Umweltverbände in Rheinland-Pfalz fordern sozial-ökologische Auflagen für Corona-Hilfen

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Die NaturFreunde Rheinland-Pfalz haben zusammen mit über 40 weiteren Verbänden und Organisationen aus Rheinland-Pfalz einen Appell unterzeichnet, der die Landesregierung aufruft, Corona-Konjunkturprogramme an soziale und ökologische Kriterien zu knüpfen, um die längst überfällige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft voran zu bringen.

Dies ist der "Mainzer Appell zur Krisenbewältigung" im Wortlaut:

Mainzer Appell zur Krisenbewältigung: Kein Steuergeld ohne Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit!

Verbände und Organisationen der demokratischen Zivilgesellschaft fordern das Land Rheinland-Pfalz zum Handeln auf für einen wirksamen Klimaschutz, für eine ökologische Verkehrs- und Ernährungswende und für eine zukunftssichere Arbeitswelt und Wirtschaftsweise

Mehr als 40 erstunterzeichnende Verbände und zahlreiche Einzelpersonen aus dem ökologischen, kirchlichen, Eine-Welt-, landwirtschaftlichen, sozialen und gewerkschaftlichen Bereich haben sich zu einer großen Konferenz zusammengefunden. Ihr Ziel: Schaffung von Strukturen zum Schutz unserer Lebensgrundlagen und Stärkung der Zivilgesellschaft, des Gemeinwohls und der Demokratie. Ausgehend von einem offenen Brief des BUND Rheinland-Pfalz an die Landespolitik fordern sie tiefgreifende ökosoziale Maßnahmen, insbesondere bei der Verwendung staatlicher Stützungs- und Konjunkturprogramme im Zuge der Bewältigung der Belastungen aus der Coronakrise.

Im Bewusstsein, dass unsere Erde begrenzt und verletzlich ist, müssen wir unsere Wirtschaftsweise grundlegend überdenken. Der Wandel muss die biologische Vielfalt schützen und damit die Lebensgrundlagen des Menschen. Gleichzeitig muss er auch gerecht und solidarisch gestaltet werden. Nur auf einem gesunden Planeten wird es dauerhaft gute Arbeit geben. Auch die Covid-19-Pandemie ist Folge schädlicher ökonomischer Strukturen. Globalisierte Lieferketten müssen darum zum Teil regionalisiert und insgesamt transparent und fair werden - auch zur Bewahrung von Frieden, Menschenrechten und Demokratie.

Der Staat hat die Aufgabe, für die soziale Sicherheit aller Menschen und die gerechte Verteilung des Wohlstandes zu sorgen. Neue Konjunkturprogramme müssen der ökologischen und sozialen Zukunftssicherung höchste Priorität beimessen. Dazu müssen staatliche Maßnahmen und Finanzhilfen so ausgestaltet werden, dass Investitionen in ökologisch verträgliche Maßnahmen und in die soziale Infrastruktur und Bildung Vorrang haben. Diese sollen insbesondere auch die Daseinsvorsorge unserer Gesellschaft sichern.

Auf keinen Fall dürfen die Finanzhilfen und gesetzlichen Erleichterungen - wie nach der Finanzkrise 2008/09 - die ungerechten und umweltschädlichen Wachstums- und Profitinteressen bedienen, die die globalen Krisen bei Verteilung, Klima und Biodiversität verursacht und die Menschen zunehmend in unsichere und ungerechte Verhältnisse gebracht haben. Gerade angesichts einbrechender Einnahmen bei den öffentlichen Haushalten gilt: Starke Schultern brauchen knappe Steuermittel nicht. Nicht nachhaltige Subventionen müssen abgebaut werden. Ein reines Weiter-so führt nur zu Mitnahmeeffekten und direkt in die nächsten Krisen.

Im Einzelnen fordern die Verbände:

  • Die Klimaziele des Paris-Abkommens, insbesondere die 1,5-Grad-Begrenzung, müssen die Grundlage aller Entscheidungen sein. Durch eine konsequente Dekarbonisierung, Energieeinsparung, Gebäudesanierung, den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien als „Bürgerenergiewende“ und ein Innovationsprogramm bei industriellen Produktionsverfahren werden der CO2-Ausstoß minimiert und zukunftsfähige Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen. Im Sinne der Klimagerechtigkeit und wie völkerrechtlich verbindlich beschlossen, sind auch die Länder des Südens in ihren Klimaschutz- und Anpassungsanstrengungen zu unterstützen und ihre soziale Entwicklung zu stärken. Die Gründe für Klimaflucht werden so minimiert.
  • Ohne die Verzahnung von Energie- und Mobilitätswende kann Klimaschutz nicht erfolgreich sein. Auch angesichts von Verstädterung, demografischem Wandel und Ressourcenknappheit ist eine sozial-ökologische Mobilitätspolitik notwendig. Zum Beispiel Straßengroßprojekte und eine Steigerung des motorisierten Individualverkehrs führen wieder in die alten Sackgassen. Zukunftsfähig und förderwürdig ist primär der Umweltverbund Schiene-Bus-Rad-Füße. Fördermittel gehören darum in die Entschleunigung des Stadtverkehrs, in sozialverträgliche Tarife und in natur- und menschengerechte Freiraumgestaltung sowie in eine gute ÖPNV-Anbindung der ländlichen Räume. Gerade hier sind integrierte Verkehrskonzepte notwendig. Eine schrittweise Abkehr von der Verbrennung fossiler Antriebsenergie ist ebenso unumgänglich wie ein Innovationsprogramm für den Schienenverkehr, den ÖPNV und die E-Ladeinfrastruktur bzw. andere alternative Antriebe.
  • Gesundheit, Arten- und Klimaschutz erfordern auch eine Ernährungswende und eine grundlegende Umgestaltung der Agrar-Förderung. Die Stärkung und Existenzsicherung der bäuerlichen Landwirtschaft und des Ökolandbaus mit ihrer zukunftsorientierten Wirtschaftsweise im Einklang mit der Umwelt müssen an die Stelle der vorrangig agrarindustriellen Förderung über die Fläche treten. Die Praxis der Werkverträge muss beendigt werden und faire Wohn- und Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende und Saisonarbeiter*innen, insbesondere aus Osteuropa, in Landwirtschaft und der nachgelagerten Industrie müssen geschaffen werden. Die Verbraucher*innen erwarten Lebensmittel, die schadstofffrei sind und unter guten Arbeitsbedingungen produziert werden.
  •  Alle Produkte müssen umwelt- und sozialverträglich hergestellt werden und langlebig und recycelbar sein. Dies erfordert faire Preise und Löhne und eine Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft mit besonderer Förderung der regionalen Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Tarifbindung, Arbeitsplatzsicherheit, Mitbestimmung und ein existenzsicherndes Einkommen müssen an die Stelle von prekären Arbeitsverhältnissen treten. Modelle der Gemeinwohlwirtschaft und eine Stärkung der Care-Arbeit müssen die rein quantitative Wachstumsökonomie ablösen, wobei qualitative, nachhaltige Verbesserungen weiter anzustreben sind.
  • Lasten aus Krisen dürfen nicht einseitig die Rechte der Verbraucher*innen beschneiden.
  • Tarifverträge sind das zentrale Instrument, um die Einkommen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Sie sichern in erheblichem Maß den sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt und ermöglichen eine gerechtere Teilhabe der Beschäftigten und ihrer Familien. Öffentliche Mittel an Unternehmen müssen an Tarifverträge bzw. existenzsichernde Mindestlöhne gebunden werden.
  • Grundlegende Sozialstandards - wie die ILO-Kernarbeitsnormen – und ökologische Kriterien sollten verbindlich bei der Beschaffung und Vergabe von Dienstleistungen und Produkten im Land und in den Kommunen gelten.
  • Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen stellen auch den Rahmen für das entwicklungspolitische Engagement des Landes. Dazu gehören die dauerhaften Förderungen der zahlreichen Eine-Welt-Initiativen, Weltläden und Partnerschafts-Projekte und ein verbindliches Lieferkettengesetz. Die Entwicklungszusammenarbeit des Landes, der Kommunen, der zivilgesellschaftlichen Träger und der Kirchen muss erweitert werden.
  • Die Coronakrise hat offengelegt, dass Gesundheit und Pflege als öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge zu gelten hat mit fairer Bezahlung der Arbeitnehmer*innen. Gerade in der Care-Arbeit besteht bei der Geschlechtergerechtigkeit ein hoher Nachholbedarf.
  • Menschen mit geringem Einkommen und sog. Randgruppen sind von Krisen besonders hart getroffen. Konjunkturprogramme müssen solidarisch sein, also auch genutzt werden, um gesellschaftliche Teilhabe benachteiligter Menschen zu ermöglichen und die Armut bestimmter Bevölkerungsgruppen abzubauen.

Mit diesen Kernforderungen und der Gewissheit, dass viele Menschen jetzt ein deutliches Umsteuern erwarten, rufen wir die politisch Verantwortlichen auf: Nehmen Sie die uns alle bedrohenden globalen Krisen und die ungerechten ökonomischen und sozialen Strukturen genauso ernst wie die aktuelle Pandemie und handeln Sie auch dort! Jetzt ist es höchste Zeit, die Chancen, die sich in der Krise gezeigt haben, zu nutzen und mutig umzusteuern.

Treten wir darum in einen Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Politik auf Augenhöhe ein und gestalten in einer gemeinsamen Kraftanstrengung unser Land ein Stück krisenfester, solidarischer und zukunftsfähiger! Vor den aktuellen politischen Weichenstellungen, seien es Finanzprogramme oder auch die nächsten Wahlen, werden wir Verbände die Umsetzung dieses Transformationspaketes auch mit starken öffentlichen Aktionen einfordern.