Ukraine-Krieg: Sechs Gründe, warum es jetzt einen schnellen Frieden braucht

Ein Standpunkt von Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands

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Krieg ist immer falsch. Alle 21 Kriege und 216 militärischen Auseinandersetzungen, die heute in der Welt gezählt werden, sind falsch. Und natürlich ist auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine falsch. Aber das Schwierigste im Krieg ist es, zu Frieden zu finden.

Es sind meiner Meinung nach vor allem diese sechs Gründe, die eine schnelle Friedenslösung in der Ukraine erfordern.

1. Das Töten muss gestoppt werden.

Das Wichtigste, was in der öffentlichen Debatte leider viel zu kurz kommt, ist der Schutz des menschlichen Lebens. Es gibt keine größere Tragödie als die Ermordung von Menschen und keine größere Ungerechtigkeit als das Töten von Kindern.

Schätzungen zufolge sind bisher mindestens 500.000 Menschen schwer verletzt oder im Krieg gefallen. Das Töten muss gestoppt werden. Nur eine Friedenslösung kann das „Ausbluten“ eines großen Teils der Bevölkerung verhindern.

Die Ukraine braucht Frieden, auch weil die Armut im Land katastrophal wird. Kriege treffen in erster Linie die arme Bevölkerung. Nicht nur in der Ukraine, auch in der russischen Armee stammen viele Soldaten aus ärmsten Regionen, etwa aus Swerdlowsk, Tscheljabinsk, Burjatien oder Dagestan, wo der durchschnittliche Monatslohn bei nur 200 Euro liegt. Auch weltweit leiden als Folge des Krieges nach Angaben der UNO rund 1,7 Milliarden Menschen unter einer drastischen Verteuerung und Knappheit von Energie und Lebensmitteln.

2. Die internationale Politik darf sich nicht weiter militarisieren.

Angefeuert durch den Ukraine-Krieg steigen vor allem in Industriestaaten und großen Schwellenländern die Militärausgaben stark an. Sie übersteigen mit 2,3 Billionen US-Dollar bereits deutlich die Ausgaben von 1989, dem letzten Jahr des Kalten Krieges. Der Außenbeauftragte der EU Josep Borrell behauptet, unsere Zeit brauche die „Sprache der Macht“.

In 18 Nato-Staaten erreichen die Militärausgaben zwei und mehr Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland liegt weltweit an 6. Stelle in der Rangfolge der Länder mit den höchsten Militärausgaben. Auf die ersten zehn Länder entfallen fast 75 Prozent der weltweiten Militärausgaben, weit an der Spitze die USA.

Viel zu viel Geld wird verschwendet, das dringend für die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation gebraucht würde, die eine wichtige Voraussetzung für den Frieden in der Welt ist. Andernfalls werden erbitterte Verteilungskämpfe die Zukunft bestimmen.

3. Wir brauchen einen Neustart für Abrüstung, Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle.

Die seit der Kuba-Krise gewachsene Norm eines militärischen Kontroll- und Begrenzungsregimes ist Schritt um Schritt aufgekündigt worden. Dabei müssten die Abkommen vertieft und ausgeweitet werden. Das wird durch den Krieg wahrscheinlich auf lange Zeit blockiert bleiben.

Notwendig ist aber eine Rückkehr zu den Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Genf und Wien. Und notwendig wäre auch eine Sonderkonferenz der Vereinten Nationen für neue Abrüstungsverhandlungen.

4. Die Atomgefahren müssen gestoppt werden.

Heute verfügen neun Staaten der Welt über 12.512 Atomwaffen mit 9.578 einsatzbereiten Sprengköpfen. Nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI haben Russland 5.889 und die USA 5.244 Atomwaffen, zusammen sind das mehr als 90 Prozent des weltweiten Arsenals. Die USA haben im Jahr 2022 knapp 44 Milliarden Dollar für die Modernisierung und Erweiterung ihrer Atomwaffen ausgegeben, auch für die Entwicklung von Mini-Nukes, die die Schwelle eines Einsatzes von Nuklearwaffen senken könnten.

SIPRI befürchtet, dass die Welt in „eine der gefährlichsten Perioden der Menschheitsgeschichte driftet“. Statt den Atomwaffensperrvertrag umzusetzen und den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben, wächst in verschiedenen Ländern das Bestreben, selbst Atombomben zu bauen oder zu einer atomaren Teilhabe zu kommen.

Albert Einstein hat Recht: „Die Atombombe hat die Welt verändert, aber nicht das Denken der Menschen.“

5. Eine Weltinnenpolitik ist notwendig.

Der Ukraine-Krieg hat auch global eine neue Zeit eingeleitet. Trotz des UN-Beschlusses haben sich nur wenige Länder an den Sanktionen gegen Russland beteiligt. Die Unterschiede zwischen Nord und Süd werden größer.

Das ist keine Zustimmung zum russischen Angriffskrieg, aber eine Kritik am Vorgehen des Westens, zu dem 11 Prozent der Weltbevölkerung gehören. Während allein auf die BRICS-Staaten und die Shanghai-Gruppe, die Sanktionen ablehnen, fast 50 Prozent entfallen.

Um die globalen Herausforderungen zu bewältigen, braucht die Menschheit eine Weltinnenpolitik, die vom Gedanken der Gemeinsamkeit ausgeht und auf Kooperation ausgerichtet ist: Gemeinsames Überleben, gemeinsame Sicherheit, gemeinsame Zukunft. Auch weil der Mensch mit den Möglichkeiten des Industriezeitalters zum stärksten Einflussfaktor auf die Prozesse des Erdsystems geworden ist.

Vor allem durch die Klimakrise, die sich in unserem Jahrzehnt zuspitzen wird, ist sogar ein Ende der menschlichen Zivilisation denkbar geworden. Die Weltinnenpolitik muss alle Länder einbeziehen, die Ukraine genauso wie Russland.

6. Wir brauchen ein starkes Europa.

Eine friedliche Zukunft erfordern ein gemeinsames und kein gespaltenes Europa; ein Europa, das von den Leitideen der Nord-Süd-Solidarität, der Gemeinsamen Sicherheit und der Nachhaltigkeit ausgeht. Die „Charta von Paris für ein neues Europa“ ist dafür die Grundlage. Nur ein starkes und gemeinsames Europa kann in der Welt eine wichtige Rolle spielen.

Wir halten daran fest, nicht weil wir die Probleme mit Russland ignorieren, sondern weil Gemeinsame Sicherheit und Nachhaltigkeit ins Zentrum der Politik rücken muss. Europa braucht die Perspektive einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur.

Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands