Reisebericht: mit dem Faltboot durch das Wolgadelta

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Es ist ein Naturschatz zwischen Meer und Halbwüste – und das größte Flussdelta Europas: Zwischen dem 46. und 47. Breitengrad verzweigt sind die Wolga in viele kleine und große Seitenarme, die schließlich an der russischen Grenze zu Kasachstan in das Kaspische Meer münden.

Reiseservice

Beste Reisezeit Mai, Juni, September
Kartenmaterial Sowjetische topografische Militärkarten im Maßstab 1:100.000 kann man hier kostenfrei ausdrucken: www.kurzlink.de/sowjetische-karten
Visa Die Ukraine kann visafrei bereist werden, für Russland allerdings ist ein Visum notwendig. Die entsprechenden Stellen stehen hier: www.kurzlink.de/visafragen
Die Anreise mit dem Zug dauert zwei bis drei Tage entweder über Moskau oder über die Route Berlin–Kiev–Charkov Richtung Baku.
Die Anreise mit dem Auto ist auch möglich: über Lvov, Kiew, Charkov (Ukraine), Woronesch, Wolgograd nach Astrachan, das sind gut 3.000 Kilometer ab Berlin.
Kosten Russland ist derzeit ein günstiges Reiseland. Die Zugfahrt Moskau–Astrachan kostet beispielsweise ab 54 Euro. Das Paddeln mit dem eigenen Faltboot ist kostenfrei,die Lebensmittel vor Ort sind günstig.

Die Wolga ist nicht nur der längste Fluss Europas, sondern auch der wasserreichste: Er transportiert etwa 15 Prozent mehr Flüssigkeit als die Donau. Und kein anderes Delta auf der Welt ist so schnell gewachsen wie dieses: Binnen der letzten 120 Jahre stieg seine Fläche um das Neunfache an. Zudem ist das von der Wolga (und ein paar anderen kleineren Flüssen) gespeiste Kaspische Meer das größte Binnengewässer der Welt: in etwa so groß wie die Bundesrepublik und Belgien zusammen. Jede Menge Superlative also, die das Wolgadelta interessant machen. Aber kann man dort auch paddeln?

Kanus sind weitgehend unbekannt
Natürlich kann man, wenn einige Dinge in der Vorbereitung organisiert werden. Tor zum Wolgadelta ist die Stadt Astrachan, die im 8. Jahrhundert als Hauptstadt des Reichs der Chasaren gegründet worden war. Zwar ist die Stadt heute eine moderne Metropole mit einer halben Million Einwohnern. Paddelboote gibt es aber nirgends zu mieten, das Fortbewegen im Kanu ist hier weitgehend unbekannt. Zu finden sind allenfalls Schlauchbote mit Außenbordmotoren, die besonders bei den anreisenden Anglern sehr beliebt sind.

Wer das Wolgadelta erpaddeln möchte, muss also ein eigenes Boot mitbringen. Hilfreich sind deshalb Faltboote, die sich in den russischen Zügen bequem transportieren lassen. Vom Berliner Ostbahnhof braucht der Zug 24 Stunden bis Moskau, von dort sind es gut 26 Fahrstunden bis Astrachan.

Günstig für eine Tour ins Wolgadelta ist es, das Boot in Astrachan in der „Kriwaja Wolga“ einzusetzen: Der Arm zweigt Richtung Osten ab und bietet über viele kleine Kanäle die Gelegenheit, „tiefer“ ins Delta einzudringen. Anders als im Donaudelta zum Beispiel bedeutet „tiefer“ hier aber nicht „menschenleerer“: Es gibt immer wieder Dörfer oder kleine Städte am Fluss. Das macht das Paddeln im Wolgadelta leichter als im Delta der Donau: In fast jedem dieser Dörfer gibt es ein „Magasin“, einen Lebensmittelladen, in dem die Vorräte aufgefrischt werden können.

Flora, Fauna und russische Gastfreundschaft erleben
Zu den Attraktionen des Wolgadeltas zählen Fisch- und Seeadler, die es hier in großer Zahl gibt, die Schildkröten und Wasserschlangen, die lautlos durch das Wasser gleiten oder die vielen Pferde, die zuweilen als ausgewilderte Herde die Ufer bevölkern. Vom Krauskopfpelikan über Graureiher und Löffler bis hin zur Beutelmeise oder Weißbartseeschwalbe – im Wolgadelta leben zeitweise fast 300 verschiedene Vogelarten. Wasservögel zählt man hier in Millionen. Und im Sommer tauchen blühende Lotospflanzen die Wasserfelder in zauberhaftes Rosa.

Natürlich gibt es auch häßliche Momente, etwa wenn die Füße schon wieder in jenem Morast versinken, den die Wolga hierher geschleppt hat. Oder wenn die Angler zuvor das Ufer besetzt hielten – es gleicht dann einer Müllkippe. Aber im Wesentlichen überwiegt das Positive. Mücken zum Beispiel gibt es im Vergleich zum Donaudelta fast überhaupt nicht!

Etwas Russisch zu sprechen ist hilfreich, denn eine andere Attraktion ist die Gastfreundschaft der Deltabewohner. Valerie und Arslan zum Beispiel, die als Fischer in Bolschoy Mogoy leben: „Ihr seid mit einem Paddelboot unterwegs? Maladjez“, sagt die 50-jährige Valerie, was übersetzt „Prachtkerl“ bedeutet. Sie tischt Mänti auf, das kasachische Nationalgericht sowie mit Fleisch gefüllte Teigtaschen. Arslan und Valerie sind russische Kasachen, sie stecken uns getrocknete Fische zu, damit es an nichts mangelt.

Der Klimawandel ist sichtbar
Über den „Tischkowskiy Kanal“ erreichen wir am neunten Paddeltag den „Forpost Starovatazheshkiy“ – die letzte Siedlung vor den Mündungsarmen der Wolga ins Kaspische Meer. Wir sollten vielleicht hier aussetzen, rät man uns. Denn das Meer selbst gilt als Grenzgebiet. Der „Forpost“ liegt 27 Meter unter dem Meeresspiegel. Das hat seine Gründe: Einerseits sinkt der Boden immer weiter ab, andererseits setzt die Erderwärmung dem Kaspischen Meer zu. Weil es hier schon um gut zwei Grad wärmer geworden ist, stieg die Verdunstung und ist mittlerweile größer als jene Menge Wasser, die die Flüsse nachschieben. Die Folgen: Der Meeresspiegel sinkt, die Wolgaarme suchen sich immer neue Wege, das Delta wächst.

Ein bisschen enttäuscht, nun doch nicht auf das offene Meer gepaddelt zu sein, entpuppt sich der „Forpost“ als Segen: Es gibt eine Einladung von Einheimischen, diesmal russische Spezialitäten, eine Dusche und ein Bett nach Nächten im Zelt. Und am nächsten Tag ein Auto, das uns nach Astrachan zurückbringt.

Nick Reimer
durchpaddelte das Wolgadelta im September 2017 mit seiner Frau. Beide waren mit ihrem Poucher-Faltboot (RZ 85) auch schon im Donaudelta unterwegs.

Weitere Bilder

Nick Reimer Paddeln im Wolgadelta

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