„Eine völkerrechtswidrige Invasion unter einem atomaren Schirm“

Fragen an den Friedensaktivisten und Publizisten Andreas Zumach zu Putins Angriffskrieg und dessen Vorgeschichte

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Andreas Zumach (68) ist freier Journalist, Kriegsdienstverweigerer und seit 49 Jahren Mitglied der Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Der mehrfach ausgezeichnete Publizist berichtet seit 1988 über die Vereinten Nationen, Themen des Völkerrechts und Kriege oder bewaffnete Konflikte. Von 1981 bis 1987 war er Referent bei der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ und seinerzeit als Organisator der großen Friedensdemonstrationen in Bonn sowie als Sprecher des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung tätig. Im Interview mit unserer Mitgliederzeitschrift NATURFREUNDiN spricht er über zivilgesellschaftliche Beziehungen in Kriegszeiten, das Ende der Ära Putin und das 100-Milliarden-Programm der Bundeswehr.

NATURFREUNDIN: Zehntausende Soldat*innen sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine getötet oder verstümmelt worden. Tausende ukrainische Zivilist*innen kamen ums Leben. Schreckliche Kriegsverbrechen sind dokumentiert. Über fünf Millionen Ukrainer*innen sind in Nachbarländer geflüchtet, die Zahl der Binnenflüchtlinge liegt noch höher. Das Entsetzen angesichts des grausamen Krieges ist groß, aber genauso groß ist die Hilflosigkeit. Was können Menschen, die der Friedensbewegung nahestehen, tun?

Andreas Zumach: Vor allem müssen sie sich um die Geflüchteten aus der Ukraine kümmern. Diese haben oft erlebt, wie Verwandte oder Freunde getötet wurden. Sie kommen zumeist aus einer unmittelbaren Kriegssituation und bedürfen einer intensiven auch psychologischen Betreuung. Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind zu 85 Prozent Frauen mit ihren Kindern. Die Frauen stehen oft im täglichen Kontakt mit daheimgebliebenen Verwandten. Sie brauchen psychologische und materielle Unterstützung. Viele sind gut in Berufen qualifiziert, in denen bei uns Mangel herrscht. Sie benötigen auch beim Berufseinstieg Unterstützung, auch um zu verhindern, dass junge Frauen Menschenhändlern oder Bordellbesitzern in die Hände fallen.

Die übrigen Flüchtlinge sind Männer jenseits des wehrfähigen Alters und oft gebrechlich. Die Regierung in Kiew hatte eine allgemeine Mobilmachung erklärt und Männern im sogenannten wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren die Ausreise untersagt. Dieses Verbot ist menschenrechtlich allerdings sehr problematisch.

Friedensbewegte Bundesbürger*innen sollten zudem Beziehungen in die russische und auch die ukrainische Zivilgesellschaft aktivieren und wenn möglich ausbauen. Es ist völlig falsch, jetzt Beziehungen in die russische Gesellschaft abzubrechen, wie es leider in großem Umfang geschehen ist.

Was können solche Beziehungen angesichts des grausamen Krieges bewirken?

Die zivilgesellschaftlichen Beziehungen und Kontakte nach Russland waren in den 1970er- und 1980er-Jahren zu Zeiten der Sowjetunion viel stärker als heute. Nicht nur Friedensgruppen oder NaturFreund*innen, auch Organisationen von Ärzt*innen, Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen pflegten Kontakte. Die Beziehungen sind in den 1990er-Jahren seltener geworden. Das trägt dazu bei, dass gelenkte Informationen und Propaganda der russischen Regierung heute mehr Erfolg bei der Bevölkerung haben. Gerade in Kriegszeiten sind unabhängige Informationen wichtig und zivilgesellschaftliche Beziehungen können zu ihnen beitragen. Zudem stellen Beziehungen klar, dass die Russinnen und Russen nicht unsere Feinde sind und wir uns auch nicht zu ihren Feinden machen lassen.

Vor dem Überfall hat Präsident Wladimir Putin in einer zutiefst nationalistischen, großrussischen Rede der Ukraine das Recht auf Eigenstaatlichkeit abgesprochen, eine Abtrennung der östlichen Landesteile angekündigt, sowie eine Entwaffnung und politische Säuberung – eine sogenannte „Entnazifizierung“ – des gesamten Nachbarlandes. Zwei Monate später – wir führen dieses Gespräch Anfang Mai – ist kein Ende des brutalen Krieges in Sicht. Putin erreicht seine Ziele allenfalls zum Teil.

Denkbar sind eine Reihe von Szenarien für ein Ende des Krieges. Höchst unwahrscheinlich scheint, dass Personen aus dem russischen Machtzirkel aus Militärs und Geheimdienstlern Putin ablösen, um den Krieg zu beenden. Nicht ganz so unwahrscheinlich ist, dass sich die wirtschaftlichen Oligarchen aus Angst um ihre Pfründe offen gegen den Präsidenten stellen. Sehr wenig wahrscheinlich ist eine Kapitulation der Ukraine oder der völlige Sieg des überfallenen Landes. Die militärische Überlegenheit der russischen Armee ist bei allen Schwierigkeiten der Invasoren zu groß. Eher ist eine militärische Pattsituation nach vielen weiteren Wochen oder Monaten grausamen Krieges zu erwarten.

Ist kein Waffenstillstand in Sicht?

Bereits im März hatten beide Parteien ja über ein Ende des Krieges verhandelt. Danach wurde über Lösungen spekuliert, die eine Neutralität der Ukraine ohne ausländische Stützpunkte, aber mit Sicherheitsgarantien und einen Sonderstatus für die umstrittenen Territorien im Donbass und für die Krim umfassen sollten.

Nun liegen die Gespräche aber auf Eis. Die Regierung in Kiew sieht sich durch die militärischen Erfolge rund um die Hauptstadt und durch Waffenlieferungen gestärkt und will alle besetzten Gebiete zurückerobern. Damit droht ein langer Krieg mit weiteren Opfern und Zerstörungen. Was immer als Waffenstillstand vereinbart würde, wäre eine wirkliche Erleichterung für die Ukrainer*innen, hätte aber den bitteren Beigeschmack, dass er sozusagen mit der Pistole an der Schläfe erzwungen worden wäre.

Fest steht, dass der Krieg den Anfang des Endes der Ära Putin einleitet. Selbst wenn er zu einer teilweisen oder gar völligen Besetzung des Nachbarlandes führt. Russland kann die Ukraine nicht unter Kontrolle bekommen. Putin hat den Ukrainern wirtschaftlich und politisch nichts außer Stagnation anzubieten. Bei einer Besetzung ist langwieriger Widerstand der Ukrainer*innen zu erwarten. So wie die Sowjetunion und dann die NATO das besetzte Afghanistan nicht beherrschen konnten, wird Russland die Ukraine oder Teile davon nicht auf Dauer beherrschen können.

Die militärisch überlegene Seite kann ja in modernen Kriegen ihre Ziele am Ende regelmäßig doch nicht durchsetzen.

Schon seit Zeiten des Kalten Krieges hat die militärisch überlegene Macht nirgendwo eine dauerhafte Befriedung erreicht, die das Wort Frieden verdient hätte. Dies gilt für die völkerrechtswidrigen und auch völkermörderischen Interventionskriege Frankreichs in Algerien und der USA in Vietnam genauso wie für den sowjetischen Krieg in Afghanistan.

Seit Ende des Kalten Krieges gilt dies erst recht. Die Kriege der NATO in Bosnien, im Kosovo und gegen Serbien, die in den 1990er-Jahren mit der Bezeichnung humanitäre Intervention gerechtfertigt wurden, hatten keinen dauerhaftem Frieden zur Folge. Kosovo ist heute ein Mafia-Staat, in dem nichts in Ordnung, geheilt oder befriedet ist. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA und Großbritanniens im Irak hat zu einer Million Toten geführt und keinen Konflikt gelöst. Auch die schlimmen Kriege in Syrien und Libyen haben nur dauernden Unfrieden geschaffen. Der „Krieg gegen den Terror“, den die USA 2001 nach den Angriffen von Al Kaida erklärt haben, ist ebenfalls gescheitert oder scheitert nun im afrikanischen Mali.

Ein Teil der Friedens- und Konfliktforscher*innen hält Kriege nicht mehr für führbar.

Dennoch herrscht seit Ende Februar Krieg in der Ukraine. Aber es steht bereits fest, dass der russische Präsident seine Ziele nicht erreicht – ganz im Gegenteil: Putin ist gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine. Vor dem Krieg war nur eine Minderheit der Ukrainer*innen für den Beitritt, jetzt ist es die übergroße Mehrheit. Der nationale Selbstfindungsprozess der Ukraine war keineswegs abgeschlossen. Dies hat der Krieg geändert, allerdings ist der nun klar dominierende ukrainische Nationalismus auch tief mit antirussischen Ressentiments aufgeladen, die nur schwer korrigierbar sind. Wenn es nicht zynisch wäre, könnte man sagen, Putin habe in der Ukraine mit militärischen Mitteln „Nation building“ betrieben. Die NATO ist geschlossen wie lange nicht mehr und die Führungsrolle der USA in der Allianz unbestritten. In Finnland und Schweden gibt es erstmals große Mehrheiten für einen NATO-Beitritt.

Für Pazifist*innen steht die Entscheidung über Sieg oder Niederlage nicht am Ende eines Krieges. Für sie ist der Kriegsausbruch bereits die Niederlage. Wer überlegt, ob der Westen Möglichkeiten zur Verhinderung des Krieges versäumt hat, wird oft als Putin-Versteher bezeichnet. Doch Friedenspolitik ist nur erfolgreich, wenn sie den Frieden erhalten kann.

Alles, was man über mögliche Fehler und Versäumnisse des Westens in den vergangenen 30 Jahren sagen kann, ist keine Rechtfertigung für diesen Krieg. Auch die völkerrechtswidrigen Kriege, die der Westen geführt hat, rechtfertigen Putins Angriffskrieg in keiner Weise. Auch die gebrochenen Versprechen, mit denen Bundeskanzler Kohl, Bundesaußenminister Genscher und US-Außenminister Baker 1990 eine NATO-Osterweiterung ausgeschlossen hatten, rechtfertigen den Überfall nicht. Dennoch müssen wir uns um Fehler und Versäumnisse des Westens kümmern und dürfen sie nicht einfach mit dem Begriff Zeitenwende entsorgen. Wenn etwa Bundespräsident Steinmeier selbstkritisch sagt, der Ansatz, Russland in eine europäische Friedensordnung einzubinden, sei leider gescheitert, so ist das allenfalls die halbe Wahrheit. Die Einbindung ist nie ernsthaft versucht worden.

Natürlich hat sich Putin in den letzten 30 Jahren sehr zum Negativen verändert. Dennoch haben die NATO und die westlichen Staaten in entscheidenden Punkten falsch gehandelt. Natürlich weiß niemand, wie Putin Anfang des Jahres auf ernsthafte Angebote reagiert hätte. Aber der Westen hat es nicht versucht, hat etwa nicht angeboten, die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine durch ein Moratorium zunächst auf Eis zu legen. Auch nach 2014, nachdem das Minsker Abkommen geschlossen wurde, hätte es wohl Einigungsmöglichkeiten eröffnet, wenn die NATO nicht an ihrem Beschluss aus dem Jahr 2008 festgehalten hätte, die Ukraine und Georgien in das Bündnis aufzunehmen

Woran ist das Minsker Abkommen schließlich gescheitert?

Das Minsker Abkommen war ein Verständigungsversuch, für den sich die damalige Bundeskanzlerin Merkel persönlich stark engagiert hat. Nachdem beide Seiten eine erste Vereinbarung nicht einhielten, haben Deutschland und Frankreich mit Russland und der Ukraine ein zweites Abkommen ausgehandelt, dass 2015 kurz nach der Münchner Sicherheitskonferenz unterzeichnet wurde. In den Erinnerungen von Joe Biden kann man nachlesen, dass Merkel dem damaligen US-Vizepräsidenten vor dessen Rede auf der Konferenz Material der OSZE über Verstöße  beider Seiten gegen das erste Abkommen vorlegte. Dennoch prügelte Biden dann in seiner Rede nur auf die von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine ein. Es gab hier von Anfang ein unterschiedliches Verhalten und unterschiedliche Signale wichtiger Staaten des Westens.

Die USA haben schon 2015 mit Waffenlieferungen in die Ukraine begonnen. Andere NATO-Staaten wie Großbritannien oder Kanada sind dem erst Ende 2021 gefolgt, Deutschland erst nach dem russischen Angriff. Die frühen Waffenlieferungen aus den USA haben in der Ukraine die Kräfte gestärkt, die die Frage der abtrünnigen Gebiete im Osten militärisch lösen und das Minsker Abkommen nicht umsetzen wollten. Es kam daher nie zu den Regionalwahlen und zu der Autonomieregelung, die das Abkommen für die Separatistengebiete vorsah.

Das Verhalten der USA entsprach einer Denktradition, die auf den ehemaligen Sicherheitsberater des Präsidenten Carter, Zbigniew Brzezinski, zurückgeht und noch heute in Washington einflussreich ist. Demnach liegt eine Verständigung zwischen der EU und Russland nicht im US-amerikanischen Interesse und würde nur die Entstehung eines europäischen Konkurrenten fördern. Spannungen auf dem eurasischen Kontinent können dies danach verhindern, legitimieren langfristig die Existenz der NATO und stärken die Führungsrolle der USA als nukleare Schutzmacht.

Die USA setzten früh auf Waffenlieferungen und nicht auf Verständigung mit Putin.

Aber das Verhalten der USA rechtfertigt nicht Putins Krieg. Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung. Eine Resolution gegen den Angriffskrieg ist im Sicherheitsrat am Veto Russlands gescheitert. Dann hat die UN-Vollversammlung mit einem noch nie da gewesenen Ergebnis, mit 141 zu 5 Stimmen, die russische Aggression als Bruch der UN-Charta verurteilt und den sofortigen Abzug der russischen Streitkräfte gefordert. Theoretisch ist nun jedes Land berechtigt, der Ukraine militärischen Beistand zu leisten, durch Waffenlieferungen und sogar durch die Entsendung von Soldaten.

Faktisch begrenzt aber das atomare Arsenal Russlands den Beistand, den die Ukraine erhält. Präsident Putin hat früh die Alarmstufe für die strategischen russischen Waffen erhöht und durch bewusst unklare Äußerungen eine Drohung mit einem Atomwaffeneinsatz angedeutet. Dadurch findet Russlands konventioneller Krieg in der Ukraine unter eine Art atomarem Schirm statt. Dort verhindert die atomare Abschreckung keinen Krieg, sondern ermöglicht ihn. Das unterstreicht, wie wichtig die Ächtung und Abrüstung aller Atomwaffen ist und auch wie widersinnig der geplante Kauf der F-35-Kampfjets ist, die die Bundesregierung für die sogenannte „atomare Teilhabe“, also für den Atomwaffeneinsatz anschaffen will.

Bundeskanzler Scholz hat als Reaktion auf den Krieg ein 100-Milliarden-Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr angekündigt.

Der Ukraine hilft die angekündigte Aufrüstung der Bundeswehr überhaupt nicht. Zudem bleibt die Frage, was die Bundeswehr mit ihrem seit Jahren kontinuierlich wachsenden Etat macht. Der deutsche Verteidigungshaushalt ist höher als der Frankreichs, das aber deutlich mehr leistet. Offenbar wird in Deutschland viel für die Bundeswehr vorgesehenes Geld unsachgemäß ausgegeben. Da ist viel Geld verschwunden. Da gab es auch Korruption.

Stehen wir nicht vor einem neuem Kalten Krieg mit Russland?

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine, dessen von Putin nicht erwarteter Verlauf und dessen Folgen werden Russland und die russische Führung verändern. Putin wird nicht bis Ende 2036 Präsident bleiben, wie er es sich per Verfassungsänderung ja ermöglicht hat. Über das Ende dieses Krieges und möglicherweise auch über die ersten Schritte zu einer neuen Friedensordnung in Europa, also über Rüstungskontrolle und erste Abrüstungsschritte wird man wohl noch mit Putin verhandeln müssen. Aber das Ende der Ära Putin ist absehbar.

Trotz staatlicher Propaganda und Gleichschaltung aller Medien werden sich die Lügen über den Krieg, das Leugnen der Zahl der gefallenen russischen Soldaten, auf Dauer nicht in der russischen Bevölkerung halten. Die Angehörigen der vielen gefallenen russischen Soldaten werden am Ende fragen, wo ihre Söhne oder ihre Männer geblieben sind. Es geht auch nicht mehr wie im russischen Tschetschenien-Krieg gegen islamische Terroristen, sondern gegen das ukrainische Brudervolk.

Gilt im Umgang mit Russland noch der Grundsatz, dass Kontrahenten stets nur gemeinsam Sicherheit erreichen können?

Von Egon Bahr, der ja der Architekt der Entspannungspolitik der 1970er-Jahre war, stammt der Satz: „Sicherheit in Europa kann es nur mit der Sowjetunion geben – nicht ohne und nicht gegen die Sowjetunion.“ Angewandt auf Russland gilt dieser Satz heute noch. Das gibt schon die geografische Lage in Europa vor.

Wer Sicherheit ohne Hochrüstung haben und dafür nicht ständig mehr Milliarden ausgeben will, die ja für Klimaschutz oder Armutsbekämpfung dringend gebraucht werden, kann dies nur mit Russland erreichen. Wer aus der jetzigen Entwicklung Russlands und seiner Führung den Schluss zieht, die Entspannungspolitik sei von vornherein falsch gewesen, versucht die eigene Geschichte, die eigenen Fehler und die eigenen falschen Weichenstellungen zu entsorgen. Am Anfang dieser Fehlerkette stand das Gorbatschow gegebene und dann gebrochene Versprechen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.

Angesichts schrecklicher Kriegsbilder erscheint es abseitig, über Entspannung und eine europäische Friedensordnung nachzudenken.

Wichtigste Voraussetzung für eine Friedensordnung ist natürlich, dass der heiße Krieg in der Ukraine beendet wird und es zu einem Abzug der russischen Truppen kommt. Beide Seiten müssen sich auch über die Zukunft der umstrittenen Territorien verständigen.

Ein erster Baustein für eine Friedensordnung wären Abrüstungs- und Rüstungskontrollverhandlungen über atomare und konventionelle Waffen, gegenseitige Beobachtung von Manövern und weitere vertrauensbildende Maßnahmen. In ihrer Antwort auf die Fragen, die Putin im Dezember gestellt hatte, haben sich die USA und die NATO prinzipiell zu solchen Verhandlungen bereit erklärt. Sie hatten nur Verhandlungen über die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine abgelehnt, wie sie Russland forderte.

Ein weiterer Baustein wäre die Klärung wirtschaftlicher Fragen. Es ist richtig, der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft anzubieten. Dabei darf man aber nicht erneut eine Entscheidung der Ukraine gegen die Wirtschaftsbeziehungen, gegen die Zollunion mit Russland verlangen. Die EU muss Russland zudem dabei helfen, sich aus der fatalen Abhängigkeit von Förderung und Verkauf fossiler Rohstoffe zu befreien. Ohne Russland bleiben die Pariser Klimaziele unerreichbar, selbst wenn alle EU-Staaten sie erfüllen würden.

Zu einer europäischen Friedensordnung gehört die friedliche Lösung offener territorialer Fragen durch den Rückzug ausländischer Truppen, durch Abstimmungen unter internationaler Aufsicht und Autonomieregelungen. Das betrifft die abtrünnigen Gebiete in Georgien und Moldawien, den durch die NATO völkerrechtswidrig von Serbien abgetrennten Kosovo und auch die Krim und die Ostukraine.

Interview: Jürgen Voges