Umweltverbände lehnen DIN-Entwurf der Normungsstrategie 2020 ab

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Im Frühjahr 2016 hat das Deutsche Institut für Normung (DIN) in einem Schreiben auf die anstehende Fortentwicklung der Deutschen Normungsstrategie hingewiesen und hierfür einen breiten Beteiligungsprozess ange­kündigt.

Aus Sicht von NaturFreunden, Deutschem Naturschutzring und BUND, die im "Koordinierungsbüros Normungsarbeit der Umweltverbände" (KNU) zusammenarbeiten, ist es dem DIN mit dem vorliegenden Entwurf weder gelungen, die Normungsstrategie zu einem zukunftsgerechten Grundlagenpapier weiterzuentwickeln, noch ein adäquates Beteiligungsverfahren dazu sicherzustellen. Als Repräsentanten des interessierten Kreises „Umweltschutz“ im Normungsprozess distanzieren sich NaturFreunde, Deutscher Naturschutzring und BUND  deshalb von dem vorliegenden Entwurf der Deutschen Normungsstrategie 2020. Die Umweltverbände wollen ein so wichtiges Strategiedokument gerne unterstützen, können dies aber nur mittragen, wenn eine deutliche Kurskorrektur erfolgt.

Die zentralen Gründe für die Ablehnung des Dokumenten­entwurfs sind:

Wichtigen Zukunftsfragen und neuen Normungsfeldern kann und darf man nicht mit veralteten Konzepten und überholtem neoliberalen Wirtschaftsdenken begegnen.

Sprache und Geist der Formulierungen zeigen uns, dass in der vom DIN berufenen Redaktions­gruppe ein Denken und ein Verständnis von Normung vorherrscht, welches eher dem Zeitgeist der 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entspricht. Es fehlt hier offensichtlich die Einsicht in die geänderte Rolle der Normung durch die neue Konzeption (New Approach) und die damit verbundenen Partizipations-, Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen.

Anstatt Umweltschutzanforderungen und Nachhaltigkeit in der Deutschen Normungsstrategie 2020 an exponierter Stelle bei den Zielstellungen aufzunehmen und mit wirtschaftlichen Chancen zu verbinden, bleiben diese schlichtweg gänzlich unerwähnt.

Ihre Überlegungen, den Begriff der Nachhaltigkeit und die gesellschaftlich relevanten Schutzziele eventuell in der Vorbemerkung mit einer pauschalen Formulierung aufzunehmen, unterstreicht die im Vergleich zu den beiden Vorgängerfassungen der Deutschen Normungsstrategie hier vertretenen rückwärtsgewandten Positionen und Forderungen.

Denn bereits in der ersten Fassung der Deutschen Normungsstrategie (2004) hatte das DIN die Relevanz einer Beteiligung der Umweltschutz- und Verbraucherschutzverbände betont und in der Fassung von 2009 zentral im ersten Ziel verankert, die „Nachhaltige Entwicklung sicherstellen zu wollen“ und herausgestellt, dass „Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit …insbesondere auch Aspekte wie der Schutz der Umwelt, die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, die Material-, Energie- und Ressourceneffizienz zu berücksichtigen sind.“

Eine wirtschaftliche Entwicklung, welche die planetaren Grenzen respektiert, ist die zentrale Zukunftsherausforderung für die Normung.

Auf diesen Erkenntnissen und bestehenden Notwendigkeiten hätte das DIN mit der Redaktions­gruppe aufbauen und mit wirtschaftlichen Chancen für Unternehmen verbinden müssen, um den zukünftigen Herausforderungen in der neuen Normungsstrategie mutig zu begegnen. Denn wenn es nicht zeitnah gelingt, ambitioniertere und umfassende Maßnahmen zum Schutz beispielsweise des Klimas, der Biodiversität, der Gesundheit in Normen zu verankern, werden auch „Smarte“ Fabriken mit digitalisierten Prozessen nicht gegen Schäden geschützt sein und die Unternehmen nur eingeschränkt agieren können.

Somit wird der Strategieentwurf der Vision „Mit Normung Zukunft gestalten“ in keiner Weise gerecht. Im Gegenteil, er ist weit davon entfernt in seiner Zielstellung anzuerkennen, dass die Normung auch einen Beitrag zur Unterstützung der sozial-ökologischen Transformation leisten kann und muss.

Die Wirtschaft ist mitnichten alleinige treibende Kraft in der Normung.

Das DIN erkennt in seinem Entwurf nur die Wirtschaft als die treibende Kraft in der Normung und Standardisierung an. Es negiert damit völlig, dass bereits heute ein großer Teil der Normungsvorhaben auf Basis von Mandaten bzw. Normungsaufträgen der Europäischen Kommission erarbeitet und finanziert werden, die dann auch in den nationalen Spiegelgremien mitgestaltet werden. Für die Zukunft zeichnet sich sogar politisch ein zunehmender Trend für die Inbezugnahme von Normen und Standards in der deutschen und europäischen Gesetzgebung ab, auch in vielen Bereichen, die von öffentlichem Interesse sind. Die Notwendigkeit zur Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure wird deshalb immer wichtiger. Denn nur durch ihre breite Beteiligung am Normungsprozess kann absehbar sichergestellt werden, dass Normen und Standards geeignet sind, den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Gesellschaft gerecht zu sein. Aber anstatt in den Zielstellungen der neuen Normungsstrategie 2020 endlich zu verankern, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure befördern zu wollen (beispielsweise durch die Möglichkeit einer kostenfreien Mitarbeit in den Normungsgremien), kommen außerindustrielle Stakeholder im Entwurfsdokument nur am Rande vor.

Mit der avisierten wirtschaftszentrierten neuen Normungsstrategie würde das DIN den bestehenden Normenvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland aufkündigen und den ‚Töpfer-Vertrag‘ konterkarieren.

In dem im Jahre 1975 zwischen der Bundesregierung und dem DIN geschlossenen Normenvertrag wurde das DIN als zuständige Normenorganisation für die Bundesrepublik Deutschland anerkannt. Das DIN hat sich darin unter anderem verpflichtet, bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu vertreten. Mit dem Töpfervertrag aus dem Jahre 1992 wurde auf der Grundlage des übergeordneten Normenvertrages eine zusätzliche Vereinbarung über die Berücksichtigung von Umweltbelangen in der Normung geschlossen. Hiermit verbunden ist eine erhebliche Finanzie­rung der Normungsarbeiten durch die öffentliche Hand.

Wir hegen große Zweifel, ob das DIN aktuell überhaupt noch gewillt ist, die Interessen der Bundesregierung angemessen zu vertreten. Denn was im Entwurf der neuen Strategie normungs­politisch gefordert wird, widerspricht völkerrechtlichen Abmachungen, zu denen sich die Bundes­regierung in jüngster Zeit bekannt hat (Sustainable Development Goals (09/2015) und Paris Agreement (12/2015)). Auch das normungspolitische Konzept der Bundesregierung von 2009 zur Unterstützung der Nachhaltigkeitsstrategie mit ihren wirtschaftlichen, umweltbezogenen und gesellschaftlichen Zielen durch die Normung bleibt unberücksichtigt.

Sollte das DIN keine deutliche Korrektur an der Normungsstrategie durchführen, würden wir der Bundesregierung dringend empfehlen, ihre bisherige Förderstruktur gegenüber dem DIN auf den Prüfstand zu stellen.

Abschließend möchten wir auch zu Ihrem Beteiligungsprozess Stellung nehmen:

Das Auswahlverfahren für die Mitarbeit in der Redaktionsgruppe und deren aktuelle Zusam­mensetzung sind intransparent.

Sie haben sich entschieden, den Entwurf für die Deutsche Normungsstrategie 2020 von einer Gruppe von Persönlichkeiten unterschiedlicher interessierter Kreise und Wirtschaftssektoren er­arbeiten zu lassen. Es ist für Dritte nicht transparent, welche Kriterien Sie für Ihre Offerte zur Mit­arbeit in der Redaktionsgruppe angelegt haben. Auf der DIN-Internetplattform wird zwar über den Auftaktworkshop zur Vorbereitung des Strategieentwurfs berichtet, aber die Teilnehmer­schaft nicht genannt. Selbst in dem vorliegenden Entwurfsdokument der Deutschen Normungs­strategie 2020 ist nicht aufgeführt, welche Personen/Organisationen welcher interessierten Kreise daran beteiligt sind.

Obwohl Normung eine Gemeinschaftsaufgabe ist, hat es das DIN nun auch bei der laufenden Revisionsphase der Deutschen Normungsstrategie unterlassen, den interessierten Kreis „Umwelt­schutz“ zur Mitarbeit in der Redaktionsgruppe einzuladen. Und dies, obwohl unsere ehrenamt­lichen Expertinnen und Experten über die Interessensvertretung der deutschen Umweltschutzverbände in der Normung (KNU) ihr Know-how seit nunmehr zwei Jahrzehnten aktiv und kontinuierlich in zahlreiche Normen- und Arbeitsausschüsse des DIN und der DKE auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene einbringen. Unerklärlich ist die ausbleibende frühzeitige Einbindung für uns auch, weil wir im Normungsprozess als besonders betroffene Stakeholdergruppe gelten, da wir die zivilgesellschaftlichen Interessen für den Schutz von Natur, Umwelt und Gesundheit im Normungsprozess vertreten.

Der Zeitplan, die auszugsweise Veröffentlichung und das eingeschränkte Kommentierungsan­gebot behindern einen adäquaten Diskussionsprozess in den Normungsgremien und bei der interessierten Öffentlichkeit.

Der Zeitplan des DIN ist so angelegt, dass die öffentliche Konsultationsphase zur Normungsstrate­gie 2020 überwiegend in die Sommerpause fällt. Seit der Veröffentlichung des Dokumentenent­wurfes Anfang Juni bis zum Ende der Konsultationsphase Anfang August tagen vergleichsweise wenige DIN-Gremien. Eine gemeinschaftliche Diskussion und Meinungsbildung der Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter in den Normungsgremien kann allein schon deshalb gar nicht zufrie­denstellend erfolgen.

Außerdem finden wir es unangemessen, nur die Ziele aus dem Strategiepapier zur Kommentie­rung durch die Öffentlichkeit freizugeben, anstatt des vollständigen Entwurfsdokuments.

Aus den genannten Gründen halten wir eine Kommentierung einzelner Textpassagen im Rahmen des von Ihrem Hause vorgesehenen Online-Verfahrens für nicht ausreichend und zielführend. Wir erwarten eine grundlegende Überarbeitung des gesamten Strategiedokumentes, verknüpft mit einem erweiterten Beteiligungsverfahren auch nichtindustrieller Kreise sowie eine zweite öffent­liche Konsultationsphase.

Anderenfalls sehen wir die bisherige engagierte und konsensorientierte Mitwirkung der Umwelt­seite in den DIN-Gremien gefährdet.

Gezeichnet von

  • Michael Müller, Vorsitzender der NaturFreunde Deutschlands
  • Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR)
  • Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND                              

Ansprechpartnerin und weitere Informationen:

Koordinierungsbüro Normungsarbeit der Umweltverbände (KNU)
Marion Hasper
(030) 275 86 -476
marion.hasper@bund.net

Diese Stellungnahme ist unter Mitwirkung folgender Normungsexpertinnen und Normungs­experten verfasst worden:

  • Dr. Ludwig Glatzner (Mitglied in den Beiräten des NAGUS und des NAOrg, Mitarbeiter u.a. im
  • NA 172-00-09 AA (stellv. Obmann), NA 172-00-02 AA (stellv. Obmann), DKE/TBINK.EEE_AK_NR)
  • Prof. Dr. Birgit Grahl (Mitarbeiterin u.a. im NA 172-00-03-01 AK)
  • Marion Hammerl (Mitarbeiterin im NA 172-00-12 AA)
  • Nathanael Harfst (Mitarbeiter im NA 172-00-09 AA)
  • Marion Hasper (Mitglied im NAGUS-Beirat und im Fachbeirat der DIN-KU)
  • Prof. Dr. Helmut Horn (Mitarbeiter im DKE/K 191 und im DIN-KU TS 3)
  • Michael Jäcker-Cüppers (Mitarbeiter im NA 001-01-05 AA)
  • Dr. Joachim Nibbe (Mitglied der ISO/TMB/TF 07 und Mitarbeiter u.a. im NA 172-00-13 AA, NA 172-00-12 AA)
  • Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitarbeiter im NA 057-06-02 AA)
  • Dr. Eva Schmincke (Mitarbeiterin u.a. im CEN/TC 350, NA 005-01-31 AA, ISO/TC207/SC 3, NA 172-00-03 AA)
  • Klaus Willke (Mitarbeiter im DIN-KU TS 3)