Sofortige Beendigung der Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das Freihandelsabkommen TTIP und Aufnahme von Verhandlungen über eine transatlantische Partnerschaft für die sozialökologische Transformation

Resolution des 29. ordentlichen Bundeskongresses der NaturFreunde Deutschlands

Die NaturFreunde fordern die deutsche Regierung auf alles zu tun, dass die EU-Kommission die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen sofort beendet und stattdessen auf eine transatlantische Partnerschaft für eine sozialökologische Transformation hinarbeitet.

Mit der Begründung, zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und einer höheren Beschäftigung zu kommen, wird derzeit in kleinen, geheimen Zirkeln das Transatlantische Handels- und Partnerschaftsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA verhandelt. Das TTIP ist dabei kein klassisches Abkommen, um die ohnehin schon niedrigen Zölle zwischen der EU und den USA weiter zu senken. Vielmehr geht es darum, Industriestandards, Lebensmittelgesetze und Regierungsaufträge miteinander zu harmonisieren. Mit dem TTIP entstünde ein Wirtschaftsraum, der 50 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht.

Folgen des TTIP für Mensch und Umwelt

Mit dem TTIP würden die Hoheitsrechte der beteilig­ten Staaten massiv beschränkt, sie gerieten noch tie­fer in die Geiselhaft der Märkte. Das wäre nach dem Ende der Nachkriegsprosperität vor vier Jahrzehnten die dritte Liberalisierungsdummheit, die die Wirt­schaft in eine tiefe Krise führen, die soziale Spaltung vertiefen, die Ökologie an den Rand drängen und die Demokratie schwächen würde.

Der Wendepunkt des Nachkriegskapitalismus, mit dem die Schwächung des Wohlfahrtsstaats begann, war die Aufkündigung des Weltwirtschaftssystems von Bretton Woods 1971 durch US-Präsident Nixon. Damit kam es zum Aufstieg der Geldpolitik und des Finanzkapitalismus, verbunden mit dem Wechsel vom Keynesianismus zum Neoliberalismus. Die Politik der Liberalisierung und Deregulierung verschob das Kräfteverhältnis immer mehr zulasten der Demokratie und zugunsten wirtschaftlicher Macht – bis es 2008 zur globalen Finanzkrise kam. Dennoch wur­den kaum Konsequenzen gezogen, die Fixierung auf Wachstum blieb ungebrochen. Zu einer grundlegen­den Neuordnung mit Hilfe einer sozialökologischen Transformation kam es nicht.

Die niedrigsten Standards gelten

Mit dem TTIP sollen privilegierte Rechte ausländischer Investoren festgeschrieben werden. Das transnationale Handelsabkommen würde soziale, ökologische und kulturelle Standards außer Kraft setzen, die zu den wichtigsten Schutzschichten der Gesellschaft gehören: Besonders brisant sind die sogenannten Schiedsgerichte, die ohne Einspruchsmöglichkeit entscheiden sollen. Solche gibt es in allen Freihandelsabkommen.

Vor Schiedsgerichten können mit dem TTIP ausländische Investoren Staaten auf Erstattung entgangener Gewinne verklagen, wenn diese höhere Umwelt- und Sozialstandards haben als ihre eigenen Staaten. So könnten künftig amerikanische Unternehmen die Bundesrepublik Deutschland verklagen, weil sie striktere Beschränkungen zur Freisetzung genmanipulierter Organismen haben oder das Fracking ei-nem Moratorium unterliegt. Die Verhandlungen vor den geplanten Schiedsgerichten sind geheim, wie auch die Bundesregierung im Sommer 2013 bestätigte.

Dies ist der zweite Anlauf, die Welt auf die Geschäftspraktiken großer Konzerne auszurichten. Ende der 1990er-Jahre wurde ein ähnliches Vorhaben unter der Federführung der OECD, das Multilaterale Abkommen über Investitionen, kurz MAI, im letzten Augenblick auf Druck der französischen Regierung gestoppt.

Geheimverhandlungen ohne die Bürger

Die NaturFreunde beobachten mit großer Sorge, dass die Europäische Union zur Förderung des Wachstums in nichtöffentlichen Verhandlungen mit den USA erneut ein Freihandelsabkommen anstrebt, das so genannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse abbauen soll. Dazu gehören Sozialstandards, Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz, im Naturschutz und Regelungen zum Schutz eigenständiger Kulturgüter. Es besteht die große Gefahr, dass in diesem Prozess die Standards gesenkt werden, um den Handel zwischen beiden Regionen zu erleichtern und für internationale Konzerne zusätzliche Gewinnmöglichkeiten zu schaffen. Das ist das Gegenteil einer nachhaltigen Entwicklung, auf die sich Deutschland und die Europäische Union verpflichtet haben.

Die Ideologie des Freihandels und lnvestorenschutzes aus dem 20. Jahrhundert ist keine Lösung für die aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen. Wir erwarten von der EU-Kommission und vom Europäischen Parlament, dass sie die Geheimverhandlungen öffentlich machen. Sie müssen sich einmischen, um eine solche Fortsetzung der „Globalisierung“ zu verhindern. Wir wollen nicht Regulierungen zugunsten einiger Weltkonzerne abbauen, sondern eine nachhaltige Zukunft gestalten. Wir wollen eine transatlantische Partnerschaft für die sozialökologische Transformation, die wir im 21. Jahrhundert so dringend brauchen.

Politik für die Menschen statt für die Konzerne

Nutznießer des zurzeit verhandelten TTIP-Abkommens dürften z. B. BMW und Monsanto, Deutsche Bank und JP Chase Morgan, BASF und Google, Bertelsmann und ExxonMobil sein. Es ist unwahrscheinlich, dass ein deregulierter transatlantischer Markt den Menschen in Europa, den USA oder in der übrigen Welt zugutekommt. Das kann vielmehr bedeuten, dass Gentechnik-Lebensmittel und Hormonfleisch aus den USA ungekennzeichnet auf unseren Tellern landen, Meinungsfreiheit und Datenschutz auf der Strecke bleiben, Arbeitnehmerrechte ausgehebelt werden und bei der Gewinnung von Ressourcen Klima-, Natur- und Umweltschutz (z. B. durch Fracking) unberücksichtigt bleiben. Aber jede soziale Gesellschaft braucht starke Regeln und ein starkes demokratisches Gegengewicht gegen wirtschaftliche Verwertungsinteressen.

Kernprinzipien des Klima- und des Natur- und Umweltschutzes, so wie sie 1992 in Rio festgelegt wurden, sind das Vorsorge- und das Verursacherprinzip: Wenn von Produkten oder Technologien Risiken ausgehen, dann müssen diese Risiken vorausschauend vermieden werden. Im TTIP sollen auf Druck von großen multinationalen Unternehmen und US-Exportinteressen bereits bestehende wie geplante Regeln, die diesen Prinzipien folgen, zum Handelshemmnis erklärt werden.

Standards für Umwelt und Mensch

Dorn im Auge der US-Lobbygruppen sind vor allem die in ihren Augen zu langsame Zulassung und Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln in Europa und die europäischen Nachhaltigkeitsstandards von Biokraftstoffen. Aber auch die Weiterentwicklung der EU-Chemikalienrichtlinie REACH und der EURO-Norm für Auto-Emissionswerte wie auch die EU-Strategie zur Begrenzung der von Kunststoffen ausgehenden Umweltgefahren laufen den US-Exportinteressen zuwider. Aber auch für neue Technologien muss das Vorsorgeprinzip gelten, etwa für die gefährliche Gewinnung von Gas mit Fracking. Das TTIP ist ein Angriff auf die Demokratie, die erkämpften sozialen Rechte und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Wir brauchen keine Deregulierung, sondern eine klima- und ressourcenschonendere und gerechtere Wirtschaftsweise auf beiden Seiten des Atlantiks. Die niedrigsten Standards dürfen nicht zur Richtschnur wirtschaftlicher Entscheidungen werden. Verbote sind genauso erforderlich wie Steuern und Zölle für besonders schädliche Verfahren. Das ist mit der TTIP-Freihandelslogik nicht vereinbar. Das wird auch am bisherigen Verhandlungsmandat deutlich, auf das sich 27 EU-Staaten geeinigt haben.

Und es soll schnell gehen: Schon im Oktober 2014 soll das Abkommen stehen. Die Verhandlungen werden geheim geführt. Offiziellen Zugang zu den Zwischenberichten haben nur Vertretungen der interessierten Industrie, aus den USA z. B. die Agrarchemie wie Monsanto. Mit Demokratie hat das nichts zu tun.

Wir NaturFreunde fordern, dass sich Politik und Handel am Wohl von Mensch und Umwelt orientieren müssen. Das bedeutet:

  • Alle Unterlagen zum TTIP müssen sofort öffentlich zugänglich werden. Statt Geheimverhandlungen müssen Öffentlichkeit und Parlamente beteiligt werden.
  • Das Primat der Demokratie muss gelten: Die so genannte Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit unterläuft die Souveränität von Staaten und Bürgern. Unternehmen haben sich demokratisch vereinbarten Standards anzupassen und nicht umgekehrt.
  • Umwelt- und Sozialstandards haben sich am Prinzip Nachhaltigkeit zu orientieren: Nicht der niedrigstmögliche Standard, sondern der Standard, der heutigen und künftigen Generationen die besten Lebenschancen bietet muss Maßstab politischen und wirtschaftlichen Handelns sein.
  • Die Kontrolle über den Finanzsektor muss wiedererlangt werden. Die Liberalisierung der Finanzmärkte ist eine wesentliche Ursache der europäischen Wirtschaftskrise. Statt wie mit dem TTIP intendiert Finanzdienstleistungen noch weiter zu liberalisieren, muss der Staat gestärkt werden. Das Finanzkapital muss für die Menschen und nicht für sich selber arbeiten.
  • Der Bundesvorstand wird aufgefordert, das Thema TTIP weiterhin in seiner Medien- und Öffentlichkeitsarbeit nach innen und außen zu behandeln und geeignete Kampagnen und Demonstrationen zu unterstützen.
  • Der Bundesvorstand wird ferner beauftragt, die NaturFreunde-Gliederungen und Mitglieder aufzufordern, in ihrem Rahmen entsprechend aktiv zu werden (regionale, lokale Bündnisse, Unterschriftensammlungen und Beteiligung an Internet-Kampagnen gegen TTIP, ...) und entsprechende Materialien (Infoblätter, Unterschriftenlisten, Muster-Presseerklärungen, ...) zur Verfügung zu stellen.

Der Bundesvorstand fordert die Naturfreunde Internationale auf, eine Kampagne mit entsprechenden Materialien zu entwickeln, deren wesentlicher Bestandteil, eine Unterschriftensammlung für eine EU-Petition gegen das TTIP ist.