Ein Interview mit Heinz Ehlers, Abteilungsleiter Inklusion der NaturFreunde Wilhelmshaven
Die NaturFreunde Wilhelmshaven gehören zu den Pionieren des inklusiven Wassersports in Deutschland und betreiben heute auf dem Gelände ihres Naturfreundehauses Bootshaus Am Banter See (C 11) unter anderem das Inklusive Ausbildungszentrum des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV).
Heinz Ehlers, Abteilungsleiter Inklusion der NaturFreunde Wilhelmshaven, hat Ende letzten Jahres auch eine mehr als 200-seitige Inklusionsfibel Paddelsport veröffentlicht, die sich sowohl an unmittelbar betroffene Menschen richtet als auch an Trainer, Anbieter von inklusiven Freizeit-Programmen sowie Institutionen, die den Paddelsport für Menschen mit Behinderungen öffnen möchten.
Als sich jüngst jedoch die Präfektur Tokio bei Heinz Ehlers zum Thema Inklusion im Paddelsport erkundigte, hielt er die E-Mail zuerst für Fake. Was kann die Verwaltung einer japanischen Millionenmetropole schon von einem friesischen NaturFreund wollen. Doch die Anfrage war echt und schon wenig später bekam Ehlers Besuch von der japanischen Übersetzerin Izumi Mazur, die für die Präfektur Tokio vor Ort erste Erkenntnisse sammeln sollte. Was dann passierte, fragen wir ihn am besten selbst.
Heinz, wie ist Tokio auf eure inklusiven Kanusport-Angebote aufmerksam geworden?
Heinz Ehlers: Letztlich haben die auch nur im Internet recherchiert. So kam dann unsere kleine NaturFreunde-Ortsgruppe in deren Fokus. Wir präsentieren online ja eine breite Angebotspalette im inklusiven Paddelsport – sei es nun Kanu-, Kajak- oder auch SUP-Sport. Und als Inklusives Ausbildungszentrum des Deutschen Kanu-Verband gibt es auch keinen Zweifel an unserer fachlichen Expertise.
Was haben die Japaner*innen vor?
Die japanische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen zu fördern, damit sie besser an der Gesellschaft teilhaben können. In Japan hat sich die Anzahl der Menschen mit Behinderungen in den letzten zehn Jahren anscheinend verdoppelt – und das bei einer stark sinkenden Geburtenrate. Nun will man von anderen Ländern lernen, wie das geht mit der Integration von Menschen mit Behinderungen bei sportlichen Aktivitäten.
Wie hast du helfen können?
Wir haben insbesondere über unsere empathische Art der Umsetzung von Inklusion im Paddelsport gesprochen. Bei uns geht es um Nähe statt Ausgrenzung und Distanz. Und es geht um Akzeptanz statt Diskriminierung. Auch der Inhalt unserer Inklusionsfibel und die Vielzahl an Hilfsmitteln, aber auch, wie variabel diese individuell eingesetzt werden können, stieß auf große Begeisterung bei Izumi Mazur. Sie hat einfach alles fotografiert, was in unserem Verein an adaptiven Hilfsmittel zur Verfügung steht. Ich hatte das Gefühl, sie sprengt die Speicherkarte ihres Handys.
Kannst du ein Beispiel für solche Hilfsmittel geben?
Ja, zum Beispiel haben wir hier spezielle Kajaks mit Seitenauslegern. Die nutzt ein ehemaliger Altenpfleger, der ein Schädel-Hirn-Trauma bei einem schweren Fahrradunfall erlitt und sich nun mit Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen ins Leben zurückkämpft. Bei uns kann er mit leichter Assistenz wieder eigenständig Paddelsport betreiben. Auch wenn er aufgrund seiner Erkrankung keinerlei Emotion mehr zeigen kann, blitzen seine Augen bei jedem Aufenthalt auf dem Wasser.
Oder ein anderes Beispiel: Einer Sportlerin fehlt seit Geburt ein Unterarm, was sie mit einer Automatikprothese ausgleicht. Weil sie diese automatische Prothese auf dem Wasser ablegen muss, wollte sie kein Kajakverein aufnehmen. Wir haben dann zusammen mit ihr eine spezielle Paddelstütze entwickelt, wofür mehrere Prototypen notwendig waren. Mit dieser Adaption kann sie nun autark wie jeder vermeintlich gesunde Sportler am Wassersport teilnehmen.
Hast du während des Besuchs von Izumi Mazur auch etwas über Inklusion in Japan erfahren?
Ja, in Japan wird Inklusion innerhalb der Bevölkerung anscheinend kaum praktiziert. Es ist eine leistungsorientierte Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen wohl keinen Platz haben und auch nicht sichtbar sind. Inklusion scheint in den traditionellen Abläufen der Japaner keinen großen Stellenwert zu haben. Offensichtlich sind Behinderungen, insbesondere kognitive, in Japan auch noch immer sehr schambehaftet. Selbst die Inklusion im Sport, wie wir sie hier in Deutschland betreiben, ist in Tokio gesellschaftspolitisch wohl bislang kein Thema gewesen. Doch die japanische Hauptstadt will sich dieses Themas offenbar intensiv annehmen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten in die sportliche Gesellschaft tragen.
Was kann Inklusion im Paddelsport leisten?
Durch den inklusiven Paddelsport kann das Medium Wasser für Menschen zugänglich und damit erlebbar gemacht werden. Für viele Menschen, hier besonders Menschen mit körperlichen Behinderungen oder auch starken gesundheitlichen Einschränkungen, stellt das Wasser plötzlich keine Barriere hinsichtlich einer sportlichen Betätigung mehr dar.
Bei dieser Gelegenheit vielleicht noch ein Beispiel: Eine Familie wurde im Urlaub hier an der Küste auf unser inklusives Paddelprogramm aufmerksam. Der Sohn mit Down-Syndrom war bisher immer vom Wasser ferngehalten geworden – zu gefährlich. Nachdem wir die Eltern von der Sicherheit unseres inklusiven Paddelsports überzeugen konnten, begriff der Sohn den Umgang mit dem Paddel sehr schnell. Im Kajak war er dann nicht mehr zu halten und mega glücklich. An ihrem Heimatort fand die Familie schließlich einen Verein, der Sportler*innen sogar für die Special-Olympics trainiert. Und bei den letzten Special Olympics hat der Sohn dann eine Bronze-Medaille gewonnen. Mittlerweile paddelt die ganze Familie.
Ihr habt ein Naturfreundehaus direkt am Banter See, einem ehemaligen U-Boot-Hafen in Wilhelmshaven. Wie kostspielig sind die Investitionen für mehr Inklusion im Kanusport?
Inklusion ist in erster Linie gekennzeichnet von Kreativität, Innovation und Individualität. Wenn man die Ressourcen der Sportler kennt – also was in ihrem derzeitigen Zustand möglich ist –, kann man ihnen auch mit einfach hergestellten Adaptionen den Wassersport erlebbar machen. Individuelle Hilfsmittel lassen sich durch das kreative Betrachten der Ist-Situation oft sehr kostengünstig herstellen. Kostspielige Investitionen in Boote oder anderweitige Hilfsmittel sind meist nicht unbedingt notwendig, da sie nicht die Individualität der Betroffenen berücksichtigen. Letztlich muss das Hilfsmittel immer auf die betroffene Person zugeschnitten sein, denn sie muss sich damit wohl fühlen.
Wer profitiert denn eigentlich alles von mehr Inklusion im Kanusport?
Jeder Sportler, jede Sportlerin profitiert früher oder später von Inklusion. Dabei geht es um die Akzeptanz des Andersseins und auch das Eingestehen der eigenen körperlichen Einschränkungen hinsichtlich der Umsetzung im eigenen Sport. Letztlich profitieren alle im Verein gleichermaßen von der inklusiven Umsetzung. Ob ältere Sportler, Paddler*innen mit chronischen Erkrankungen, Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen oder auch ängstliche Kinder und Jugendliche. Das Ziel eines inklusiven Ansatzes ist, dass wir uns innerhalb des Vereins alle auf Augenhöhe begegnen, uns gegenseitig unterstützen und den anderen Wert schätzen, so wie er ist.
Geht es nun irgendwie weiter mit Tokio?
Wir warten noch auf die inklusiven Eingebungen der Präfektur Tokio. Sehr gerne würden wir die Japaner*innen auf ihrem inklusiven Weg im Paddelsport weiter begleiten und unterstützen.
Fragen Samuel Lehmberg
Mehr Informationen: www.nfd-whv.de
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