Eine Abrissbirne für Natura 2000

Verdacht: Das europäische Naturschutzrecht soll geschliffen werden

© 

Das europäische Schutzgebietskonzept NATURA 2000 wirkt. Auf einem Fünftel der Fläche Europas hat es ein funktionierendes und wissenschaftlich fundiertes Netzwerk besonders schützenswerter Lebensräume ins Leben gerufen. Natura 2000 ist das größte Schutzgebietsnetz weltweit und eine echte Erfolgsstory für den Artenschutz. Einige Arten, zum Beispiel die Wildkatze, der Kranich und der Biber konnten aufgrund der Natura-2000-Gebiete ein Comeback feiern.

Diese Schutzgebiete fußen auf zwei europäischen Regelwerken: der Vogelschutzrichtlinie und der Richtlinie für Flora-Fauna-Habitate (FFH). In Planungsbehörden und der Industrie sind diese mittlerweile breit akzeptiert. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen tragen sie zur Planungssicherheit bei.

Trotzdem plant die EU-Kommission diese beiden Naturschutzrichtlinien zu „modernisieren“. Kritische Beobachter befürchten jedoch, dass hier das europäische Naturschutzrecht geschliffen und 20 Jahre erfolgreiche Naturschutzpolitik zunichte gemacht werden sollen. Unter dem Deckmantel eines sogenannten „Fitness Checks“ schwingt eine sehr bedrohliche Abrissbirne für den europäischen Naturschutz.

Eine Lockerung oder gar Aufgabe der beiden Richtlinien wäre ökologisch geradezu fatal und europapolitisch ein Armutszeugnis. Denn die Natur kennt keine politischen Grenzen. Tatsache ist: Aus internationaler Perspektive kann die Schutzwürdigkeit einzelner Tiere und Pflanzen viel besser bewertet werden.

Die Lage der Natur ist dramatisch
Alle wissenschaftlichen Bestandsaufnahmen zeigen, dass die Lage der Natur dramatisch ist. Wir brauchen daher eine Umsetzungsoffensive. Dazu gehört zum Beispiel, dass als FFH-Gebiet ausgewiesene Flächen rechtlich geschützt werden und geeignete Managementmaßnahmen erhalten. Weil Deutschland hier aber schlampt, leitete die EU-Kommission erst kürzlich ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Damit droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Natura-2000-Gebiete brauchen klar formulierte Schutzziele und Managementpläne. Diese dienen dann als Handlungsleitfäden für Grundbesitzer und Nutzer sowie für öffentliche Verwaltungen, um die Pfl ege der Schutzgebiete zu ermöglichen und Nutzungen zu regeln.

Größte Bremser für den Naturschutz sind vielerorts Landwirte. Tatsächlich ist eine intensive Landwirtschaft mit FFH- und Vogelschutzgebieten nur schwer vereinbar. Der Bauernverband schürt deshalb immer wieder Vorbehalte und Ängste gegen Natura 2000 und hat sich so zu einem der größten Lobbyisten gegen den Naturschutz entwickelt. Vielen seiner Mitglieder ist diese Verbandspolitik leider überhaupt nicht bewusst. Gerade wir NaturFreunde dürfen nicht zulassen, dass das Natura-2000-Schutzgebietssystem seinen Biss verliert. Schließlich werben zum Beispiel unsere Natura Trails nicht nur für den Schutz der Natura-2000-Gebiete, sondern zeigen auch, welche Potenziale anspruchsvolle Naturschutzgebiete für den naturnahen Tourismus und die lokale Entwicklung beinhalten.

Bis Mitte Juli abstimmen für Natura 2000
Noch kann sich jeder in die aktuelle Diskussion einmischen und das Ergebnis des Fitness Checks beeinflussen. Bis Mitte Juli laufen sogenannte Online-Konsultationen, in denen sich Bürger und Verbände zu den Vorteilen von Natura 2000 äußern und das Aufbrechen des europäischen Naturschutzrechtes kritisieren können. Informationen zur Beteiligung hat das brandenburgische NaturFreunde-Fachreferat „Partizipation und Planungsrecht“ auf der Internetseite der NaturFreunde Brandenburg zusammengestellt. Informiert und beteiligt euch! Denn wenn EU-Kommission und -Parlament voraussichtlich im Jahr 2016 über die Zukunft des europäischen Naturschutzes beraten, sollten sich nicht nur Agrarverbände und Wirtschaftslobbyisten positioniert haben. Direkt zur Abstimmung gelangt man über die Webseite der Naturfreunde Internationale.

Rüdiger Herzog / Anton Hofreiter*
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 2-2015

Rüdiger Herzog ist brandenburgischer NaturFreund. Anton Hofreiter ist Münchner NaturFreund und Co-Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion.