Eine Argumentationshilfe für die Stromerzeugung aus Sonne, Wind & Co.

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Kritiker der Energiewende haben viele Argumente gegen Fotovoltaik-Anlagen, Windräder & Co. Aber stimmen diese Behauptungen überhaupt? Wir haben die wichtigsten Gegenreden auf ihren Gehalt überprüft.

BEHAUPTUNG: Windräder sind eine Todesfalle für Vögel.

FAKT: Pro Jahr werden in Deutschland etwa 100.000 Vögel durch Windräder getötet. Das ist das Ergebnis einer Erhebung auf Basis einer Zählung an 570 Windkraftanlagen im Jahr 2016. Klingt viel, aber im gleichen Zeitraum starben 18 Millionen Vögel an Fenstern und verglasten Fassaden, wurden acht Millionen Vögel von Katzen gefressen oder starben an Autobahnen und Schnellzugstrecken. Soll man also nicht lieber Fensterglas verbieten, Autobahnen sperren oder Katzen töten, um dem Vogeltod Einhalt zu gebieten?

BEHAUPTUNG: Windräder produzieren gefährlichen Schall.

FAKT: Windanlagen machen Geräusche – und zwar mit einer Lautstärke von 40 Dezibel (nachts) bis 55 Dezibel (tagsüber). Zum Vergleich: Flüstern hat 30 Dezibel (dB), ein Fön 70 dB und die Kreissäge 100 dB. Und mit jedem Meter Entfernung wird der Schall leiser. Windräder verursachen außerdem Infraschall. Das sind tieffrequente Geräusche, die der Mensch zwar nicht hören kann, die sich aber theoretisch auf ihn auswirken könnten. Verglichen mit Verkehrsmitteln wie Autos oder Flugzeugen ist der Infraschall von Windrädern allerdings gering. Nach heutigem Stand der Wissenschaft sind schädliche Wirkungen nicht zu erwarten. Langzeitstudien der Landesämter für Umwelt in Bayern und Baden-Württemberg belegen das.

BEHAUPTUNG: Deutschland kann sich nie zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen.

FAKT: Am 26. Juni 1993 wurden von der deutschen Stromwirtschaft in den Tageszeitungen Anzeigen geschaltet mit der Behauptung, dass Deutschland niemals mehr als vier Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen erzeugen könne. In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 lag der Anteil von Sonne und Wind bei der Stromerzeugung bei zusammen 42,9 Prozent. Mal sehen, was die fossile Stromwirtschaft demnächst sonst noch so alles behauptet.

BEHAUPTUNG: Sonnenkraftwerke liefern nur Strom, wenn die Sonne scheint.

FAKT: Stimmt nicht! Solarzellen können direktes wie auch diffuses Licht nutzen. Bei bewölktem Himmel nimmt die produzierte Leistung einer Fotovoltaikanlage zwar ab, jedoch bleibt der Wirkungsgrad erhalten und die geringere Einstrahlung kann voll genutzt werden. Übrigens sind Fotovoltaikanlagen in unseren Breiten besonders effizient. Niedrige Temperaturen bei gleichzeitig hoher Sonneneinstrahlung sind nämlich optimal für die Produktion des Solarstroms. Werden die Zellen zu warm, sinkt dagegen die Stromausbeute (um ein halbes Prozent je Grad Celsius).

BEHAUPTUNG: Solarstrom ist teuer.

FAKT: Ganz im Gegenteil: Solarstrom zu erzeugen und selbst zu verbrauchen, ist heute die günstigste Art der Stromversorgung. Pro Kilowattstunde kostet der eigene Solarstrom etwa zehn Cent. Für Elektrizität aus der Steckdose zahlt man etwa das Dreifache. Eine Solaranlage auf dem Hausdach deckt etwa 25 bis 35 Prozent des Bedarfs, kombiniert mit einem Batteriespeicher mindestens 60 Prozent. Auch ein Balkon kann genutzt werden, damit lässt sich etwa ein Zehntel des eigenen Strombedarfs selbst erzeugen. Fotovoltaikanlagen sind heute sehr günstig geworden, und langlebig sind sie auch. Manche Hersteller garantieren noch 80 Prozent der Nennleistung nach 25 Jahren.

BEHAUPTUNG: Die Herstellung einer Solarzelle verbraucht mehr Strom, als diese erzeugt.

FAKT: Was für ein Unsinn! Polykristalline Solarzellen haben nach etwa zwei Jahren so viel Energie erzeugt, wie für ihre Herstellung notwendig war. Bei monokristallinen Zellen dauert es etwa dreieinhalb Jahre. Die vom Hersteller garantierte Lebenszeit liegt aber bei mindestens 20 Jahren. Ergo produzieren Fotovoltaikanlagen während ihrer Lebenszeit zehnmal mehr Strom, als für ihre Herstellung notwendig war.

BEHAUPTUNG: Windkraft ist teuer.

FAKT: Auch das stimmt nicht: Derzeit liegen die Kosten nur noch knapp über dem Preis, der für Strom an der Strombörse gezahlt wird. Einige Offshorewindparks verzichten sogar schon auf Förderung, weil sie günstiger Strom produzieren. Werden die externalisierten Kosten, nämlich die Kosten der Umweltzerstörung, Gesundheitsgefährdung und des Klimawandels einberechnet, ist die konventionelle Stromerzeugung schon lange nicht mehr günstig. Sie wird durch einen steigenden Kohlendioxid-Preis auch zunehmend unwirtschaftlich.

BEHAUPTUNG: Niemand mag Windräder vor seiner Haustür.

FAKT: Die meisten Bundesbürger*innen halten den Windkraftausbau für sinnvoll, so das Ergebnis einer Umfrage der Fachagentur Windenergie aus dem Herbst 2019. Windkraft-Gegner*innen sind keine „schweigende Mehrheit“ – im Gegenteil. 82 Prozent der Befragten finden die Nutzung und den Ausbau der Windenergie an Land im Rahmen der Energiewende „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Das Bundesamt für Naturschutz hat herausgefunden, dass sich Anwohner*innen von Windenergieanlagen insgesamt kaum belästigt oder beeinträchtigt fühlen.

BEHAUPTUNG: Biogasanlagen führen zur „Vermaisung“ der Landschaft.

FAKT: Die Statistik kann dieses Vorurteil nicht bestätigen, zumindest nicht für die jüngste Vergangenheit: Im Jahr 2014 wurden hierzulande auf 1,375 Millionen Hektar Pflanzen als Rohstoff für Biogasanlagen angebaut, 2018 waren es 1,35 Millionen Hektar. Die Fläche ist also in den vergangenen Jahren konstant geblieben – und entspricht acht Prozent der in Deutschland bewirtschafteten Fläche.

BEHAUPTUNG: Die Energiewende treibt den Strompreis in die Höhe.

FAKT: Tatsächlich ist die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in den letzten Jahren stark angestiegen, von 1,2 Cent je Kilowattstunde im Jahr 2009 auf 6,75 Cent in diesem Jahr – ein Anstieg um etwa 560 Prozent. Der Ausbau der Erneuerbaren ist dafür allerdings nur ein Grund. Wesentlich wichtiger sind aber die Ausnahmeregeln für die Industrie.

Seit Inkrafttreten des EEG im Jahr 2000 wurden die größten Stromverbraucher in Deutschland von der EEG-Umlage befreit: zum Beispiel die Deutsche Bahn, die jährlich 27,5 Terawattstunden Strom verbraucht – das sind etwa 20 Prozent des Jahresverbrauchs aller Privathaushalte. Da aber die Deutsche Bahn auch mit Ökostrom fährt, müssen Verbraucher*innen diese 20 Prozent mitzahlen. Das bedeutet: Allein die Ausnahme für die Deutsche Bahn erhöhte unseren Strompreis.

Nun kann man argumentieren: Warum nicht, schließlich ist die Bahn klimafreundlich. Die Ausnahme gilt aber auch für Großverbraucher wie Stahlwerke, die Aluminiumindustrie oder Autobauer: Die müssen lediglich eine symbolische EEG-Umlage von 0,05 Cent je Kilowattstunde bezahlen. Das sorgt dafür, dass die kleinen Verbraucher – also auch die Privathaushalte – die Kosten für die Industrie mittragen müssen. Sogar den Braunkohletagebau finanzieren die Privathaushalte mit: Denn auch die großen Stromkonzerne genießen die Ausnahmeregelungen für das EEG. Als ob man Tagebaue ins Ausland verlagern könnte: Ursprünglich sollten die Ausnahmen die heimische Industrie vor internationaler Konkurrenz schützen. Die Politik sorgte aber dafür, dass immer mehr Konzerne und auch immer mehr Mittelständler in den Genuss der Ausnahmen kamen: Wer heute so viel Strom wie 250 Haushalte verbraucht, der muss die volle EEG-Umlage nicht bezahlen. Weil aber der Grünstrom trotzdem produziert und verbraucht wird, müssen ihn andere mitbezahlen, also das Kleingewerbe und die Haushalte.

Die Energiewende treibt also den Strompreis in die Höhe? Korrekter: Die Energiewende treibt die EEG-Umlage in die Höhe, die aber nur zu 21 Prozent den Strompreis bestimmt. Fast 25 Prozent zahlen wir dafür als „Netzentgelt“, und das ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Mit diesem Netzentgelt lassen sich die Stromkonzerne ihre Übertragungsleitungen bezahlen, die notwendig sind, um uns zu beliefern. Aber darüber schweigen sie lieber. Oder haben Sie schon einmal gehört: Der Leitungsbau der Konzerne treibt unseren Strompreis in die Höhe?

Maritta Strasser / Nick Reimer