Einen Werktag hatten die Umweltverbände Zeit, um zum Referentenentwurf für das Bundes-Klimaschutzgesetz vom 5. Oktober 2019 Stellung zu beziehen. Trotz der extrem kurzen Frist haben die NaturFreunde gemeinsam mit BUND, campact, ClientEarth - Anwälte der Erde, DNR, DUH, Germanwatch, Greenpeace, NABU, Umweltinstitut München und WWF eine Stellungnahme abgegeben.
Das Bundesumweltministerium (BMU) hatte den Gesetzesentwurf veröffentlicht, mit dem laut Ministerium die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben gewährleistet werden soll.
Hier die komplette Stellungnahme der Umweltverbände im Wortlaut:
Stellungnahme zum Entwurf eines Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG)
1. Der Entwurf
Es handelt sich um einen Entwurf für einen Bundesklimaschutzgesetz (Art. 1) sowie eine Änderung des UVPG (Art. 2). Der Entwurf umfasst samt Begründung 60 Seiten. Der Entwurf des BMU vom Februar 2019 umfasste dieselbe Grundsatzmaterie, hatte allerdings 65 Seiten.
Zu der Notwendigkeit, Perspektiven und Umfang eines Klimaschutzgesetzes auf Bundesebene ist in den letzten Jahren mehrfach und umfangreich in der juristischen Literatur publiziert worden, auch im Kontext der Klimaschutzgesetze anderer EU Mitgliedstaaten.2 Das Bundesverfassungsgericht ist inzwischen mehrfach angerufen worden, weil ein Klimaschutzgesetz fehlt, sowie auch die notwendigen
Maßnahmen. Die Verfahren um das gesetzgeberische Unterlassen sind dort noch anhängig, ebenso wie die Klage gegen die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht Berlin zum Klimaziel 2020.
Der jetzige Entwurf ist über gegenüber dem Referentenentwurf aus dem Februar 2019 erheblich geändert und abgeschwächt worden.
Er folgt im Wesentlichen den Vorstellungen von einem Rahmengesetz, das ein Klimaschutzziel für 2030 definiert (§ 3, auch im Kontext der verpflichtenden europäischen Zielvorgaben) sowie sektorenweise zulässige Jahresemissionsmengen ab 2020, § 4 und Anlage 2, und ansonsten das „Wie“ von weiteren Planungen abhängig macht (Klimaschutzprogramme, § 9), und Sofortprogramm (§ 8).
Das durch den betreffenden Sektor vorzulegende Sofortprogramm soll im Falle der Zielverfehlung die Einhaltung der Jahresemissionsmenge für den betreffenden Sektor für die nachfolgenden Jahre sicherzustellen (§ 8 Abs. 1), wobei die Bundesregierung über die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden kann, entweder im betroffenen Sektor oder in anderen Sektoren oder auch unter Ausnutzung der Zukaufmöglichkeiten im Rahmen der EU Klimaschutzverordnung (siehe unten, rechtlicher Rahmen).
Klimaschutzprogramme nach § 9 des Gesetzes werden einer strategischen Umweltprüfung unterworfen (Art. 2, Änderung des UVPG, Einfügung einer weiteren Nummer in Anlage 5).
Die Bundesregierung erstellt weiterhin – wie auch jetzt schon – jährlich einen Klimaschutzbericht (§ 10) mit Zielerreichungsprognose. Ab 2021 wird alle 2 Jahre entsprechend der EU Governance-Verordnung (siehe unten, rechtlicher Rahmen) ein Projektionsbericht erstellt.
Es wird eine Expertenkommission für Klimafragen eingerichtet, § 11 (im folgenden abgekürzt Klimarat). Die Mitglieder werden von der Bundesregierung ernannt, es handelt sich um ein wissenschaftliches Beratungsgremium. Die Expertenkommission erhält konkrete Aufgaben (§ 12), unter anderem zur Prüfung von Emissionsdaten, und zur Überprüfung von geschätzten Wirkungen von Maßnahmen.
Der Bund verpflichtet sich zudem zu einem „Klimacheck“ von Investitionen sowie aller Planungen (§ 13), und zum Ziel der klimaneutralen Bundesverwaltung (§ 15).
2. Kontext: Klimapaket vom 20.9.2019
Die im Klimaschutzprogramm 2030 vorgeschlagenen Maßnahmen (insbes. Einführung einer CO2 Bepreisung, Fördermaßnahmen und Steuererleichterungen) ist nach Meinung der großen Mehrheit der Experten, die sich seit der Veröffentlichung damit auseinandergesetzt haben, nicht ausreichend, um die im Klimaschutzplan 2050 vorgegebene Ziele für 2030 zu erreichen.
Gewissermaßen als „Notanker“ hatte sich wohl deswegen das Klimakabinett darauf geeinigt, eine gesetzliche Erfolgskontrolle zu gewährleisten. Ausdrücklich heißt es im Eckpunktepapier vom 20.9.2019:
C. Gesetzliche Umsetzung des Klimaschutzprogramms und des Monitorings
Vordringliches Ziel der Bundesregierung und dieses Klimaschutzprogramms ist das Erreichen der Klimaschutzziele 2030. Um diese Zielerreichung verlässlich und planbar zu gestalten, werden für alle Sektoren die sich aus dem Klimaschutzplan 2050 ergebenden jährlich definiertenMinderungsziele 21(„Sektorziele“) gesetzlich festgeschrieben. Dieses Vorgehen schafft größtmögliche Transparenz und Erfolgskontrolle.
Die Bundesregierung wird die Einhaltung der Klimaziele 2030 insgesamt und die Fortschritte in den einzelnen Sektoren jährlich genau ermitteln und durch einen externen Expertenrat begleiten lassen. So schafft die Bundesregierung Objektivität über die Erreichung der Klimaziele.
Nach derzeitiger Beschlusslage der Bundesregierung ist der Kabinettausschuss Klimaschutz („Klimakabinett“) nur befristet eingesetzt. Die Bundesregierung wird diesen Kabinettausschuss entfristen und ihm die Aufgabe übertragen, jährlich die Wirksamkeit, Effizienz und Zielgenauigkeit der eingeleiteten Maßnahmen zu überprüfen. Erfüllt ein Sektor seine gesetzlich vorgesehen Ziele nicht, legt der zuständige Ressortminister dem Klimakabinett innerhalb von drei Monaten nach Bestätigung der Emissionsdaten durch die Expertenkommission ein Sofortprogramm zur Nachsteuerung vor. Auf dieser Grundlage entscheidet das Klimakabinett, wie das Klimaschutzprogramm 2030 gemeinsam so angepasst wird, dass die zugrundeliegenden Ziele erreicht werden. In diesem Zusammenhang überprüft das Klimakabinett auch, ob Anpassungen bei den jährlichen Sektorbudgets vorgenommen werden sollen. Darüber entscheidet die Bundesregierung. Dabei ist ihr Leitgedanke, die Einhaltung der Klimaschutzziele zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen wirtschaftlichnachhaltig und sozial ausgewogen zu gestalten.
Alle gesetzlichen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Programms sollen noch in 2019 vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
Kommentatoren gingen entsprechend davon aus, dass das seit Februar 2019 im Entwurf vorliegende Klimaschutzgesetz aus dem BMU im Wesentlichen beschlossen werden solle. Dies ist nicht der Fall.
Der Entwurf vom Februar 2019 wäre gegebenenfalls dazu geeignet gewesen, die fehlenden Maßnahmen zur Erreichung der Ziele für 2030 durch ein transparentes und durchsetzungsstarkes gesetzliches Instrumentarium aufzufangen. Der jetzt vorgelegte Entwurf ist es nicht.
3.
Gegenüber dem Entwurf aus Februar 2019 ist das Gesetz wie folgt abgeschwächt worden:
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Treibhausgasneutralität bis 2050 als konkretes Ziel, sowie auch die Zwischenziele für 2040 wurden schlicht gelöscht. Konkrete Ziele sind nur noch für 2030 vorgesehen. Immerhin ist das Pariser Abkommen dadurch weiter inkorporiert, als daß ausdrücklich verankert bleibt, dass Klimaschutzziele nur erhöht aber nicht abgesenkt werden können. § 1 bezieht sich aber jetzt nur auf ein „Bekenntnis… Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen“ – dies bleibt hinter den eindeutigen Aussagen des Klimaschutzplans 2050 zurück, ebenso hinter der Notwendigkeiten der Wissenschaft. Im Entwurf vom Februar 2019 hieß es noch, dass das Ziel „erreicht wird“ und nicht „dass man sein Bekenntnis das zu verfolgen“ nur bekräftigt.
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Die Sektorziele (Mengen in t) selbst wurden für das Jahr 2030 nicht nach oben (mehr erlaubter Ausstoß) korrigiert, obwohl dies teilweise gefordert worden war. Dies ist grundsätzlich zunächst positiv, auch wenn die Ziele weiterhin nicht ausreichend sind, um einen 1,5°C Reduktionspfad zu verfolgen. Ebenso positiv ist grundsätzlich die Aufnahme des Jahres 2020 als Beginn der Sektorziele mit konkreter Mengenangabe in Anlage 2. Allerdings bleibt es dabei, dass das deutsche Ziel, bis 2020 die Treibhausgas Emissionen gegenüber 1990 um 40 % zu reduzieren, deutlich verfehlt wird. Enthalten in Anlage 2 ist lediglich das (umgerechnete) Ziel von ca. 32 % - das also, was bereits jetzt nach der Prognose der Bundesregierung noch zu erreichen ist, und zwar ohne weitere Maßnahmen.
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Die maßgebliche Vorschrift für den Vollzug der Sektorziele, nämlich die finanzielle Verantwortung für die Überschreitung der Ziele und damit Haushaltsverantwortung der einzelnen zuständigen Ministerien ist weggefallen. In § 7 des Entwurfs vom Oktober 2019 heißt es nunmehr nur noch, dass der Ankauf von Emissionszuweisung nach der Klimaschutzverordnung durch das zuständige Bundesministerium, also das BMU in Abstimmung mit dem BMF durchgeführt wird. Die ursprünglich in § 6 des Entwurfs vom Februar 2019 vorgesehene Verantwortung des Ministeriums, dass das konkrete Sektorziel verfehlt, auch im Sinne des Bundeshaushalts, ist entfallen. Damit entfällt auch für das insgesamt für die Umsetzung des Gesetzes und der Ziele zuständige Bundesumweltministerium die schärfste Waffe.
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Der Vollzug der Sektorziele wird auch dadurch geschwächt, dass nunmehr nach dem neuen § 8 Abs. 2 die Jahresemissionsmengen durch einfachen Beschluss der Bundesregierung (ggf. mit Änderung in einer Rechtsverordnung ebenfalls ohne Zustimmung des Bundestages) frei ausgetauscht werden können. Die Bundesregierung kann also entscheiden, ob der jeweilige Sektor Maßnahmen durchführen muss, oder aber sektorübergreifende Maßnahmen, oder aber die Sektorzuordnung geändert werden soll. Zwar soll der Klimarat diese Verschiebung prüfen, eine positive Prüfung ist aber nicht Voraussetzung für einen entsprechenden Beschluss der Bundesregierung. Die Beratung des Klimarates hat also keine Vollzugsfunktion.
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Es fehlen weitgehend die Jahresmengen für die Energiewirtschaft. Dies ist zwar im Kontext des geplanten Kohleausstiegsgesetz möglicherweise nachvollziehbar, dennoch handelt es sich um eine „Besserstellung“. Zudem liegt das Gesetz immer noch nicht vor. Dieselbe Besserstellung erfolgt bei der Überprüfung der Zielerreichung (§ 4) die für den Sektor Energiewirtschaft erst ab dem Berichtsjahr 2023 und auch nur im Turnus von drei Jahren erfolgen soll. Eine innere Logik fehlt.
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Die Vorschrift des alten § 10 zu den Maßnahmenprogrammen wurde umgewandelt in § 9 Klimaschutzprogramme. Sie sind nicht mehr einer konkreten Wirksamkeits-Kontrolle durch den Klimarat unterworfen, sondern der Klimarat kann eine Stellungnahme abgeben, wenn die Bundesregierung danach fragt. Damit ändert sich an der bisherigen Lage nichts. Seit Jahrzehnten entwirft die Bundesregierung Klimaschutzprogramme, die sie dann nicht einhält. Dies hat inzwischen schon zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, die sich durch das Gesetz nicht erledigen.
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Die Fristen zur Vorlage eines Sofortprogramms (§ 8), sowie zur Beschlussfassung über die Maßnahmen des Sofortprogramms wurden erleichtert, der Deutsche Bundestag wird lediglich informiert, nachdem die Bundesregierung ihren Beschluss gefällt hat. Der Entwurf vom Februar 2019 hatte hier eindeutige und scharfe Regelungen vorgesehen.
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Der Klimaschutzplan, erstmals beschlossen 2016, wird nicht konkret verankert und auch keine Überprüfungszeiträume oder Fortschreibungen vorgesehen. Im alten § 9 des Entwurfes war er verpflichtend vorgesehen. Zukünftig ist der Klimaschutzplan auch als Langfriststrategie nach Artikel 15 der EU Governance-Verordnung bis zum 1. Januar 2020, zum 1. Januar 2029 und anschließend alle 10 Jahre fortzuschreiben. Warum dies hier nicht gesetzlich verankert wird, auch aus Transparenzgründen, bleibt unklar.
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Der Klimarat / Expertengremium wurde im neuen Entwurf deutlich geschwächt, zudem auch der Deutsche Bundestag (§ 12). Eine Stellungnahme zur Angemessenheit von Zielen selbst, insbesondere des langfristigen Ziels der Treibhausgasneutralität ist nicht mehr möglich, weil das Gesetz nur Ziele für 2030 vorgibt, und keine mittel- oder langfristigen. Die Mitglieder des Klimarates sind nunmehr ausschließlich durch die Bundesregierung zu bestellen, und nicht mehr, wie im Februar 2019 noch vorgeschlagen vom Deutschen Bundestag. Das sogenannte Hauptgutachten, also das jährliche Gutachten des Klimarates zur Eignung der Klimaziele und der vorgeschlagenen Maßnahmen ist vollkommen entfallen. Es bleibt unklar, warum ein einmal eingesetzte Sachverständigengremium nicht – wie im alten Entwurf von Februar 2019 vorgesehen – die Eignung der „bestehenden und geplanten Klimaschutzmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit zur Erreichung der nationalen europäischen Klimaschutzziele prüfen“ soll. Auch das Recht des Bundestages oder eines Ausschuss /Fraktion, den Rat anzufragen, ist gestrichen worden. Der Klimarat erfüllt nun nicht mehr wie im Entwurf des BMU noch vorgesehen, die notwendige „Compliance“ Kontrolle. Denn gerichtlich einklagbar soll auch weiterhin weder die Zielerreichung noch -nachschärfung sein.
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Die Vorschriften zu „Green Finance“, alter § 17 des Entwurfes vom Februar 2019 sind komplett entfallen. Danach sollte der Bund die eigenen Kapitalanlagen auf Übereinstimmung mit den Zielen des Übereinkommens von Paris überprüfen müssen.
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Insgesamt wurde an verschiedenen Stellen die Zustimmung des Bundestages als Voraussetzung entfernt, bzw. in eine allein durch die Bundesregierung zu erfolgende Aktivität geändert.
- Es fehlen gegenüber der Fassung vom Februar 2019 konkrete Regelungen zur Veränderung der Klimaziele für 2030 und darüber hinaus in ambitioniertere Ziele, obwohl allen Beteiligten klar ist, dass der Klimaschutzplan 2050 aus dem Jahr 2016, dem die konkreten Ziele, unter anderem auch das für 2030 entnommen sind, noch auf Grundlage einer Zielbestimmung „vor Paris“ beruht, also auf Klimaschutzszenarien mit dem Ziel, die globale Temperaturerhöhung bei 2 °C Erhöhung zu stabilisieren. Nach dem Entwurf vom Februar 2019 gab es hierfür ein konkretes Verfahren, und der Klimarat war aufgerufen, zur Erhöhung der Klimaziele Stellung zu nehmen.
4. Bewertung
Das hier vorgeschlagene nationale Klimaschutzgesetz erfüllt lediglich Minimalanforderungen, die sich weitgehend bereits aus der EU-Gesetzgebung ergeben dürften.
Die darüber hinausgehenden Sektorziele (diese sind EU-rechtlich nicht vorgegeben), ausgedrückt in konkreten Mengenangaben in der Anlage 2 sind dem Vollzug praktisch komplett entzogen und nur noch Spielball von politischen Verhandlungen im Kabinett bzw. der Bundesregierung geworden. Die Verschiebung von Mengen in andere Sektoren wird nicht dazu führen, dass die Zukaufsmöglichkeiten
der europäischen Klimaschutzverordnung weniger genutzt werden, sondern diese Möglichkeit wird vielmehr verhindern, dass die bislang säumigen Sektoren (insbesondere Verkehr, Landwirtschaft) den notwendigen Transformationsprozess einleiten.
Es ist unverständlich, warum in § 1 des Entwurfs vom Oktober 2019 auf das Pariser Abkommen nur noch als „Grundlage“ verwiesen wird, anstatt die bereits objektiv geltende Ziel-Bestimmung des Pariser Abkommens konkret als gesetzliche Verpflichtung aufzunehmen. Es ist unverständlich, warum die Zwischenziele aus dem Klimaschutzplan 2050, zu dem sich die Bundesregierung bekennt, nicht aufgenommen
wurden. Dies schwächt die Ausrichtung der Klimaschutzpolitik gemessen an der notwendigen Transformation, wie sie u.a. der WBGU aber auch der IPCC so oft gefordert hat.
Die mangelhafte Definition und Aufnahme des Klimaschutzplan 2050 in das Gesetz selbst kann zu Missverständnissen führen, insbesondere im Hinblick auf die Verschränkung zwischen dem nationalen und europäischen Rechtsrahmen.
Die Schwächung der Befugnisse und Aufgaben des Expertengremiums (Klimarat) führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Transparenz und Erfolgskontrolle gegenüber dem Entwurf von Februar 2019. Dasselbe gilt für die weniger eindeutige Einbindung des Deutschen Bundestages, und die jeglicher gesellschaftlicher oder parlamentarischer Nachprüfung entzogenen Möglichkeiten zur Übertragung von Mengen aus den Sektoren.
Insgesamt ist die Lage mit diesem Gesetz nicht viel anders als die Lage ohne dieses Gesetz, da die EU-Klimaschutzverordnung ohnehin direkt gilt und in den entsprechenden Sektoren (außer Energiewirtschaft) verpflichtende Gesamtziele vorsieht (siehe unten). Diesen Befund ändert auch nicht die grundsätzliche Einrichtung des Klimarats, da dieses Gremium nach dem neuen Entwurf gerade nicht unabhängig damit beauftragt ist, die Wirksamkeit der Ziele und Maßnahmen grundlegend und umfassend und laufend zu überprüfen.
Insgesamt bestätigt die Bundesregierung damit den Eindruck, dass sie unabhängig nicht überprüft werden möchte, sondern die bisherige Praxis der Klimaschutzplanung vollends aufrechterhalten will, nämlich die Planung und Entscheidungsfindung ausschließlich im Rahmen der Bundesregierung, weitgehend intransparent und ohne wirkliche Einflussnahme der Wissenschaft.
Es findet sich auch keine Anerkennung der Tatsache, dass die Klimaziele angesichts der neuen Reduktionspfade des IPCC angepasst werden müssen. Das Gesetz definiert kein Schutzniveau, das aus Menschenrechtsperspektive ausreichend ist, insbesondere auch langfristig. Ob es den Anforderungen der sog. Wesentlichkeits-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt, bleibt offen.
Das vorgelegte Gesetz geht also wenig weiter, als ohnehin durch die europäische Governance-Verordnung und EU-Klimaschutzverordnung schon geltendes Recht in Deutschland ist. Es hilft nicht, den Streit über die Deutungshoheit der Wirksamkeit von Zielen und Maßnahmen im Bundeskontext zu beenden, und ist auch nicht in der Lage, einzelne Sektoren in Deutschland, bei denen die Transformation
besonders politisch schwer erscheint, tatsächlich unter Druck zu setzen.
Nachdem das gerade erst beschlossene Klimaschutzprogramm 2030 bereits wohl unstreitig keine Maßnahmen enthält, die zur Zielerreichung des 2030 geeignet sind, ist kaum vorstellbar, wie das hier aufgezeigte gesetzliche Instrumentarium dazu führen soll, dass die Bundesrepublik Deutschland selbst - und nicht durch Zukäufe im Rahmen der Klimaschutzverordnung – ihre Ziele bis 2030 einhält.
Zum besseren Verständnis folgen im Anhang Ausführungen zum rechtlichen Hintergrund, vor allem zu EU Rechtsrahmen, sowie wo nötig eine Einordnung der dort vorgesehenen Instrumente zum vorgeschlagenen nationalen Gesetz.
Rechtsanwältin
Dr. Roda Verheyen
Anhang: Rechtlicher Hintergrund:
1. Übereinkommen von Paris:
Das Übereinkommen von Paris ist ein völkerrechtlicher Vertrag mit gemeinsamer Kompetenz der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Es wurde daher nicht nur von der EU3, sondern auch von Deutschland im Rahmen von Art 59 GG ratifiziert.4 Es hat daher die Stellung eines einfachen Gesetzes in Deutschland und ist Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Es bildet bereits einen verbindlichen Rahmen für die
weiteren Klimaschutzanstrengungen der Bundesrepublik, vor allem für das Schutzniveau und Schutzziel.
Die Vorgaben sind im Vorschlag für das Klimaschutzgesetz nicht wie im Entwurf von Februar 2019 entsprechend aufgenommen, sondern in ein „Bekenntnis“ ohne operative Wirkung umgewandelt worden.
2. EU-Recht
Der Vorschlag konkretisiert in weiten Teilen verbindliches EU-Recht, bzw. definiert Regelungen, die zur Vermeidung von Umsetzungsdefiziten erforderlich sein dürften.
Die EU hat die Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen (EU und Mitgliedstaaten) auf Grundlage der Klimarahmenkonvention, des Kyoto Protokolls, und jetzt – letzteres ersetzend – der Paris Übereinkommens weitgehend übernommen.
Sie hat sich dabei zunächst das mittelfristige Ziel gesetzt, bis 2030 eine Reduktion von mindestens 40% gegenüber den Treibhausgasemissionen von 1990 umzusetzen.5 Die rechtlichen Regelungen sind vielfältig, und inzwischen geprägt von Verordnungen, also zwingendem Unionsrecht.
Für das Klimaschutzgesetz in Deutschland sind folgende Rahmenregelungen zu beachten:6
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Die Verordnung (EU) 2018/842, im Gesetzesvorschlag „EU Klimaschutzverordnung“ (oder auch Nicht-ETS7-Verordnung):
Sie gilt für die Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft und zudem für mittlere und kleinere Emittenten aus Industrie und Energiesektor (alle die nicht vom Emissionshandel (ETS) erfasst sind). Die Reduktionsquote beträgt insgesamt für die EU 30% gegenüber 2005. Dies ergibt sich aus Art. 4 mit Anhang 1 der VO, wonach für jeden Mitgliedstaat eine (je nach wirtschaftlicher Stärke unterschiedliche) verbindliche Zielquote für 2030 gesetzt wird – für Deutschland 38%; diese ist durch jährlich verfügbare Emissionsmengen zu erreichen, welche sich je Mitgliedstaat ab dem Durchschnitt seiner Emissionen von 2016 - 2018 linear vermindern. Auf die einzelnen Sektoren unterteilt die Verordnung diese Verpflichtung nicht, macht aber deutlich, dass alle Sektoren mitwirken müssen8. Die Verordnung enthält „flexible Instrumente“ (Zu – und Ankauf von Emissionsmengen an und von anderen Mitgliedstaaten, sowie Übertragungen auf andere Verpflichtungszeiträume), die aber an der Notwendigkeit eigener Umsetzung nichts ändern und ggf. erhebliche Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben: Falls die nationalen Ziele nicht erreicht werden, muss Deutschland bei anderen EU-Mitgliedern überschüssige Emissionsrechte ankaufen, um die Unterdeckung auszugleichen.9 Die Kommission bewertet jährlich die Einhaltung der Jahresemissionsmengen (nach der Governance Verordnung). Nach Art 8 der EU Klimaschutzverordnung müssen Mitgliedstaaten bei Zielverfehlung innerhalb von drei Monaten einen Abhilfeplan vorlegen.
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Die sog. Governance-Verordnung 2018/1999. Sie soll ein „zuverlässiges, inkludierendes, kosteneffizientes, transparentes und berechenbares Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz [bieten], mit dem die bis 2030 und langfristig angestrebten Ziele und Zielvorgaben der Energieunion im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris 2015 durch Maßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten erreicht wird.“10 Die Verordnung steht vor allem auf zwei „Säulen“, nämlich den Regeln für die Planung, Berichterstattung und Überwachung der „integrierten nationalen Energie- und Klimaplänen“ (Art. 3, INEK, ausgelegt auf 2021-203011, im Gesetzesvorschlag ist dies der „Klimaschutz-Projektionsbericht“, § 10 Abs. 3, wobei fraglich ist, ob hier wirklich inhaltliche Übereinstimmung vorliegt) sowie den Langfrist-Strategien (ausgelegt auf 30 Jahre, Art. 15 – liegt in Deutschland bereits mit dem Klimaschutzplan 2050 vor) und den Regeln für den kontinuierlichen Überprüfungsprozess zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Pläne sowie die Wirksamkeit der Maßnahmen bezogenauf die EU-Ziele.
Die Ziele der Energieunion gehen über reinen Klimaschutz hinaus (etwa: Schaffung des sog. Stromverbunds), sind aber mit ihm untrennbar verknüpft.12
Die Governance-Verordnung beruht ausdrücklich auf dem Konzept des Treibhausgas-Budgets13. Nationale Ziele und Vorgaben sind durch die Mitgliedsstaaten zwingend vorzugeben (Art. 4 – verpflichtend im INEK und den Langfriststrategien, Art. 15), und zwar sowohl im Hinblick auf die Zielerreichung der jährlichen Reduktionsverpflichtungen nach der EU Klimaschutzverordnung und die Ziele der LULUCF-Verordnung, als auch im Hinblick auf das Langzeitziel „Dekarbonisierung“. Der Gesetzentwurf vom Oktober 2019 erwähnt das Budget nur im Hinblick auf das durch die EU KlimaschutzVO vorgegebene Budget für die Mitgliedsstaaten.
Die INEK sind erstmals zum 31.12.2019, zum 01.01.2029 (Art. 3) und danachalle 10 Jahre vorzulegen sowie jeweils zum 30.6.2024, 01.01.2034 und dann alle 10 Jahre zu aktualisieren (Art. 14). Bei der Aktualisierung ist einem „höheren Ambitionsniveau“ Ausdruck zu verleihen, also die nationalen Ziel bzw. Vorgaben zu stärken (Art. 14 Abs. 3). Diese Vorgabe fehlt im deutschen Gesetzesvorschlag.
Die Kommission bewertet die INEK alle zwei Jahre auf Grundlage von Fortschrittsberichten (Art. 17 und 29) und gibt ggf. Empfehlungen zur Zielerreichung.
Weitere Elemente bindenden EU-Energie- und Klimaschutzrechts sind im Entwurf des Klimaschutzgesetzes aufgenommen oder jedenfalls in Bezug genommen:
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Die aktualisierte „ETS“ -Richtlinie (EU) 2018/410: sie gilt für große Emittenten, insbesondere die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen und unterwirft sie einem System aus Kappung, Zuweisung und Handel von Emissionsrechten. Die Reduktionsquote beträgt 43 % gegenüber 2005. Rechtstechnisch ergibt sich dies aus Art. 9 (2) der RL, nach dem die jährlich verfügbare Emissionsmengen ab 2021 um jährlich 2,2% abnimmt.
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Die „LULUCF“14-Verordnung (EU)2018/841: sie gilt für Landnutzungsänderungen, die zu Emissionen (z.B. Abholzung und Verbrennen des Holzes) oder zum Verlust von Senken für Treibhausgase (z.B. Umwandlung von Grünland in Ackerland) führen. Die Zielquote beträgt nach Art. 4 der VO Null Nettoemission, d.h. ein Ausgleich zwischen Emissionen und Absorption durch Senken. Sie gilt für jedes Jahr bereits ab 2021 und bis 2029.
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Die Richtlinie EU 2018/2001 über Erneuerbaren Energien. Diese setzt ein EU-weites, verbindliches Ziel für den Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen am Bruttoendenergieverbrauch von 32% bis 2030. Die Beiträge der Mitgliedstaaten sollen als Teil der INEK nach der Governance- Verordnung bestimmt werden (Art. 5 der Governance Verordnung).
- Die Richtlinien und Instrumente zur Erhöhung der Energieeffizienz, insbesondere die Energieeffizienz-Richtlinie 2012/27, die ein EU-weites Ziel für den Energieverbrauch der Europäischen Union festlegt, wobei die Mitgliedsstaaten ihre eigenen Ziele bestimmen – wiederum jetzt im Rahmen der INEK (Art 6 der Governance Verordnung).
Dem gesamten Regelungsregime der EU liegt die Notwendigkeit der Einhaltung der Verpflichtungen auf Grundlage des Paris Abkommens zu Grunde. Voraussetzung dafür sind die Verbindlichkeit und Einhaltung der nationalen Ziele.
1 https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/stellungnahme-zum-klimasc... - vom April 2019
2 Zuletzt etwa Sauer, Perspektiven eines Bundes-Klimaschutzgesetzes, NuR 2018, 581 ff.
3 ABl. EU L 282 vom 19.10.2016.
4 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil II Nr. 26, ausgegeben am 30.09.2016, Seite 1082 „Gesetz zu dem Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015“ vom 28.09.2016.
5 Dieses Ziel gilt allerdings als objektiv unzureichend und ist gerichtlich angegriffen worden, General Court - T-330/18 (Carvalho and Others v Parliament and Council), inzwischen in 2. Instanz beim EuGH. Inzwischen plädieren mehrere Mitgliedstaaten, die Kommission und das Europäischen Parlament, für eine Steigerung auf 55%.
6 Unberücksichtigt bleiben hier die vielfältigen technischen und produktbezogenen Regelungen in einzelnen Sektoren.
7 ETS= Emissions Trading System, Emissionshandelssystem.
8 „Alle Wirtschaftssektoren sollten zur Verwirklichung dieser Treibhausgasemissionsreduktionsziele beitragen“ (Erwägungsgrund 2).
9 Eine Schätzung des Think-Tanks Agora Energiewende beziffert die möglichen Kosten wie folgt: Bei Fortschreibung des aktuellen Trends bei den Nicht-ETS-Sektoren würde das nach der EU-Klimaschutzverordnung verbindliche Ziel bis 2030 um 616 Millionen Tonnen CO2 verfehlt, was mit Kosten für den Bundeshaushalt in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro einher ginge. Angesichts schärferer Klimaschutzziele werden überschüssige Emissionsrechte anderer EUMitgliedstaaten knapp und teuer (50 bis 100 Euro pro Tonne). Vgl. Agora, Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt, Oktober 2018, https://www.agoraenergiewende.de/fileadmin2/Projekte/2018/Non-ETS/142_Ni....
10 Erwägungsgrund (1).der Governance VO.
11 Im Fachjargon auch NECPs (national energy and climate plans).
12 Die Ziele der Energieunion („fünf Dimensionen“) sind: Versorgungssicherheit, Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Dekarbonisierung sowie „Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit“ (Art 1 Abs. 2 Governance VO).
13 Vgl. Erwägungsgrund (10) und Art. der Governance VO.
14 LULUCF=Land Use, Land Use Change and Forestry