Ein Beschluss des 31. Bundeskongresses der NaturFreunde Deutschlands
Internationale Zusammenarbeit hat bei den NaturFreunden eine lange Tradition und ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit. Zu unserer Geschichte gehören Internationale Arbeiter*innensporttreffen im Rahmen der Naturfreunde Internationale (NFI) genauso wie Solidaritätsaktionen mit Vietnam oder Nicaragua. Ihre internationale Arbeit haben die NaturFreunde immer als einen Beitrag zu Frieden und Völ- kerverständigung begriffen, das gegenseitige Kennenlernen und bessere Verstehen standen im Mittelpunkt.
Angesichts von Klimawandel und globaler Umweltzerstörung, angesichts von globaler Ungerechtigkeit, aber auch angesichts der Versuche neue Grenzen zu entwickeln, müssen wir NaturFreunde unsere internationale Zusammenarbeit auf neue Grundlagen stellen. Die NaturFreunde sind sich bewusst, wie stark der europäische Kolonialismus und (Kolonial-) Rassismus die Globalisierung geprägt haben und weiter prägen und setzten sich darum für eine Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte sowie den Kampf gegen Rassismus ein. Die gerechte Gestaltung der Globalisierung ist unser Ziel, für das wir uns im Zusammenhang mit einer sozial-ökologischen Transformation einsetzen. Dabei bleibt ein wichtiger Teil unserer Arbeit das Zusammenführen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und das Eintreten für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Die NaturFreunde stehen für ein offenes und solidarisches Miteinander und bieten Räume für interkulturellen Austausch und gesellschaftliche Diskurse.
Unsere Beweggründe
Die NaturFreunde streben eine sozialökologische Transformation an. Wir zeigen auf, dass ein anderes Zusammenleben möglich ist, ja entstehen muss um unsere gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen. Eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Gesellschaft ist ein stabiler Frieden, in dem wir seit vielen Jahrzehnten zumindest innerhalb der Europäischen Union leben. Gleichzeitig sind Deutschland und die Europäische Union in viele militärische Auseinandersetzungen außerhalb der EU involviert. Durch ihre neoliberale Außenwirtschaftspolitik, durch die aggressive Rüstungsexportpolitik und durch ihren Rohstoffhunger tragen die EU und ihre Mitgliedstaaten zur Verschärfung von Konflikten in vielen Regionen der Welt bei. In der internationalen Zusammenarbeit sichert sich Deutschland über die Europäische Union auch das angebliche Recht und die Macht, andere Länder, insbesondere des Globalen Südens, für seine Zwecke auszunutzen. Stabilität in Ländern des Globalen Südens wird nicht angestrebt, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, sondern um Ressourcensicherheit für die Länder Europas zu erreichen und Absatzmärkte zu erschließen. Hier muss ein Umdenken erfolgen. Außenpolitik muss in erster Linie Friedenspolitik sein und es darf nicht der wirtschaftspolitische Gedanke Vorrang haben. Die NaturFreunde beschäftigen sich daher insbesondere mit den außenpolitischen Handlungsweisen der Europäischen Union – sowohl mit Blick auf die Länder des Globalen Südens als auch gegenüber Partner*innen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Wir setzen uns gegen jede Form des Kolonialismus ein und kämpfen für faire Handelsbeziehungen.
Auch der Umgang mit Migration ist für uns ein Aspekt der Außenbeziehungen. Dass große Migrationsbewegungen die Folge von ungleichen Lebensbedingungen sind und durch die europäische Außenpolitik der Machtsicherung mitverursacht werden, steht für uns außer Frage. Es kann daher nicht die Lösung sein, die Augen zu verschließen und Migrant*innen abzuweisen oder auf ihrem Weg nach Europa menschenunwürdigen Bedingungen zu überlassen. Ziele unserer internationalen Arbeit sind ein übergeordneter Einsatz für Reise- und Bleibefreiheit für alle Menschen und ganz konkret der Austausch von Best Practices, das gemeinsame Lernen voneinander sowie die Schaffung einer guten Lebenssituation in den Herkunftsländern.
Unsere internationale Arbeit basiert auf einer engen Kooperation und Zusammenarbeit im Rahmen der NFI. Wir NaturFreunde vernetzen uns multilateral mit Partnerorganisationen über die NFI und sehen in einem gemeinsamen Eintreten für unsere Werte einen wichtigen Baustein unserer Arbeit. Darüber hinaus engagieren wir uns in der bilateralen Arbeit mit unseren direkten und indirekten Nachbarn innerhalb Europas. So sind zum Beispiel die langjährige Deutsch-Französische Zusammenarbeit, der Austausch mit unseren tschechischen Partner*innen oder Kooperationen mit NaturFreund*innen in Österreich und der Schweiz für uns der gelebte Grundgedanke der NaturFreunde-Bewegung.
In einem Europa, in dem nationale Interessen mehr und mehr in den Vordergrund treten und Staaten unfähig sind, globale Themen auch global anzugehen und nicht nur ihre Partikularinteressen vertreten, ist der Gedanke der internationalen Solidarität wichtig wie nie.
Eine besondere Rolle spielt seit mehr als 20 Jahren die Zusammenarbeit mit den NaturFreunden Afrikas. Am Anfang stand das Kennenlernen über Begegnungsreisen im Mittelpunkt, schnell wuchs die Erkenntnis, dass der Lebensstil in Europa und den Industrieländern des Nordens auf Kosten der Menschen in Afrika geht, und es entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit im Rahmen vieler Projekte. Unsere Idee einer gerechten Welt schließt den Einsatz für gerechte Lebensbedingungen in Ländern des Globalen Südens mit ein, zudem sind uns die Folgen des europäischen Kolonialismus bewusst und wir setzen uns aktiv mit unseren Schwesterorganisationen damit auseinander.
Unsere Aktivitäten
Der Grundsatz unserer internationalen Zusammenarbeit ist die Begegnung auf Augenhöhe. Wir fördern den Austausch, das unmittelbare Kennenlernen und die Entwicklung eines Verständnisses füreinander zwischen internationalen Partner*innen durch Reisen in Partnerländer und Begegnungen vor Ort in Deutschland. Gleichzeitig ist uns globales Lernen ein wichtiges Anliegen. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Reisen in die Breite zu tragen und in lokalen NaturFreunde-Zusammenhängen erlebbar zu machen, ist ebenso Bestandteil unserer internationalen Arbeit.
Gemeinsam mit Partner*innen entwickeln wir Projekte, die über Jahre wachsende Kooperationen bilden. Hierbei ist uns vor allem die Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen vor Ort wichtig. Wir setzen uns für eine freie und starke Zivilgesellschaft weltweit ein, die demokratische Strukturen und ihre Rechte einfordert und mitgestaltet.
Die Herausforderungen
- Die Entsolidarisierung innerhalb Europas und die Klimakrise, die nur unter solidarischem Einsatz der Weltgemeinschaft bewältigt werden kann, stellen auch unsere Internationale Arbeit vor neue Herausforderungen und Fragen:
- Wir müssen uns den Fragen der innereuropäischen Solidarität nicht nur im eigenen Verband stellen: Wie verhalten wir uns zu sozialen und ökologischen Gefällen in der EU? Wie kann eine solidarische Europäische Integration für wirtschaftlich schwächere Staaten aussehen? Wie gehen wir in Deutschland mit Zuwander*innen aus anderen EU-Mitgliedstaaten um?
- Flugreisen sind besonders klimaschädlich. Wie können wir internationale Begegnungen weiterhin gewährleisten? Sie sind das Rückgrat der Freundschaften, nur über den persönlichen Kontakt kann Vertrauen und Verständnis aufgebaut werden.
- Wir streben ein Miteinander auf Augenhöhe an, wobei wir uns mit unseren Partner*innen über unterschiedliche Perspektiven austauschen, gemeinsame Verständnisse entwickeln und strukturelle Ungleichheiten und damit verbundene unterschiedliche Möglichkeiten aktiv thematisieren.
- Wir fragen uns aber auch: Wie kann ein Miteinander auf Augenhöhe existieren, solange
- die meisten Fördergelder vom deutschen Partner kommen?
- eine Einreise für viele Freund*innen nicht möglich ist aufgrund von monetären und nicht monetären Hindernissen (zum Beispiel Visabedingungen)?
- die deutsche Politik und oft auch die NaturFreunde neokoloniale Ansätze nicht gänzlich überwunden haben?
Innerhalb unserer Strukturen setzen wir uns mit diesen Fragen und Auswirkungen unseres Tuns auseinander. Politisch streiten wir für eine offene Auseinandersetzung mit unseren Forderungen nach einer solidarischen, ökologischen und friedlichen (EU-) Außenpolitik, die faire Handelsabkommen anstrebt, die nicht auf Indikatoren der Wirtschaft basieren sondern Indikatoren des Gemeinwohls in den Fokus stellen. Im „Netzwerk NaturFreunde Global“ laden wir Aktive und Interessierte an der internationalen Arbeit zum Austausch ein.
Unsere Forderungen sind deshalb:
- Eine konsequente friedliche, solidarische und ökologische deutsche und EU-Außenpolitik.
- Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen unseres bisherigen Handelns, dem europäischen und deutschen Kolonialismus sowie strukturellem Rassismus.
- Die Schaffung und Erhaltung von Räumen für zivilgesellschaftliche Akteur*innen sowohl innerhalb wie auch außerhalb der EU muss nicht nur unser Ziel, sondern auch Ziel der politischen Aktivitäten der EU und Deutschlands sein. Wir nehmen stetig kleiner werdende Freiheiten und Möglichkeiten von Zivilgesellschaft nicht hin, stellen uns Einschränkungen und Behinderungen unserer Arbeit entschieden entgegen und fordern politische Unterstützung für unser Tun ein.
- Eine faire Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit den Interessen und Bedürfnissen unserer internationalen Partner*innen. Faire Handelsbedingungen, solidarische Zusammenarbeit und Verbesserung der Situation aller Partner*innen müssen dabei im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. Eine einseitige und rein wirtschaftlich orientierte Zusammenarbeit lehnen wir ab und fordern stattdessen eine Orientierung am Gemeinwohl.
- Als zivilgesellschaftliche Akteur*innen fordern wir die Ermöglichung unmittelbaren internationalen Austauschs und den Abbau von Hindernissen. Die Visavergabe darf nicht willkürlich erfolgen oder auf einer Bürgschaft zivilgesellschaftlicher, oft ehrenamtlich arbeitender Partner*innen basieren. Staatlich gewünschte Austausche dürfen für die Ausführenden nicht ein hohes finanzielles Risiko bedeuten.
Gemeinsam mit Gewerkschaften, der Friedensbewegung, sozialen und Umweltorganisationen sowie mit ihren internationalen Partner*innen wollen die NaturFreunde für internationalistische, gerechte, solidarische, ökologische und friedliche internationale Beziehungen streiten. Innerhalb des Bundesverbands werden die NaturFreunde hierzu Veranstaltungen anbieten, um eine offene innerverbandliche Diskussion zu fördern.
Verabschiedet vom 31. Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands, der vom 8.–10. Oktober 2021 in Falkensee bei Berlin tagte.