Resolution des 29. ordentlichen Bundeskongresses der NaturFreunde Deutschlands
Die NaturFreunde wollen dazu beitragen, dass es zu einer wirklichen Energiewende kommt. Sie muss ein Generationenvertrag sein, der vor absehbaren, künftig fundamentalen Risiken schützt, die sich aus dem Klimawandel, heraufziehenden Ressourcenkriegen, Vernichtung der biologischen Vielfalt, Umweltzerstörung und nuklearen Gefahren ergeben.
Das Leitziel der Energiewende muss die Nachhaltigkeit des gesamten Energieeinsatzes sein. Wir kritisieren, dass diese Jahrhundertaufgabe – zumindest derzeit – in der öffentlichen und politischen Debatte auf Strom und auf erneuerbare Energien verkürzt wird.
Die NaturFreunde stellen fest: Die Bundesregierung hat kein überzeugendes Konzept für eine Energiewende. Bei der Energiewende geht es nicht um den bloßen Austausch von Energieträgern, sondern um den möglichst schnellen Ausstieg aus dem nuklear-fossilen Zeitalter und den Umbau hin zu einer solaren Energiedienstleistungswirtschaft. Die Braunkohle kann keine Übergangstechnologie sein.
Die Energiewende erfordert den Umbau von der Versorgungs- in eine Vermeidungswirtschaft hoher Energieverbräuche und – vor allem – die Demokratisierung des Energiesektors. Deshalb erfordert die Energiewende eine doppelte Integration: Zum einen die Zusammenführung von Einsparen, Effizienzrevolution und erneuerbaren Energien, zum anderen von Strom, Wärme und Mobilität.
Die heutige Verbundwirtschaft blockiert die Energiewende. Sie reduziert die Strombereitstellung auf große Kondensationskraftwerke, die nur auf den Absatz hoher Strommengen ausgerichtet sind. Doch gerade die Kraft-Wärme-Kopplung und auch eine effiziente und solare Wärmeversorgung sowie die Neuordnung der Mobilität sind von zentraler Bedeutung für eine Energiewende.
Die Energiewende muss zudem mit einer Ressourcenpolitik verbunden werden, die zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft führt.
Die Energiewende braucht eine neue Infrastruktur. Wir halten es für falsch, den Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien zu deckeln, weil zum Beispiel Stromnetze und Speicher fehlen. Im Gegenteil: Wir begrüßen, dass es zu dem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien gekommen ist. Das ist ein Beleg dafür, dass eine breite Unterstützung für die Energiewende vorhanden ist. Diese Unterstützung darf nicht gebremst werden.
Die Energiewende kostet Geld, sie braucht ein Investitionsprogramm. Der Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur ist eine öffentliche Aufgabe. Sie darf nicht an der Verschuldungsbremse scheitern, denn sie ist eine unverzichtbare Zukunftsaufgabe. Die NaturFreunde schlagen dafür eine Zukunftsanleihe vor.
Die Energiewende braucht klare politische Rahmensetzungen. Statt des nicht funktionierenden Börsenhandels, der spekulativen CO2-Zertifikate und der in diesem Umfang nicht zu rechtfertigenden Industrierabatte fordern die NaturFreunde ein wirksames Ordnungsrecht und eine Ausweitung der ökologischen Finanzreform.
Die Energiewende erfordert eine weitreichende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation, weil die Entwicklung des kapitalistischen Gesellschaftsmodells eng mit der massenhaften Nutzung fossiler Energieträger verbunden ist, mit der Ausbeutung der Arbeit und der Ausbeutung der Natur. So wie die soziale Frage ist auch die ökologische Frage eine große Reformherausforderung.
Die Energiewende ist nicht zuletzt eine Machtauseinandersetzung. Deshalb muss es zu einer Demokratisierung der Energieversorgung und grundlegenden Strukturänderungen mit einer starken Ausrichtung auf Dezentralität und Rekommunalisierung kommen.
Die NaturFreunde fordern, dass die Kosten der Energiewende nicht einseitig auf die Verbraucher und Verbraucherinnen abgewälzt werden, oder fragwürdige Wettbewerbsvorteile durch Öko-Dumping geschaffen werden. Die Energiewende muss europäisch ausgerichtet sein, darf aber nicht von der EU blockiert werden. Zumindest in der Übergangszeit ist sie mit Belastungen verbunden, die entweder durch nationale Regelungen oder durch europäische Rahmensetzungen verringert werden müssen. Deshalb fordern wir eine europäische Energiesteuer und einen Grenzsteuerwertausgleich.
Die NaturFreunde begrüßen, dass es heute bereits rund 1,4 Millionen Stromerzeuger gibt, während der Strommarkt vor einem Jahrzehnt noch von vier großen Unternehmen monopolisiert wurde. Initiativen wie Bürgerenergie oder Energiegenossenschaften dürfen nicht erschwert, sondern müssen verstärkt gefördert werden.
Begründung
Dass es heute in der Politik eine Mehrheit für eine Energiewende gibt, ist eine Folge des Super-GAUs im März 2011 in Fukushima. CDU/CSU und FDP hatten bis dahin den großen Atomunfall von 1986 in Tschernobyl noch als Folge einer maroden Technologie abgetan und in 2010 sogar die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert. Danach kam es jedoch in dem Hochtechnologieland Japan zu einer unkontrollierten atomaren Kettenreaktion, die unzählige Menschen und große Regionen geschädigt hat, auf lange Zeit Landflächen und Meer verseucht und in ihren Folgen noch gar nicht absehbar ist.
Die Energiewende ist heute ein Regierungsprogramm, aber es gibt keine Klarheit, wie sie aussieht. Unterschiedliche Interessen blockieren diese Jahrhundertaufgabe. Deshalb wächst die Gefahr, dass angesichts steigender Kosten und neuer Horrorbehauptungen die Zustimmung der Bevölkerung in Kritik und Ablehnung umschlägt. In der Öffentlichkeit geht es vor allem um finanzielle Belastungen, Versorgungssicherheit und die Befreiung stromintensiver Unternehmen, nicht aber um eine sozialökologische Transformation des Energiesektors hin zu gerechten und nachhaltigen Energiedienstleistungen in einer solaren Wirtschaft. Ohne eine solche Transformation wird es keine Energiewende geben.
Das erste Konzept für eine Energiewende wurde 1980 vom Öko-Institut vorgelegt. Es zeigte den Weg von den zentralisierten fossilen und nuklearen Energieträgern hin zu einer Effizienzrevolution und zu erneuerbaren Energien auf. Die darauf aufbauende Studie des Öko-Instituts „Die Energiewende ist möglich“ stellte 1985 der bis heute vorherrschenden Großraumverbundwirtschaft die Machbarkeit einer vorrangig dezentralen Stromwirtschaft mit maßgeblicher Beteiligung der Kommunen (Rekommunalisierung) entgegen.
1990 debattierte auch der Bundestag ein konkretes Konzept der Energiewende, das auf der Basis umfangreicher Studien die klimaschädlichen Treibhausgase bis zum Jahr 2005 um 33 Prozent gesenkt hätte und es gleichzeitig zu einem Atomausstieg gekommen wäre. Diese Konzepte sind lange Zeit ignoriert oder als unrealistisch hingestellt worden. Dennoch gab es durchaus wichtige Einzelschritte: In den Neunzigerjahren wurde das Stromeinspeisegesetz beschlossen, das von der kostengerechten Vergütung für erneuerbare Energien ausging. Im letzten Jahrzehnt kam es zu einem konsensualen Vertrag mit den vier deutschen Betreibern über einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022, weil der Mut zu einem schnellen gesetzlichen Ausstieg fehlte. Schließlich wurde 2002 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen, das zu einem enormen Auftrieb von Windenergie, Fotovoltaik und Biogas führte.
Doch bis heute gibt es kein umfassendes Konzept der ökologischen Erneuerung der Energieversor-gung, das sich am Leitziel der Nachhaltigkeit orientiert. Stattdessen blockieren die unterschiedlichsten Interessen die sozialökologische Transformation. Dadurch ist auch die EU-Kommission als neuer Player ins Spiel gekommen, obwohl es bis heute keine europäische Energiepolitik gibt. Dort wird im Gegenteil eine Energiewende blockiert, weil die Mehrheit der EU-Staaten entweder auf Kohle- oder Atomstrom setzen. Der deutsche Energiekommissar unterstützt die Energiewende nicht, stattdessen will der Wettbewerbskommissar die Energiewende erschweren, weil es unter Schwarz-Gelb zu einer maßlosen Ausweitung der Befreiung von Unternehmen von der EEG-Umlage gekommen ist. Auch wird angesichts der Umlagekosten für die erneuerbaren Energien versucht, das EEG durch ein Optionenmodell zu ersetzen, was die Breite und Dynamik des deutschen Weges gefährden würde.
Der Ausstieg aus der nuklearen oder fossilen Energieversorgung ist der Kern der Energiewende. Es ist ein politisches Projekt und muss ein politisches Projekt bleiben.