Ein Interview mit dem renommierten Klimaforscher Mojib Latif
Herr Professor, der Hitzesommer brachte die Erderwärmung zurück auf die Agenda. Obwohl es um Wetter ging, fragten die Medien „Ist das schon der Klimawandel?“ – ist er es?
Mojib Latif: Ich vergleiche das gern mit einem gezinkten Würfel: Wenn wir die Sechs auf einem Würfel zinken, dann kommt die Sechs häufiger. Natürlich wurde sie auch schon davor gewürfelt, aber jetzt kommt die Sechs so oft, dass man mißtrauisch wird und sieht: Der Würfel ist manipuliert. So ist das auch mit den hohen Temperaturen: Hitzesommer hat es schon immer gegeben. Aber wenn wir uns die Anzahl der Hitzetage seit Beginn der Messung vor 100 Jahren ansehen, dann erkennen wir eben, dass auch der Wetterwürfel inzwischen gezinkt ist: Der Mensch bringt das Klima außer Takt.
Über Kippelemente wurde dagegen kaum berichtet. Gibt es genügend Aufmerksamkeit für das Problem?
Nein, viel zu wenig. Dabei stellen sie eine reale Gefahr dar, wie wir am Permafrost sehen können: Die Grenze der dauergefrorenen Erde hat sich bereits Dutzende Kilometer Richtung Norden verschoben. Dort, wo der Boden auftaut, brechen nicht nur Straßen oder Fundamente zusammen, es werden auch Treibhausgase frei.
Obwohl die Gefahr groß ist, passiert wenig: Deutschland wird sein Klimaziel nicht schaffen, also nicht seine Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 senken, sondern vermutlich nur um 30 Prozent. Warum passiert so wenig?
Aus Angst. Die Politik hat genauso Angst vor Veränderung wie die Gesellschaft. Die Kohle ist das beste Beispiel: Wir haben uns viel zu lange auf den alten Strukturen ausgeruht. Dabei wissen wir seit Jahrzehnten, dass diese Strukturen nicht zukunftsfähig sind. Statt jetzt aber voranzugehen, zu gestalten, traut sich die Politik nicht ran an den Strukturwandel: So wird die Kohle verehrt, obwohl sie gestrig ist und uns die Probleme der Zukunft verursacht.
Immerhin gibt es jetzt eine Kohle-Kommission.
Die nicht einmal so heißen darf. Machen wir uns nichts vor: In dieser Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ geht es hauptsächlich um Geld. Die Kohleländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen versuchen, den politischen Preis für den Kohleausstieg hochzuschrauben. Um Klimaschutz geht es denen erst an zweiter Stelle.
Was müsste denn passieren, damit der Klimaschutz endlich vorangeht?
Wir brauchen eine Energiewende, eine Agrarwende und eine Mobilitätswende. Bislang wurde allenfalls die Stromwende angegangen, Wärme zum Beispiel wird immer noch zum überwältigenden Teil fossil gewonnen. Die Landwirtschaft ist enorm ineffizient, sie verbraucht gigantische Ressourcen und heizt dem Klima ein. Bei der Mobilität ist es noch schlimmer: Im Verkehr steigen die Kohlendioxid-Emissionen seit dem Jahr 2010 sogar wieder! Statt sich auf die Zukunft einzustellen, betrügen die Autokonzerne lieber. Du kannst aber die Mobilität von morgen nicht aufhalten. Die großen Telefongesellschaften haben früher auch gesagt: Mobiltelefone, so ein Quatsch! Die sind zu groß, die braucht kein Mensch.
Zurück zu den Kippelementen: Was kann uns denn Hoffnung machen, die Katastrophe noch aufzuhalten?
Das Paris-Abkommen! Da steht explizit drin, dass die Erderwärmung auf unter zwei Grad begrenzt werden soll. Natürlich ist die Umsetzung des Abkommens eine notwendige Voraussetzung.
Wonach es derzeit nicht aussieht: Die Menschheit steuert eher auf drei bis vier Grad zum Ende des Jahrhunderts zu.
Das stimmt leider. Ich hoffe aber auf Dinge, an die heute noch kein Mensch denkt. Ich bin ja schon ein bisschen älter: Wenn mir vor 40 Jahren jemand gesagt hätte, der Kalte Krieg geht vorbei und Deutschland wird wiedervereinigt, hätte ich ihm gesagt: Du spinnst. Und dann gibt es den Siegeszug der Erneuerbaren: Die Technologien sind in kürzester Zeit so ausgereift, so preiswert geworden, dass heute weltweit mehr in Erneuerbare investiert wird, als in konventionelle Technologien.
Angesichts der Gefahr können wir aber schlecht darauf warten, dass „Dinge“ geschehen. Was sollte jede_r Einzelne tun?
Seine oder ihre persönliche Energiewende machen! Zu einem Ökostromanbieter zu wechseln, ist heute kein großes Ding mehr. Viel teurer ist der Grünstrom auch nicht. Wer das Fahrrad statt das Auto nutzt, tut nicht nur was fürs Klima, sondern auch für den Body. Und von Frankfurt nach Hamburg zu fliegen, statt die Bahn zu nehmen, das ist einfach nur Unsinn. Wir haben es bei der Erderwärmung aber mit einem kollektiven Problem zu tun, dass wir auch nur als Kollektiv lösen können – sprich: Wir müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern. Statt die Bahn an die Börse bringen zu wollen, müsste sie vielmehr so kundenfreundlich werden, dass es einfach preiswert, bequem und chic wird, Bahn zu fahren statt Auto und Güter auf der Schiene zu transportieren.
Wie bekommen wir das hin?
Indem wir uns informieren! Wer die Probleme des Klimawandels kennt, der wird sich engagieren. Jede und jeder kann etwas bewegen: sich einmischen, Menschen überzeugen, den Nachbarn, die Politik, das Kollektiv.
Interview: Nick Reimer