Vom Arbeiterwandern zum sozialökologischen Freizeitverband

Sport, Erholung, Umweltschutz und sozialer Fortschritt werden eins

© 

Als sich die NaturFreunde 1895 als „touristische Gruppe“ gründeten, wollten sie Arbeiter*innen Erholung in der freien Natur ermöglichen – in erster Linie wandernd. Diese Idee fand großen Zuspruch und verbreitet sich auch auf der Walz. Neben dem Wandern und Bergwandern bilde-ten sich schnell kulturelle Vereinssparten, vor allem in den Bereichen der natur- und sozialwissenschaftlichen Bildung sowie der Fotografie. Ab 1907 baute man mit den Naturfreundehäusern eigene Wanderstützpunkte, schon 1910 wurde der Naturschutz in die Satzungen aufgenommen. Auch wenn es zwischen Naturschützern und -nutzern immer wieder Redebedarf gab, wurden Erholung, Natursport, der Schutz der Umwelt und sozialer Fortschritt als Einheit gedacht.

Internationale Wanderorganisation

Trotzdem prägte das Wandern in einer besonderen Weise das Verbandsbewusstsein, wie zum Beispiel die sogenannte Leipziger Entschließung von 1923 dokumentiert: „Der Touristenverein NaturFreunde ist die internationale Wanderorganisation des arbeitenden Volkes.“

Selbst als die NaturFreunde 1933 von den Nazis verboten und enteignet wurden, gelang es mancherorts noch jahrelang, heimlich gemeinsame Wanderungen weiterzuführen. Anderenorts führten mutige Mitglieder politisch Verfolgte über einsame Pfade ins Ausland oder schmuggelten in ihren Wan-derrucksäcken verbotene Schriften nach Nazideutschland.

naturfreundin_2-21-titel_klein.jpgDie Juniausgabe 2021 des NaturFreunde-Mitgliedermagazins NATURFREUNDiN hat sich in der Titelgeschichte mit dem Sozialen Wandern bei den NaturFreunden beschäftigt.

Lies auch zu diesem Thema:
Die Apostel der Arbeiterbewegung
Wie wir wandern

In den 1950er-Jahren wurden die NaturFreunde dann zu einer der wichtigsten Freizeitorganisationen in Deutschland, weil sie ein umfassendes Angebot von Natursport über Kultur bis zu politischer Mitgestaltung hatten. Gleichzeitig verstand man sich als „ökologisches Frühwarnsystem der Arbeiterbewegung“. Dass sich das Wandern in so mancher Protestform hervorragend mit Politik und Kultur kombinieren ließ, bewiesen schließlich die Ostermärsche, bei denen die Naturfreundejugend eine zentrale Rolle spielte. Politik wurde jetzt zu Fuß gemacht, organisiert von einem friedenspolitisch motivierten Jugendsekretär.

Ab den 1970er-Jahren verlor das Vereinsleben dann schleichend an Attraktivität. Die NaturFreunde versuchten mit guten Konzepten, die soziale Frage und die neuen Umweltbewegungen zu verbinden, doch der nun weitgehend kommerzialisierte Freizeitmarkt entfaltete seine Sogkraft. Zudem wirkten andere Umwelt- und Sportverbände plötzlich moderner. Auch das Wandern selbst hatte an Attraktivität verloren. Letzteres änderte sich zum Jahrtausendwechsel: Der „neue Wanderer“ war plötzlich in aller Munde. Die NaturFreunde aktualisierten ihre Ausbildung und schulten Wanderleiter*innen nun auch in der Organisation von Erlebniswanderungen. Später wurde sogar eine an DOSB-Richtlinien angelehnte Qualifikation Trainer*in C – Wandern eingeführt. Und erste Natura Trails – NaturFreunde-Wandervorschläge durch europäische Naturschutz-gebiete – verknüpften Tourismus und Umweltschutz.

Soziale Wanderungen für junge Menschen

Zuletzt brachte die Naturfreundejugend das Soziale Wandern wieder jungen Menschen nahe. Im Verband wurden Kinderwagenwanderungen angeboten sowie Wanderungen mit Politiker*innen, Motto: Politik im Grünen. Und die NaturFreunde organisierten auch wieder große Demonstrationsmärsche, etwa für den Atomausstieg, gegen die Freihandelsabkommen oder für den Frieden.

Eine programmatische Klammer für all diese Aktivitäten ist die Verbindung von Bewegung in der Freizeit mit den Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des ökologischen Fortschritts. Diese Verbindung zeichnet den sozialökologischem Freizeitverband NaturFreunde seit nun schon über 125 Jahren aus.

Dieter Groß