Interview: „Bauern sind allein gelassen“

Martin Schulz, Chef des Bauernverbandes AbL, fordert eine andere Agrarpolitik

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Martin Schulz (44) ist nebenberuflich Bundesvorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL) und betreibt im Wendland einen konventionellen Schweine-Hof mit 800 Mastschweinen.

Herr Schulz, Sie betreiben einen Schweinehof im niedersächsischen Wendland. Wie sind Sie Bauer geworden?

Martin Schulz: Fast klassisch: Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Mit zehn begann ich mich selbst für die Landwirtschaft zu interessieren. So kam eines zum anderen. Es ist nicht immer einfach, aber: Ja, ich liebe meinen Beruf.

„Wie die Landwirtschaft die Landschaft zerstört“, heißt der Untertitel dieser NATURFREUNDiN. Sind Sie ein Landschaftszerstörer?

Sorgen um die Artenvielfalt mache ich mir schon. Mein Vater hat mich vor 30 Jahren gelehrt die Vögel hier im Wendland zu bestimmen. Was damals noch Allerweltsvögel waren, Vögel, die ganz alltäglich vorkamen, sind heute Seltenheiten oder gar nicht mehr zu sehen.

Schuld am Artensterben soll beispielsweise die Agrar-Chemie sein. Aktuell wird viel über das Herbizit Glyphosat debattiert. Zu Recht?

Glyphosat wurde früher im Notfall eingesetzt, in der Regel wurde Unkraut durch ackerbauliche Maßnahmen bekämpft. Heute ist es umgekehrt. Und das widerspiegelt die Entwicklung hin zu immer mehr Chemie. Bei den Landwirten verhält es sich wie bei einer Schulklasse, die die Zeugnisse mit nach Hause bringt: Sieh her, ich habe neun Tonnen Getreide auf dem Hektar geerntet, du nur acht Tonnen und jener sogar nur sechs. Der eine hat vielleicht ein bisschen mehr Dünger eingesetzt, der andere ein paar Gramm mehr Unkrautvernichter, der Dritte nichts von alledem. Ziel aber ist, möglichst viel Ertrag einzufahren. Denn erstens ist der Ertrag Maßstab für Erfolg oder Misserfolg des Bauern. Zweitens bestimmt er das Einkommen des Landwirts.

Und dafür darf er der Landschaft auf Teufel komm raus zusetzen?

Natürlich nicht! Als ich den Stall von meinem Vater übernahm, habe ich als erstes den Betonfußboden rausgerissen und die Tiere wieder auf Stroh gestellt. Sie haben auch mehr Platz, als die gesetzlich vorgeschriebenen 0,75 Quadratmeter. Etwas anderes kam für mich nicht in Frage, für mich ist der Umgang mit den Tieren genauso eine Frage des Berufsethos, wie der Umgang mit der Landschaft. Richtig aber ist: Als ich vor 20 Jahren meine Ausbildung gemacht habe, wurde uns beigebracht, dem Kostendruck mit Effizienz zu begegnen. Es musste immer alles billiger werden in der Landwirtschaft. Wer pro Hektar mehr erntet, der produziert natürlich auch effizienter.

Deshalb gibt es Bauern, die in ihren Ställen mehr als 10.000 Tieren unter fragwürdigen Bedingungen halten?

Ich persönlich kenne solche Landwirte nicht, den größten Schweinehirt, den ich kenne, der hält 2.000 Schweine. Der ist sehr aufmerksam, Tierwohl ist ihm wichtig, er versucht so wenig wie möglich Verluste zu haben. Aber es gibt natürlich Schwarze Schafe, die die Vorgaben nicht einhalten und bei denen viele Tiere auf der Strecke bleiben. Die Schweinewirtschaft ist kompliziert: Der Preis ist volatil, nach einem akzeptablen Jahr verdienen Sie zwei Jahre lang gar nichts. In aller Regel wird versucht, das über Masse auszugleichen. Viele konventionelle Mastställe entsprechen aber nicht dem Tierwohl.

Masse bedeutet auch Masse an Gülle und damit das Stickstoffproblem, das die Landwirtschaft über unsere Landschaft brachte.

Das stimmt: Der Stickstoff-Überschuss lag im Jahr 2016 bei 100 Kilogramm pro Hektar. Das Problem wurde vom Bauernverband jahrelang beschönigt. Auch die Politik hat die Bauern allein mit dem Problem gelassen, wir hätten viel eher Beratung benötigt. Erst der Druck der Wasserwirtschaft hat nun dafür gesorgt, dass endlich gehandelt wird. Das allerdings wird für viele kleine Höfe große Belastungen mit sich bringen. 

Die Tageszeitung taz behauptet, die Mehrheit der Bauern sind tragische Figuren. Sie glauben, dass ihr Feind ihr Freund sei. Deshalb werden sie immer weniger. Hat die taz Recht?

Wenn Sie damit die Verbündeten in der Politik meint, eindeutig ja! 71 Prozent der niedersächsischen Landwirte haben bei der letzten Landtagswahl für die Union gestimmt. Die Grünen bekamen ein klägliches Prozent. Dabei setzen sich die Grünen für Natur ein, die Union dagegen für eine großindustrielle Agrarwirtschaft. Tatsächlich haben vor allem kleine Landwirtschaften in den letzten Jahren aufgegeben, die Zahl der Bauernhöfe halbierte sich seit den 1990er-Jahren.

Warum setzen Bauern aufs falsche Pferd?

Das weiß ich auch nicht genau. Fest steht, dass der Bauernverband immer noch ein mächtiger Player ist. Nahezu in jeder Ausgabe der niedersächsischen Verbandszeitschrift wurde über den damals grünen Landwirtschaftsminister in Niedersachsen hergezogen. Vermutlich hat das die Meinung vieler Bauern geprägt.

Sie sind Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“, quasi der Anti-Bauernverband. Was sind Ihre Ziele?

Einerseits geht es uns darum, auch für kleine Landwirtschaften wie den 20-Hektar-Hof im Allgäu Zukunftsperspektiven zu erhalten. Es darf nicht sein, dass die Politik einen Druck zum „Immer größer“ soweit treibt, dass solche Wirtschaften keine Zukunft haben. Andererseits verstehen wir unter „zukunftsfähiger Landwirtschaft“ einen umweltverträglichen Umgang mit der Landschaft. Dafür brauchen wir eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik. Wir fordern, diejenigen mit Direktzahlungen zu unterstützen, die umwelt- und klimaschonenden Ackerbau betreiben und Tiere artgerecht halten – und nicht wie es heute der Fall ist jene zu fördern, die am meisten Flächen besitzen.

Die Politik verteuert Fleisch um zwei Euro pro Kilo und finanziert so den Dienst, den Bauern an der Landschaft verrichten. Wäre das was?

In der Tat bestimmt der Weltmarkt unseren Verdienst. Und der ermittelt sich aus investiertem Geld, hineingesteckter Arbeit und Verkaufserlös. Dienstleistungen, die zur Landschaftspflege dienen, spielen in der Verdienstrechnung eines Landwirtes keine Rolle. Wenn es so ist, dass die Bauern die Landschaft prägen – und dies im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft –, dann müsste die Politik stärker darauf abzielen.

Sie könnten auch die Verbraucher in die Pflicht nehmen, die Billigfleisch dem nachhaltig produzierten vorziehen!

Zum Glück ändert sich da gerade etwas: Immer mehr Verbraucher sehen das Problem und sind bereit, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen. Allerdings dauert es viel zu lange, um über das Verbraucherverhalten die Landwirtschaft zu verändern. Die Politik muss entsprechend Rahmen setzen.

Interview: Nick Reimer