Die Tage sind wieder länger, heller und wärmer. Das Frühjahr ist die rechte Zeit, wieder regelmäßig in die Pedale zu treten. Die rechte Zeit, um das Fahrrad auf Dauer zum bevorzugten Verkehrsmittel zu machen – und persönlich eine kleine Verkehrswende zu vollziehen. Radfahren macht Spaß, ist gesund und preiswert. Radfahrer*innen produzieren keine Treibhausgase und keine gesundheitsschädlichen Abgase. Ein Fahrrad ist weitgehend emissionsfrei und stellt bei der Vermeidung von Feinstaub und Lärm alle anderen Verkehrsmittel in den Schatten. Also: Hinaus und rauf aufs Rad!
Für echten Klimaschutz und eine echte Verkehrswende ist der Umstieg von Autofahrer*innen aufs Rad unerlässlich. Bei der Vermeidung von Treibhausgasemission sind das Fahrrad und auch das E-Bike oder Pedelec nicht nur dem Auto mit Verbrennungsmotor, sondern auch dem Elektroauto haushoch überlegen. Das Rad wird auch überlegen bleiben, wenn der gesamte Strom regenerativ produziert wird. Städte, in denen ein Großteil der Menschen mit dem Rad unterwegs ist, sind lebenswerter. Dort gibt es weniger Verkehrslärm und weniger Staus. Radfahrer*innen benötigen unterwegs und beim Parken weit weniger Fläche als ein Auto. In vielen deutschen Städten hat sich die Bedeutung des Radverkehrs in den vergangenen Jahren erhört. Zunehmend sind auch Lastenräder, Cargo-E-Bikes sowie Mütter oder Väter mit Kinderanhängern unterwegs.
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Die Corona-Pandemie bescherte der deutschen Fahrradbranche zudem einen regelrechten Boom. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes hat der Fahrradhandel im ersten Corona-Jahr die Produktion und seine Lagerbestände vollständig verkauft. 2020 wurden in Deutschland 2,1 Millionen Fahrräder und 1,1 Millionen E-Bikes abgesetzt, gut neun Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Viele Bundesbürger*innen stiegen aus Gründen des Infektionsschutzes von öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Rad, aber leider oft auch aufs Auto um. Das Radeln wurde oft zum Ersatz für Sportarten, die wegen der Pandemie nicht mehr ausgeübt werden konnten. Im vergangenem Jahr wurden dann die zumeist in Fernost produzierten Fahrradteile knapp. Käufer*innen müssen sich seither auf monatelange Lieferzeiten einstellen. Eine Entspannung bei der Lieferung von Fahrradteilen erwartet die Branche erst Ende 2022.
Damit der Radboom langfristig mehr Radverkehr nach sich zieht, müssen vor allem die Städte eine ausreichende und sichere Infrastruktur für Radler*innen schaffen. Ein verbundenes Netz aus Fahrradstraßen, Radschnellwegen und anderen vom Autoverkehr getrennten Radwegen sowie genügend Abstellplätze müssen entstehen. Zudem sind bestehende Radwege tatsächlich befahrbar zu machen. Dass sich die Fahrradinfrastruktur auch preiswert und ohne Flächenverbrauch verbessern lässt, hat etwaBerlin gezeigt, das rechte Spuren mehrspuriger Straßen einfach zu Radwegen machte. Auch für Radwege gilt, dass ein guter Verkehrsweg in der Regel für dessen Nutzung sorgt.
Gesund im Alltag unterwegs
Dass Radfahren die Gesundheit fördert, ist eine vielfach wissenschaftlich untermauerte Binsenweisheit. Unsere typischen Zivilisationskrankheiten gehen in erster Linie auf Bewegungsmangel, Überernährung, Stress und Umweltbelastungen zurück. Wer einen Teil seiner Wege mit dem Fahrrad zurücklegt, bewegt sich mehr, verbrennt mehr Kalorien, beugt der Überernährung vor.
Auch beim Stressabbau kann der regelmäßige Tritt in die Pedale helfen. Gegenüber anderen Ausdauersportarten mit ähnlichen Effekten hat das Radeln in der Regel den Vorteil, dass es einfach in den Alltag zu integrieren ist – etwa durch regelmäßiges Pendeln mit dem Rad zur Arbeit. Wie das Schwimmen erlaubt das Radfahren ein Muskeln und Gelenke schonendes Training. Regelmäßiges Radeln hat bei Bluthochdruck einen senkenden Effekt.
In Dänemark und in Großbritannien durchgeführte Studien sahen bei Pendler*innen, die mit dem Rad zur Arbeit fuhren, ein gegenüber Pendler*innen, die das Auto oder öffentliche Verkehrsmittel nutzten, erheblich vermindertes Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken. Nicht mehr ganz fitte Menschen können ihren Kreislauf auch gut mit dem E-Bike trainieren.
Das Radeln ist abgasfrei und trägt allenfalls minimal – durch Abrieb von Bremsen und Reifen – zu den schädlichen Emissionen des Verkehrs bei. Radfahrer*innen, die im Stadtverkehr unterwegs sind, atmen aber häufig weit mehr Stickoxide und Feinstaub ein, als durch Filter in Klimaanlagen geschützte Autofahrer*innen, die selbst ein Hauptverursacher dieser Schadstoffe sind. Messungen in Berlin haben allerdings gezeigt, dass schon gesonderte Radfahrstreifen die Schadstoffbelastung beim Radfahren senken. Solange Rad- und Autoverkehr nicht getrennt und bei den Autos vorwiegend Verbrenner unterwegs sind, sollten Radfahrer*innen noch individuell iduell möglichst großen Abstand zum Auspuff halten und dort, wo entsprechende Radwege fehlen, verkehrsarme Nebenstraßen nutzen.
Die räumliche Trennung von Rad- und Autoverkehr ist nicht nur erforderlich, weil Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren den Straßenverkehr noch lange Zeit dominieren. Radfahrer*innen, die im Autoverkehr unterwegs sind, können sich auch schwer vor allen Gefährdungen schützen. Selbst wenn sie Helm tragen, sich an die Verkehrsregeln halten und vorausschauend unterwegs sind. Der Anteil der Radfahrer*innen an allen Verkehrstoten ist im letzten Jahrzehnt erheblich gestiegen. In Deutschland sank die Zahl der Verkehrstoten von 3.648 im Jahr 2010 auf 2.719 im Jahr 2020. Im gleichen Jahrzehnt erhöhte sich die Zahl der bei Verkehrsunfällen getöteten Radfahrer*innen von 381 auf 426, der Anteil der Radfahrer*innen an allen Verkehrstoten wuchs von 2010 bis 2020 von gut zehn auf gut fünfzehn Prozent.
Keine politische Wende in Sicht
Verlässliche Aussagen zur Länge des Radwegenetzes in Deutschland gibt es nicht. Beim Statistischen Bundesamt heißt es dazu, es gebe weder eine eindeutige Definition von Radwegen, noch habe das Amt die Aufgabe deren Länge zu erfassen. In der Tat gibt es Radwege oder Radfahrstreifen auf Fahrbahnen, neben Fahrbahnen und auf Fußwegen und zudem Radwege, die auch Fußgänger*innen benutzen dürfen. Nach Angaben des „Radnetzes Deutschland“, das beim Bundesamt für Güterverkehr das Radwegeprogramm des Bundes umsetzt, haben die bundesweit 13 Premium-Fernradwege eine Gesamtlänge von 12.500 Kilometern.
Bau und Bereitstellung von Radwegen sind in erster Linie Aufgabe der Länder und Kommunen. Entlang der Bundesstraßen ist aber der Bund zuständig. Er hat bislang rund 15.700 der insgesamt rund 38.000 Kilometer Bundesstraßen mit Radwegen ausgestattet. Im Schnitt findet sich an den Trassen der Bundesstraßen zu 41 Prozent ein Radweg, wobei es große Unterschiede zwischen dem bergigen Süden und dem flachen Norden gibt. In Baden-Württemberg gab es zuletzt lediglich an 17 Prozent der Bundesstraßenkilometer einen Radweg, in Schleswig-Holstein dagegen an 78 Prozent.
Der Bund fördert zudem Modellvorhaben des Radverkehrs und bezuschusst den Ausbau des Radwegenetzes. Insgesamt haben sich die für den Radverkehr im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel von 166 Millionen Euro im Jahr 2018 auf 434 Millionen Euro im Jahr 2021 erhöht. Diese Hauhaltsmittel wurden aber nur zum Teil auch ausgegeben. Die in den letzten vier Bundeshaushalten eingestellten Mittel für Modellvorhaben und Radschnellwege wurden nicht einmal zu zehn Prozent tatsächlich verausgabt, die übrigen für Radverkehrspläne reservierten Gelder nur zu rund einem Drittel. Nur die jeweils rund 100 Millionen Euro für Radwege an Bundesstraßen verausgabte der Bund annähernd vollständig.
Wer sich von der Ampelkoalition im Bund nun einen kräftigen Anschub für den Radverkehr erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Verkehrswende, die Grüne und SPD in ihren Wahlprogrammen angekündigt hatten, schrumpfte im Koalitionsvertrag zu einer Antriebswende.
Die neue Fortschrittskoalition hat sich vor allem als Ziel gesetzt, der Autoindustrie durch Elektrifizierung eine Zukunft in der Klimakrise zu sichern. In Sachen Radverkehr verspricht der Koalitionsvertrag nur, den im April vergangenen Jahres beschlossenen „Nationalen Radverkehrsplan umzusetzen und fortzuschreiben“ und die entsprechenden Mittel bis 2030 abzusichern. Die Ampelkoalitionär*innen setzen hier auf Kontinuität.
NaturFreund*innen, die mehr erwartet hatten, bleibt in jedem Fall die Möglichkeit, mehr Nachfrage nach Radwegen zu schaffen. Also: Das Rad technisch überprüfen oder instand setzen (lassen). Für die täglichen Wege möglichst sichere und abgasfreie Routen heraussuchen, dabei im Zweifelsfall ruhig einen Umweg in Kauf nehmen. Und dann voller Freude: „Hinaus und rauf aufs Rad!“.
Jürgen Voges