Umsatzzuwächse von 30 Prozent
„Können Sie eine vegetarisch-vegane Hochzeit für etwa 100 Personen ausrichten?“ Frank Braun vom Naturfreundehaus Teutoburg (D 10) in Bielefeld war dann doch einigermaßen überrascht über diese Anfrage. Immerhin kam das zukünftige Hochzeitspaar aus der Rockerszene und wollte in „Kutte“ heiraten – aber tatsächlich kein Schwein am Spieß?
Veggie boomt, das lässt sich nicht mehr leugnen. Seit dem Jahr 2006 hat sich die Zahl der Menschen, die sich vegetarisch ernährt, verdoppelt. Zudem gibt es immer mehr Verbraucher, die Tierprodukte komplett von ihrem Speiseplan streichen und vegan leben. Geschätzt sind das momentan 900.000 Menschen in Deutschland.
Parallel treten vegane Produkte und entsprechende gastronomische Angebote aus der Nische heraus und wachsen zu einem ansehnlichen Wirtschaftszweig. 2011 hatte der frühere Daimler-Manager Jan Bredack Europas erste vegane Vollsortiment-Supermarktkette gegründet. Dem „Veganz-Markt“ im hippen Berliner Prenzlauer Berg folgten acht weitere Läden. Bredack plant bis 2020 insgesamt 60 Filialen in Europa und den USA. Die Nachfrage ist eindeutig da.
Verbraucherwünsche haben sich verändert
Vor wenigen Jahren bestanden fleischlose Angebote häufig aus Salat und faden Beilagen. Das hat sich geändert: Selbst in kleinen Städten eröffnen vegetarische und vegane Lokale und sogar „normale“ Restaurants, Mensen und Kantinen richten sich auf die veränderten Verbraucherwünsche ein. Auch in Naturfreundehäusern wird vegetarische und vegane Verpflegung immer häufiger nachgefragt.
Alexander Thron, Naturfreundehaus Hannover
Im Handel verzeichnet das Veggie-Segment Umsatzzuwächse von gut 30 Prozent, weil die Verbraucher umdenken. Gut zwei Drittel wollen ihren Fleischkonsum senken. Tatsächlich ist der Verzehr von Fleisch und Wurst in den vergangenen Jahren messbar gesunken – von 70 Kilo Fleisch in den späten 1980ern auf etwa 58 Kilo im Jahr 2013. Tendenz: weiterhin rückläufig.
Das liegt auch an den „Flexitariern“. Dieses neumodische Wort bezeichnet Konsumenten, die einen bewussten Umgang mit tierischen Erzeugnissen pflegen: Wenn Fleisch, dann bitte qualitativ hochwertig. Mehrmals in der Woche wird aber bewusst vegetarisch oder auch vegan gegessen. Je nach Umfrage zählen sich bis zu 50 Prozent der Deutschen zu diesen „Teilzeit-Vegetariern“.
Der Trend zur vegetarischen und veganen Ernährung ist eingebettet in gesellschaftliche Megatrends, die die derzeitige Entwicklung erst möglich machten. So legen Verbraucher immer mehr Wert auf eine gesunde Ernährung. Die Transparenz bei der Auswahl der Produkte wird wichtiger und tatsächlich geben viele Menschen mit der Wahl ihrer Lebensmittel sogar ein gesellschaftliches Statement ab. Vegan ist nicht nur nachhaltig, sondern auch hip.
Dann ist da auch noch der Klimawandel, dessen Relevanz immer mehr Menschen bewusst wird. Und hier schneiden pflanzliche Nahrungsmittel als besonders klimafreundlich ab: Die Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch verursacht zum Beispiel mehr als zwölfmal so viel klimaschädliche Gase wie die vergleichbare Menge Tofu. Allerdings hinterlassen auch vegetarische Erzeugnisse wie fettreicher Käse einen sehr großen CO2-Fußabdruck.
Magdalena Jasinowska und Sabrina Kraus, Naturfreundehaus Finsterbrunnertal
Die Faustregel für eine klimafreundliche Verpflegung lautet deshalb, möglichst viel pflanzliche Produkte in seine Ernährung einzubauen. Das ist dann auch gesünder, denn momentan isst der durchschnittliche Verbraucher bis zu viermal so viel Fleisch, wie ihm eigentlich gut täte.
Kochschulung für Naturfreundehäuser
Frank Braun hat die Hochzeitsanfrage übrigens ganz gelassen zugesagt. Denn erst Ende letzten Jahres fand im Naturfreundehaus Teutoburg eine vegetarisch-vegane Kochschulung für Naturfreundehäuser statt, die gemeinsam von den NaturFreunden und dem Vegetarierbund organisiert worden war. Dort wurden knapp 20 Rezepte durchgekocht und viele Tricks und Hintergrundinformationen verraten. „Ich habe gesagt, ein vegetarisch-veganes Buffet machen wir gerne und so war die Hochzeitsfeier dann schnell beschlossen“, freut sich der Hausleiter.
Andreas Schneider, Berater im Auftrag des Vegetarierbundes Deutschland (VEBU) und Betreuer des Gastronomieportals www.gv-nachhaltig.de
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2015.