar oder Mitte März in diesem Jahr passen bei ihnen überhaupt nicht ins Bild. Da versuche ich darauf hinzuweisen, dass die Klimaerwärmung an unterschiedlichen Orten auf der Erde sich sehr unterschiedlich auswirkt. Zum Beispiel haben wir in Brandenburg Mitte März gefroren, in Grönland allerdings, wo damals normalerweise Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt herrschen sollten, schwankten die Temperaturen um die Null Grad Celsius. Das wird im Wetterbericht nie erwähnt.

Klimaerwärmung ist nicht gleichbedeutend mit mehr schönem Wetter, sondern mit chaotischerem Wetter.

Dann begegnen mir Menschen, die die Konsequenz fürchten und deshalb nach Argumenten suchen, um weiter unbeschwert ihren Konsumstil ausleben zu können. Da kommt zum Beispiel die Aussage, dass es früher auch Wetterextreme gab, oder dass es schon immer Eiszeiten und Warmzeiten gab und besonders, dass gar nicht beweisbar sei, dass das Kohlendioxid daran Schuld ist und gar nicht bewiesen werden könne, dass das Kohlendioxid durch menschliche Tätigkeit verursacht wird, oder der Anteil ja nur verschwindend gering ist und so weiter.

Da verweise ich dann auf die historische Entwicklung des Erdklimas und dass es zwar plötzliche Kälteeinbrüche durch Vulkanausbrüche oder kosmische Ereignisse gab, aber noch nie einen so rasanten Temperaturanstieg, wie wir ihn derzeit beobachten. Bei dieser Geschwindigkeit hat die Natur keine Chance sich anzupassen. Auch bei den Kälteeinbrüchen hatte die Natur keine Chance, was zzum Beispiel zum Aussterben der Saurier geführt hat.

Der Beitrag des Menschen ist im gesamten Stoffwechsel der Natur gering, aber trotzdem zu groß, um von der Natur kompensiert zu werden. Als Beleg kann der Suess-Effekt gelten, der eine Verschiebung der Isotopenzusammensetzung vom Kohlenstoff in der Atmosphäre beschreibt, da fossiler Kohlenstoff praktisch kein C14-Isotop enthält.

Bei den Wetterextremen greife ich auf Statistiken zurück, die zeigen, wie Extremereignisse in bestimmten Regionen an Zahl und Intensität zunehmen. Und wirtschaftlich ist für diese Menschen auch ein unabweisbares Argument, dass es Versicherungen in bestimmten Gegenden praktisch ablehnen, Einfamilienhäuschen gegen Elementarschäden zu versichern. In den USA gibt es zum Beispiel Broschüren von Versicherungskonzernen, die Mindestabstände zum Ufer des Mississippi empfehlen.

Und dann gibt es Menschen, die offenbar im Interesse von Energiekonzernen ganz gezielt Darstellungen angreifen und zum Beispiel im Kohlenstoffkreislauf der Erde bestimmte Wechselwirkungen ausblenden, Beispielstatistiken für Orte mit abweichendem Trend als Beleg herausgreifen oder Wissenschaftler, die den Weltklimabericht IPCC kritisieren, als Zeugen für ihre Falschdarstellungen heranziehen.

Die Auseinandersetzung mit diesen Menschen erfordert eine intensive Recherche, die ehrenamtlich praktisch unmöglich ist. Man muss die Auslassungen und Verdrehungen finden, die ausgewählten Statistiken in den globalen Kontext einordnen oder die Originalaussagen der kritischen Wissenschaftler finden, deren Kritik in den meisten Fällen nämlich genau anders herum ist. Sie kritisieren den letzten Bericht des Weltklimarates nämlich meist deshalb, weil er unter politischen Vorgaben die Trends viel zu schwach darstellt. Eigentlich ist die Situation viel dramatischer und der Handlungsdruck enorm.

Wie ist die Rolle Brandenburgs in der Energiepolitik? Welche politischen Forderungen an die Landesregierung leitest du ab?

Insgesamt verfehlt die Bundesrepublik die selbst gesteckten Klimaziele. Brandenburg hat daran einen hohen Anteil, insbesondere durch die Braunkohleverstromung. Die Verbrennung der Braunkohle führt nicht nur zu höchsten Kohlendioxidemissionen pro erzeugter Kilowattstunde wegen des vergleichsweise niedrigen Heizwertes. Die Abgasreinigung ist auch besonders aufwendig wegen hoher Schwefelgehalte und die Tagebaue bringen eine großflächige Landschaftszerstörung mit sich.

Als Folgeprobleme treten schwankende Grundwasserspiegel und die Belastung der Spree mit ungereinigtem, stark eisenhaltigem Wasser auf – der sogenannten Verockerung. In diesem Bereich wären strikte Vorgaben der Landesregierung wünschenswert, gekoppelt mit einer Förderung der Renaturierung. Die "versauten" Flächen könnten intensiv genutzt werden, um alternative Energieerzeugung zu entwickeln.

Neben der Energiepolitik sehe ich weitere anspruchsvolle Themen, die ganz oben auf die Agenda der Landespolitik gehören. Eine große Herausforderungen der Zukunft sind Mülltrennung und Recycling. Die BTU Cottbus Senftenberg und die Kraftwerksarbeiter, die den Betrieb thermischer Anlagen beherrschen und Chemiker aus Schwarzheide sind eine günstige Voraussetzung, Pilotanlagen zum Recycling von Kunststoff- und Elektroschrott zu etablieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der öffentliche Nahverkehr. Die Situation zwingt viele Menschen zum Benutzen privater PKW. Die meisten Bahnlinien bewegen sich sternförmig nach Berlin, Querverbindungen sind schlecht ausgebaut, wurden im Gegenteil in den 90er-Jahren stillgelegt. In anderen Flächenländern gibt es bereits viele Rufbusse, in Brandenburg bis jetzt nur wenige.

Was gehört aus Deiner Sicht auf die Agenda der NaturFreunde Brandenburg und was sollten wir Einzelpersonen beherzigen?

Die NaturFreunde sollten ihre Scheu ablegen und mit den Aktivisten von "Ende Gelände" in engeren Kontakt treten. Auch wenn sicher nicht alle Aktionsformen unterstützt werden, ist das Anliegen das gleiche und Solidarität wichtig.

Ins Programm könnten neben Wanderungen in "intakter" Natur auch mal Besuche von Tagebauen und Rekultivierungsflächen mit aufgenommen werden.

Wichtig finde ich auch: wir müssen beim Umwelt- und Klimaschutz bei uns selbst anfangen. Da wissen wir NaturFreunde oft schon gut Bescheid, ob beim Reiseverhalten, dem Ressourcenverbrauch oder dem Fleischkonsum. Zeitdruck, Bequemlichkeit und fehlende Möglichkeiten stehen dem gewünschten Verhalten oft entgegen. Hier müssen wir uns immer wieder selbst motivieren.

Fragen: Rüdiger Herzog
NaturFreunde Brandenburg