Michael Müller im Interview über den 32. Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands
Vom 25. bis zum 27. April tagt in Kaiserslautern der Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands. Im Interview erklärt der NaturFreunde-Bundesvorsitzende Michael Müller, was das Kongressmotto bedeutet, wie sich der Verband in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen positionieren möchte, wie es mit der Verbandsentwicklung weitergeht und auch, was er ganz persönlich vom Kongress erwartet.
Der 32. Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands steht unter dem Motto „Unsere Zeitenwende: Frieden mit Mensch und Natur“. Was war der Anstoß für dieses Leitthema – und was soll es in der aktuellen Lage vermitteln?
Michael Müller: Wir NaturFreunde kritisieren den Militarismus, der in den letzten drei Jahren immer stärker geworden ist und setzen unser Verständnis einer Zeitenwende dagegen. Denn die eigentlichen Herausforderungen unserer Zeit sind nicht militärische, sondern soziale und ökologische Fragen sowie die Bewahrung und Stärkung der Demokratie. Trotzdem geben viele Staaten heute weit mehr Geld für das Militär aus als zum Beispiel für den Klimaschutz. Das ist schon verrückt. Wir zeigen Alternativen auf.
Im Antragsheft fordert der Bundesvorstand unter anderem eine neue Friedens- und Entspannungspolitik. Wie positioniert sich der Verband damit im Kontext aktueller geopolitischer Spannungen?
Alle wichtigen Zukunftsaufgaben sind nur in Kooperation zu bewältigen. Das ist ganz wichtig zu verstehen. Noch Ende des letzten Jahrhunderts war dieser Ansatz sowohl die Leitidee der Vereinten Nationen als auch für Europa.
Insofern stellt sich die Frage, was da eigentlich passiert ist nach dem Fall der Mauer – oder auch nach 2001, als Wladimir Putin im Bundestag von allen Parteien noch große Zustimmung bekam. Es gibt Bedrohungsängste auf beiden Seiten, die niemals ernsthaft abgebaut wurden. Und jetzt haben wir Krieg in Europa. Krieg aber hat eine gewisse Eigendynamik und schafft dabei Stimmungen, die ihn zur scheinbaren Normalität machen. Dabei darf Krieg niemals normal werden.
Der Bundesvorstand möchte zudem zwei Resolutionen verabschieden: „Es bleibt dabei: Nein zur Atomenergie!“ und „Klimaschutz: Unter 1,8 Grad Celsius Erderwärmung bleiben!“. Was ist der Zweck dieser Resolutionen?
Auch damit beziehen wir Position in aktuellen Fragen. Bei der Atomenergie gibt es ja die verrückte Idee, sie „zurückholen“ zu wollen, obwohl eine Mehrheit absehbar vom Netz geht. Tatsächlich gibt es auch einige Länder, die neue Atomkraftwerke bauen wollen. Aber die sind entweder unglaublich teuer, wie Beispiele in Finnland, Frankreich oder Großbritannien zeigen. Oder die Atomkraft wird aus militärischen Gründen vorangetrieben, zum Beispiel in der Türkei, in arabischen Staaten oder auch in Weißrussland. Das kann kein Weg sein und wir warnen davor.
Dann der Klimaschutz: Die Erderwärmung auf unter 1,8 Grad zu halten, wäre mittlerweile schon eine gewaltige Anstrengung. Aber der neue Koalitionsvertrag ist weit davon entfernt, dieses Ziel zu unterstützen. Dabei sind schon bei 1,8 Grad gefährlichen Kipppunkte im Klimasystem zu erwarten, die den globalen Erhitzungsprozess ungeheuer beschleunigen können. Deshalb warnen wir auch davor.
Mehrere Anträge setzen sich für eine klare Haltung gegen Rechts und für Demokratieförderung ein. Welche Rolle siehst du für den Verband in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft?
Es ist richtig, eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus und Nationalismus zu zeigen. Das neue völkische Denken ist erschreckend. Aber es reicht nicht, nur zu protestieren. Die AfD ist nicht zuletzt deshalb stark, weil es an einer überzeugenden Politik fehlt, die den Menschen Sicherheit und Zukunftsvertrauen gibt. Außerdem fehlt es an Gerechtigkeit nach innen in die Gesellschaft hinein.
Nicht zuletzt müssen die „bindungslose Individualisierung" hinterfragt und neue Solidarstrukturen gestärkt werden. Der Kapitalismus ist, wie die Sozialwissenschaftlerin Nancy Fraser ausgeführt hat, ein „Allesfresser“. Den kann man nur solidarisch bekämpfen.
Mit der vom letzten Bundeskongress beschlossenen Kampagne 100.000 verfolgen die NaturFreunde seit bereits drei Jahren ein ambitioniertes Ziel. Was kann dieser Bundeskongress hier leisten?
Wir haben gleich am ersten Kongresstag Arbeitsgruppen geplant, die sich unter anderem mit dieser Frage beschäftigen. Ich glaube, wir müssen uns einfach mal ganz unkompliziert auf den Weg machen. Jeder und jede NaturFreund*in möge pro Jahr zwei bis drei neue Mitglieder werben, zum Beispiel im Familien- und Bekanntenkreis. Wenn wir dann noch häufiger darüber sprechen, dass wir ein Verband der Hoffnung sind, also genau das bieten, wonach viele Menschen suchen, wird das was.
Der Kongress wird sich auch mit der Anpassung von Beiträgen befassen. Wie bewertest du diese Vorschläge?
Je mehr neue Mitglieder wir gewinnen, desto leichter werden auch diese Fragen. Im Augenblick kommen wir nicht an Erhöhungen vorbei. Dabei suchen wir zusammen mit den Landesvorsitzenden nach Wegen, wie dies möglich werden kann. Und auch hier kann die Frage der Mitgliedergewinnung der Schlüssel sein.
Zum Abschluss: Was wünschst du dir persönlich vom Bundeskongress in Kaiserslautern?
Ich wünsche mir einen diskussionsstarken Kongress, bei dem wir in breiter Form aufeinander zugehen und Zukunftsperspektiven zeigen. Ich hoffe dabei auf viele ansteckende Ideen, die nach außen wirken.
Interview Samuel Lehmberg