Nach dem Regen

Die Klimaerhitzung und Physik machen Wetterkatastrophen wahrscheinlicher

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„Ist das noch Wetter oder doch schon der Klimawandel“, fragte der Bayerische Rundfunk Anfang Juli, als ein „Jahrhundertunwetter“ in Landshut schwere Schäden verursachte. Das oberbayerische Wolfratshausen wurde von golfballgroßen Hagelkörnern verwüstet, in fast allen Regierungsbezirken des Freistaates gab es umgestürzte Bäume, vollgelaufene Keller, gesperrte Bahnstrecken. Dabei hatte Greenpeace 2002 in einer Analyse bereits nachgewiesen: Ja, der Klimawandel ist in Deutschland angekommen.

Damals hatte eine sogenannte Vb-Wetterlage die Elbeflut ausgelöst. Und so ein Wetterereignis – im letzten Jahrhundert noch extrem selten – bestimmt nun immer häufiger unser Leben. Die katastrophalen Unwetter Mitte Juli in Westdeutschland, etwa an Ahr und Erft, kosteten mehr als 180 Menschen das Leben. Die Wissenschaft erklärt zwar immer wieder, dass ein einzelnes Wetter nicht belegen kann, dass der Klimawandel längst da ist. Allerdings erklärt sie auch, dass die Mechanismen einer veränderten
Erdatmosphäre dafür sorgen, dass sich Wetter bei uns verändert.

Warum wärmere Luft für mehr Wetterextreme sorgt

Physikalisch betrachtet sind die zunehmenden Starkregenereignisse logisch: Wärmere Luft kann mehr Wasser speichern, pro Grad zusätzlich saugt sie sieben Prozent mehr Feuchte auf. Deutschland hat sich nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes seit 1881 bereits um 1,6 Grad erhitzt. Die Zahl der Tage, an denen die Temperatur über 30 Grad Celsius steigt, hat sich im gleichen Zeitraum fast verdreifacht. Seit dem Jahr 2001 haben dann die Starkregenereignisse deutlich zugenommen.

Mehr in der Luft gespeichertes Wasser bedeutet mehr Energie, mehr Zerstörungskraft: Anfang Juni 2016 löste in Simbach am Inn ein Extremregen ein tausendjähriges Hochwasser aus, im Fachjargon „HQ 1000“. Derartige Wetter waren statistisch bislang nur einmal in eintausend Jahren möglich. Aber nach dem Jahrhundert-Hochwasser 2002 folgte im Elbtal 2013 schon die nächste Jahrhundertflut mit Pegelständen von bis zu zehn Metern.

Dem Jetstream geht die Luft aus

Neben „mehr gespeichertem Wasser“ ist auch der Nordpol an unseren neuen Wetterextremen „Schuld“. Beziehungsweise der Jetstream, ein Höhenwind, der mit bis zu 540 Kilometern pro Stunde zwölf Kilometer über unseren Köpfen hinweg pfeift. Wie eine endlose Sinuskurve mäandert er von West nach Ost über die Nordhalbkugel. Die Wellenbewegung treibt Hoch- und Tiefdruckgebiete weiter und bestimmt so unser Wetter. Angetrieben wird der Jetstream von der Temperaturdifferenz der Tropen zur Arktis. Allerdings erhitzt sich der Nordpolarraum viel stärker als die meisten anderen Weltgegenden, das arktische Meereis schrumpft dramatisch. Und inzwischen treibt sich die Entwicklung selbst an: Denn helles Eis reflektiert viel Sonnenlicht zurück ins All. Ist das Eis jedoch geschmolzen, absorbiert der darunter zum Vorschein kommende dunkle Ozean die Strahlungsenergie. Die Arktis wird wärmer, noch mehr Eis schmilzt, die Temperaturdifferenz sinkt immer weiter: ein Teufelskreis. Der uns extremeres Wetter beschert. „Dieses Starkwindband gilt eigentlich als Motor für die Hoch- und Tiefdruckgebiete“, sagt die Meteorologin Verena Leyendecker. Weil der Antrieb aber geringer wird, „kommen die Hochs und Tiefs nicht mehr voran“, erklärt die Expertin vom Dienst WetterOnline. „Deshalb lag das Tief ‚Bernd‘ so lange bei uns und hat uns so lange diesen Niederschlag gebracht.“

Das gemäßigte Klima in Deutschland gerät also aus den Fugen. Und weil sich das Schmelzen der Arktis immer weiter beschleunigt, sind die Bilder der Unwetterkatastrophe im Juli nur eine Vorahnung auf das, was kommt. Denn der durcheinandergeratene Jetstream sorgt nicht nur für mehr Regen, sondern auch für mehr Hitze und Dürre. 2018 war der Höhenwind für den ausbleibenden Regen in Deutschland genauso verantwortlich wie 2019 für die Extremtemperaturen. Der lahmende Jetstream hat auch dafür gesorgt, „dass es in den USA so extrem heiß war“, sagt Meteorologin Leyendecker. Im Südwesten wurden im Juli mehr als 50 Grad gemessen.

Nick Reimer