Zivilgesellschaftliche Erklärung zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik
Unter dem Titel "The Future We Want" hat sich die Weltgemeinschaft im Jahr 2012 auf 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals [SDG]) festgelegt, die von allen UN-Mitgliedstaaten bis spätestens 2030 umgesetzt werden sollen – auch bekannt als Agenda 2030.
Im September diesen Jahres wird der sogenannte SDG- beziehungsweise Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen stattfinden. Dort ist eine globale Bestandsaufnahme bezüglich der Agenda-2030-Umsetzung vorgesehen. Der Gipfel wird entscheidend dafür sein, die Ziele der Agenda 2030 politisch und gesellschaftlich erneut zu bekräftigen und in konkrete politische Maßnahmen zu überführen.
Die folgende Erklärung zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik macht klar, dass die Bundesregierung ihre eigenen Ziele weit verfehlen wird, wenn es beim aktuellen Umsetzungstempo bleibt. Denn sie redet zwar von nachhaltiger Politik, setzt sie aber nicht um. Die NaturFreunde Deutschlands stehen hinter dieser Erklärung.
Genug herausgeredet: Höhenangst vor dem UN-Gipfel überwinden!
Würde die ganze Welt so leben wie Deutschland, bräuchten wir drei Planeten. Denn das deutsche und europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ist nicht nachhaltig – weder ökologisch noch sozial oder wirtschaftlich – und mit globaler Gerechtigkeit nicht vereinbar. Wäre der deutsche Lebensstil globalisiert, hätten wir alljährlich schon Anfang Mai alle regenerierbaren, natürlichen Ressourcen verbraucht, die der Menschheit zur Verfügung stehen, und würden auf Pump leben. Der erhoffte Weckruf durch die Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verhallt bisher nahezu ungehört. Schon jetzt ist klar, dass die Ziele mit der aktuellen Umsetzungsgeschwindigkeit nicht bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Die Welt steckt tief in mehreren, sich wechselseitig verstärkenden Krisen vom Klimawandel und Artensterben über zunehmende Ungleichheiten und Hunger, von gewaltsam ausgetragenen Konflikten bis hin zu einer sich abzeichnenden, neuen Finanz- und Schuldenkrise. Die Bundesregierung weiß das, handelt aber nicht entschieden genug.
Deutschland: Abgrundtiefe Lücken in der Nachhaltigkeit
Unsere Art zu leben und wirtschaften muss grundlegend umgestaltet werden, um nachhaltig zu werden. Dazu gehört auch der Einsatz für eine globale Wirtschafts- und Finanzpolitik, die nachhaltige Entwicklung ermöglicht und vereinfacht, nicht verhindert. Statt ein Handels- und Finanzsystem zu fördern, das Klima- und Naturschutz sowie gerechte Steuersysteme blockiert, Ausbeutungssysteme stützt und Geschlechtergerechtigkeit bremst, sollte sich die Bundesregierung für eine wirkungsvolle internationale Zusammenarbeit einsetzen, die Steuervermeidung verhindert, Schuldenkrisen löst, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und planetare Grenzen ins Zentrum rückt, Solidarität weltweit stärkt und niemanden zurücklässt. Es kann nicht darum gehen, die weder ökologisch noch ökonomisch noch sozial nachhaltige deutsche Wirtschaftsweise weiterzuführen. Es ist dringendes Handeln in einem beispiellosen Ausmaß notwendig, um die gegenwärtigen Trends zu stoppen und umzukehren.
Denn der Klimawandel schreitet voran. Deutschland hat hierzu weit mehr beigetragen als die Länder des Globalen Südens und verfehlt sogar seine bescheidenen Klimaziele. Die deutsche Klimapolitik im Energiesektor ist unzureichend, im Verkehr und Wärmesektor findet sie fast gar nicht statt. Der zögerliche Kohleausstiegsfahrplan ist mit dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar. Weltweit gehen jeden Freitag junge Menschen auf die Straße, damit die Regierungen endlich aufwachen und den Klimawandel entschlossen aufhalten. Es ist die Zukunft dieser jungen Menschen, die wir mit jeder Tonne Kohle und jedem Liter Diesel verheizen. Der Kohleausstieg muss beschleunigt werden. Außerdem brauchen wir eine grundlegende Verkehrswende: weg vom exzessiven Autoverkehr, weg vom ständig steigenden Güter- und Flugverkehr – hin zu einem funktionierenden und preiswerten öffentlichen Nah- und Fernverkehr, hin zu regionalen Wirtschaftskreisläufen.
Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist eine der Hauptursachen für das Artensterben und ein Notstandsgebiet der Nachhaltigkeitspolitik. Für die anstehende Reform der EU-Agrarpolitik muss daher der Grundsatz gelten: öffentliches Geld nur für öffentliche Leistungen. Staatliche Gelder sollen für eine umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft eingesetzt werden. Die deutsche bzw. europäische Agrar- und Handelspolitik erfolgt zudem noch immer zu Lasten der Menschen im Globalen Süden. Wo lokale Märkte im Süden mit europäisch subventionierten, billigen Exportprodukten überschwemmt werden, werden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus ihrem Markt gedrängt. Wir fordern eine Agrarpolitik, die globale Ungleichheiten und Armut nicht weiter verschärft und das Menschenrecht auf Nahrung fördert, nicht verletzt.
Die weltweite Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten steigt und die Chance auf ein würdiges Leben in Frieden bleibt Millionen Menschen verwehrt. Um dem wirksam entgegenwirken zu können, ist staatliche Handlungsfähigkeit und -willen essentiell. Diese wird immer weiter eingeschränkt durch eine Politik, die das massive Wachstum des Privatvermögens der Reichsten begünstigt bei einer in Kauf genommenen Verarmung der öffentlichen Hand. Das gilt auch für Deutschland: Im europäischen und internationalen Vergleich zählt Deutschland zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit. Extreme Ungleichheit ist kein Naturgesetz. Sie ist die Folge einer Politik, die Profite vor Menschen stellt. Um Ungleichheit zu reduzieren und niemanden zurückzulassen, muss Deutschland für eine faire Besteuerung sorgen, in öf-fentliche soziale Grunddienste wie Bildung und Gesundheit investieren und die strukturelle Benachteiligung von Menschen beseitigen.
Alles das ist bekannt und dennoch macht die Bundesregierung wei-ter mit der alten Politik. Ohne ge-sellschaftlichen Druck werden auch künftig die Beharrungskräfte des „Weiter so“ den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise ver-hindern. Wir sind besorgt, dass nun auch in Deutschland die Zivilgesell-schaft unter Druck gerät. Es gilt, die Gemeinnützigkeit für Organisationen der Zivilgesellschaft zu sichern, die Beiträge zur politischen Willensbil-dung leisten. Eine engagierte Zivilge-sellschaft ist ein Wesensmerkmal der Demokratie und muss vom Staat ge-fördert und unterstützt werden, auch und gerade wenn sie kritisch ist. Wir fordern daher eine Reform des Ge-meinnützigkeitsrechts, die der enga-gierten Zivilgesellschaft Rechtssicherheit gibt.
Bergetappe Nachhaltigkeit – Die SDGs weisen den Weg!
Es gilt, Armut und Hunger weltweit zu beenden, die Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Staaten zu verringern, Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion zu verwirklichen, allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen und eine würdige Grundsicherung zu gewährleisten – und zugleich unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Dies kann nur gelingen, wenn wir unseren Ressourcen-, Energie- und Flächenverbrauch hier und weltweit drastisch verringern und absolut begrenzen. Das erfordert eine ökologische und soziale Agrarwende, eine nachhaltige Verkehrswende und eine dezentrale Energiewende, die den Klimaschutzzielen von Paris gerecht wird.
Mit diesen Forderungen im Blick muss die Bundesregierung die SDGs als Leitbild ihrer gesamten Politik verankern und ihrer Umsetzung oberste Priorität einräumen. Wir stehen an einem kritischen Wendepunkt für Deutschland. Alle nötigen Erkenntnisse liegen auf dem Tisch. Was wir brauchen, sind endlich konkrete politische Schritte. Schritte, die der Größe der Herausforderungen angemessen sind.
Als zivilgesellschaftliche Organisationen fordern wir die Bundesregierung auf, ihre Verpflichtungen nicht länger zu vernachlässigen und nachhaltige Politik jetzt umzusetzen. Es geht um nichts weniger als die Einhaltung unserer internationalen Verantwortung und eine nachhaltige und gerechte Zukunft für alle Menschen auf diesem Planeten.
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