In Rumänien geht es Europas letzten großen Urwäldern an die Stämme

In Rumänien gibt es etwa 500.000 Hektar naturnahe Wälder, zusammengerechnet ist das eine Fläche fast doppelt so groß wie das Saarland. Viele dieser Wälder sind Urwälder – seit Tausenden Jahren vom Menschen unberührt. Dabei handelt es sich um sehr artenreiche Ökosysteme mit vielen nur hier vorkommenden Arten. Auch die größten Populationen von Wölfen, Bären und Luchsen in Europa leben in diesen Wäldern.

Noch bis Ende Juni hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft inne. Deshalb finden zahlreiche Verhandlungen der EU-Mitgliedsstaaten in Rumänien statt. Doch während sich die Politiker*innen in den Konferenzsälen treffen, wird schon wenige Kilometer entfernt gegen EU-Recht verstoßen: Die Urwälder werden nämlich abgeholzt.

Große Teile dieser Wälder wurden zwar in Schutzgebiete wie Nationalparks oder Natura-2000-Gebiete überführt. Trotzdem konnten die EuroNatur Stiftung und ihre rumänische Partnerorganisation Agent Green mehrfach nachweisen, dass hier massive Abholzungen stattfinden, sogar großflächiger Kahlschlag.

Das Holz wird meist von ausländischen Firmen verarbeitet. So landet auch der größte Teil des Profits im Ausland. Gleichzeitig werden in den Märkten viele der aus dem rumänischen Holz gefertigten Produkte nicht ausreichend beschriftet, sodass Verbraucher*innen die Herkunft des Holzes nicht nachvollziehen können.

Eine große Rolle bei der Zerstörung der letzten großen Urwälder der gemäßigten Klimazone der EU spielt das staatliche rumänische Forstunternehmen Romsilva. Eigentlich sollte es die Wälder schützen, schließlich ist es für das Management der meisten Nationalparke und Natura-2000-Gebiete verantwortlich. Stattdessen ist es jedoch an vielen Machenschaften beteiligt, versteigert Wälder und genehmigt Abholzungen in Schutzgebieten. Schneller Profit scheint Romsilva wichtiger als der Erhalt rumänischer Naturschätze.

Zudem gibt es viele Lücken im Holzwirtschaftssystem und es ist sehr schwierig, Informationen zu beschaffen – trotz der Aarhus-Konvention, die den Zugang zu Umweltinformationen für die Zivilgesellschaft regelt. So sind in vielen Fällen die Forstmanagementpläne nicht veröffentlicht. Die Illegalität von Abholzungen oder Genehmigungen kann so nicht nachgewiesen werden.

Auch beim Transport werden rechtliche Schlupflöcher genutzt. Transportgenehmigungen etwa sind jeweils für mehrere Stunden gültig. In dieser Zeit kann ein LKW oft mehr Ladungen vom Abholzungsort zum Sägewerk transportieren als auf der Erlaubnis angegeben ist. Unfassbare Mengen an wertvollen Wäldern werden so auf verschiedenen Wegen illegal oder „legalisiert“ vernichtet.

Im Dezember 2018 gaben Agent Green und EuroNatur geleakte Daten aus geheim gehaltenen Teilen der zweiten Nationalen Forstinventur an die Medien weiter. Aus diesen wird das Ausmaß des illegalen Holzeinschlags ersichtlich: Die jährliche Holzernte in Rumänien beträgt etwa 38 Millionen Kubikmeter – mehr als doppelt so viel wie gesetzlich erlaubt. Das illegal geschlagene Holzvolumen ist größer als das legale.

Auch wenn die EU-Vertreter*innen während ihrer Sitzungen nichts vom Raubbau an den letzten großen Urwaldgebieten der EU mitbekommen, gibt es mehr und mehr Widerstand. "Wir haben immer mehr Beweise für illegale Abholzungen und es werden weitere Nichtregierungsorganisationen aktiv. Die EU muss endlich aufwachen", fordert Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von EuroNatur. "Wenn nicht bald mehr unternommen wird, werden diese wunderschönen Wälder und damit auch unser aller Naturerbe für immer verschwunden sein."

Die EU-Kommission hat mittlerweile angekündigt, die Vorgänge in Rumänien genauer zu beobachten. Sie könnte Rumänien verklagen und gerichtlich auf die Umsetzung der EU-Richtlinien drängen – ähnlich wie vor zwei Jahren beim polnischen Bialowieza-Urwald.

Noch besteht also Hoffnung für diese Paradieswälder. Wir sollten uns gemeinsam für ihren Schutz einsetzen!

Janinka Lutze