Was macht ein Bauer ohne Land?

Immer mehr Landwirte sind von Land Grabbing betroffen

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Weltweit verlieren immer mehr Landwirte durch Land Grabbing ihre Lebensgrundlage. Nicht nur in Afrika, Asien und Lateinamerika kaufen Investoren große landwirtschaftlich nutzbare Flächen und entziehen der dort lebenden Bevölkerung den Boden unter ihren Füßen – auch in Europa hat der Wettlauf der Investoren um Ackerland längst begonnen.


Was ist Landraub?
Mit dem Begriff „Land Grabbing“ (zu deutsch: Landraub) sind großflächige Aneignungen von Land gemeint. Private und staatliche Investoren kaufen oder pachten langfristig Agrarflächen, um Agrarrohstoffe für den Export herzustellen oder durch den An- und Verkauf von Flächen ihren Gewinn zu maximieren. Für den Profit nehmen sie einiges in Kauf: Ihre Aktivitäten bewegen sich oft in Grauzonen des Rechts und haben gravierende Auswirkungen auf die Bevölkerung des jeweiligen Landes.

Immer mehr Menschen wollen ernährt werden, aber guter Boden ist begrenzt. Wer jetzt Ackerland erwirbt, dem scheinen satte Renditen garantiert.

Land Grabbing ist kein neues Phänomen, seit einigen Jahren hat der „Run aufs Land“ jedoch eine besondere Dynamik entwickelt. Als nach 2008 Teile des Finanzsektors zusammenbrachen, mussten Investoren sich nach neuen Geldquellen umschauen. Neben Agrarkonzernen entdecken nun auch Banken, Investmentfonds und andere finanzstarke Investoren Ackerland als vielversprechende Geldanlage (Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des EU Parlaments). Denn angesichts der weltweit wachsenden Bevölkerung ist abzusehen, dass die Preise für Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe steigen werden: Immer mehr Menschen wollen ernährt werden, aber guter Boden ist begrenzt. Wer jetzt Ackerland erwirbt, dem scheinen satte Renditen garantiert.

Eine neue Form des Kolonialismus
In den Ländern des globalen Südens stillen neben Konzernen aus Europa und aller Welt auch private Personen und staatliche Akteure ihre „Landlust“. Staaten wie China, Saudi-Arabien, die Arabischen Emirate, Indien und Südkorea sichern sich großflächig Agrarland um ihre Bevölkerung zu ernähren und der mit dem Wohlstand steigenden Nachfrage zu begegnen.

Land Grabbing ist keineswegs eine Nischenerscheinung: 10 bis 30 Prozent des verfügbaren Ackerlandes könnten aktuell in Verhandlung sein, schätzt Klaus Deininger, Ökonom für Landpolitik bei der Weltbank (Heinrich Böll Stiftung). Das veräußerte Land ist tausende, teilweise sogar über eine Million Hektar groß (FIAN Deutschland).

Ähnlich gewaltig wie die Flächen, die veräußert werden, sind die damit verbundenen Probleme: Die Investoren handeln ihre Käufe meist direkt mit der Regierung des jeweiligen Landes aus, über die Köpfe der dort lebenden Menschen hinweg.  Diese werden entweder vertrieben oder müssen sich mit einer minimalen Entschädigung abfinden.

Oft wird die Bevölkerung mit falschen Versprechungen beschwichtigt: bessere Infrastruktur, mehr Arbeitsplätze, sichere Ernährung. Der Verkauf des Landes wird teilweise als Beitrag zur Armutsbekämpfung oder „Entwicklung“ des Landes verkauft – nicht selten erhalten Unternehmen sogar Unterstützung von öffentlichen Entwicklungseinrichtungen (FIAN Deutschland).

Die durch das Land Grabbing stattfindende Ausbeutung von Mensch und Natur, die Entrechtung der Bevölkerung und die bewusst geschaffenen Abhängigkeiten von großen Konzernen kommen an immer mehr Orten einer neuen Form von Kolonialismus gleich.

Fakt ist jedoch, dass durch den Verkauf von großen Agrarflächen immer mehr Menschen in die Armut getrieben werden. Sie verlieren die Möglichkeit, Nahrung für sich selbst und den Verkauf anzubauen. Oft bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten: zu fliehen oder unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den neuen Megaplantagen zu arbeiten – die ganz auf Monokulturen und Agrochemie setzen und damit Umwelt und Gesundheit schädigen.

In vielen Fällen leben und wirtschaften die Familien seit Generationen auf dem veräußerten Land – aber nie hat es jemand ihnen auf Papier bescheinigt, weshalb sie vor Gericht keine Eigentumsrechte vorweisen können. Investoren suchen sich solche Orte bewusst: Sie investieren mit Vorliebe in Staaten mit schwacher Regierungsführung, in denen Menschen nicht die Möglichkeit haben, ihre Rechte einzufordern und in denen Korruption an der Tagesordnung ist (Oxfam Deutschland).

Die durch das Land Grabbing stattfindende Ausbeutung von Mensch und Natur, die Entrechtung der Bevölkerung und die bewusst geschaffenen Abhängigkeiten von großen Konzernen kommen an immer mehr Orten einer neuen Form von Kolonialismus gleich.

Filmtipp

Landraub (DVD)
von Kurt Langbein
EAN 9783854399551
Länge: 61 min, frei ab 6 Jahren

Der Film "Landraub" dokumentiert eindrucksvoll und aufwühlend den weltweiten Kampf ums Ackerland. Im Handel erhältlich.

Warum wir vom Land Grabbing profitieren
Manch einer mag es nicht hören wollen, aber als EU-Bürger profitieren wir von dieser Situation. Denn für unseren Lebensstil brauchen wir mehr Land, als wir besitzen: Alle EU-Einwohner zusammen benötigen für den Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln schätzungsweise 640 Millionen Hektar Agrarfläche pro Jahr, das ist eineinhalb Mal so viel wie die Gesamtfläche aller 28 EU-Mitgliedstaaten zusammen (Heinrich Böll Stiftung).

Neben dem Anbau von Energiepflanzen für Agrosprit ist vor allem unser hoher Fleischkonsum ein Problem. Denn ohne aus Ländern wie Brasilien, Argentinien oder den USA importiertes Soja als billiges Eiweißfutter würde die industrialisierte Fleischproduktion in den Tierfabriken der EU nicht funktionieren. Als wäre das nicht absurd genug: Ein Teil des hier produzierten Fleisches landet gar nicht auf unseren Tellern, sondern wird exportiert – in afrikanische und asiatische Länder, wo es mit Dumpingpreisen einheimische Produkte verdrängt.

Die stetigen Produktionssteigerungen von Exportwaren sind zum einen die Folge des Wachstumszwangs, den Unternehmen in unserem Wirtschaftssystem auf den freien Märkten erfahren, zum anderen die Konsequenz der exportorientierten Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung und der EU.

Auch in Europa schreiten Land Grabbing und Landkonzentration voran
Aber nicht nur in den Ländern des globalen Südens, auch in Europa bringen sich Investoren in Stellung. Insbesondere in Rumänien, Bulgarien, Polen, Ungarn aber auch in Ostdeutschland kontrollieren Agrarkonzerne immer größere Flächen. Die Investoren kommen zum Teil selbst aus Europa: In Polen kaufen vor allem Deutsche, Dänen, Briten und Niederländer großflächig Agrarland (Transnational Institute).

Zwischen 2003 und 2013 hat die EU ein Drittel aller kleinbäuerlichen Betriebe verloren.
Transnational Institute

Zwar ist das Ausmaß von Land Grabbing in Europa insgesamt geringer als in Afrika, Lateinamerika oder Asien, die Folgen des großen „Run aufs Land“ sind aber ähnlich wie dort: Auf den Riesenflächen zerstören Monokulturen die Biodiversität, Beschäftigung und Wohlstand sinken, lange Handelsketten schädigen Umwelt und Klima, die Ernährungssicherheit sinkt und das Land konzentriert sich immer mehr in den Händen weniger (Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des EU Parlaments).

Mittlerweile ist Land in der EU noch ungleicher verteilt als Vermögen, wie eine neue Studie zeigt, die das niederländische Transnational Institute (TNI) Anfang Dezember 2016 veröffentlichte. Demnach kontrollieren die größten 3,1 Prozent der Höfe etwa die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche in der EU. Zwischen 2003 und 2013 hat die EU ein Drittel aller kleinbäuerlichen Betriebe verloren: Von ursprünglich etwa 12 Millionen Betrieben existieren nur noch etwa 8 Millionen (Transnational Institute).

Auch in Deutschland nimmt die Landkonzentration immer mehr zu. Hier gehören 57 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen den größten 12,3 Prozent der Betriebe. Und zwischen 1990 und 2013 sank die Zahl kleiner Betriebe in Deutschland um 79 Prozent (Transnational Institute).

Die Politik der EU und der Bundesregierung treibt die Landkonzentration weiter voran: durch systematische Privilegierung von Großbetrieben bei Verpachtung und Verkauf ehemaliger staatlicher Flächen und durch deren massive Subventionierung über flächengebundene Fördergelder. Der Aufbau einer bäuerlichen Landwirtschaft wird so systematisch verhindert.

Ein politischer Wandel ist dringend notwendig
Wenn nicht auf EU- und Bundesebene ein politischer Wandel eingeleitet wird, besteht die Gefahr, dass durch Landraub und -konzentration der Zugang zu Land in Europa für junge, ökologische und mit wenig Kapital ausgestattete Landwirte noch schwieriger wird und immer mehr kleinbäuerliche Betriebe in Europa aufgeben müssen.

In den Ländern des globalen Südens könnten koloniale Verhältnisse zwischen Investoren und der einheimischen Bevölkerung zur Norm werden und weitere Menschen in die Flucht und Verarmung treiben.

Für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung muss die hochgradig ungerechte und umweltzerstörerische Agrarindustrie in den Staaten des globalen Nordens beendet werden. Es ist die Aufgabe der Politik, einen Wandel herbeizuführen zu einer Agrar- und Ernährungspolitik, die das Wohl von Mensch und Umwelt ins Zentrum stellt und nicht die Interessen von Konzernen. Kleinbäuerliche Betriebe in Europa und den Ländern des globalen Südens müssen erhalten und gefördert werden, denn sie bilden das Rückgrat der Welternährung.

Die NaturFreunde Deutschlands setzen sich für eine ökologische und soziale Landwirtschaft ein und sind auch dieses Jahr wieder im Trägerkreis der „Wir haben es satt!“-Demonstration am 21. Januar 2017 in Berlin.