Wie frühere Naturfreundehäuser in Böhmen, Mähren und der Slowakei in Vergessenheit geraten

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Bevor 1905 in München die erste deutsche NaturFreunde-Ortsgruppe entstand, gab es bereits mehr als 40 Ortsgruppen auf dem Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Als sich 1909 in Dresden die erste sächsische Ortsgruppe gründete, waren in Nordböhmen bereits NaturFreunde aktiv, zum Beispiel im damaligen Turn-Teplitz (Teplice), Reichenberg (Liberec) und Aussig (Ústí).

Austausch über die Grenze
Zwischen den Ortsgruppen beiderseits der Grenze gab es schnell nützliche Kontakte. Auch die ersten beiden Dresdner NaturFreunde-Sonderzüge führten in den Jahren 1912 und 1913 ins Böhmische Mittelgebirge. Jeweils mehr als 500 Mitglieder suchten damals den grenzüberschreitenden Austausch.

Beiderseits der sächsisch-schlesisch-böhmischen Grenze entstand in den Zwanziger Jahren ein Netz von Naturfreundehäusern – fast wie auf einer Perlenschnur aufgereiht. Das war sicherlich gebirgsbedingt. Zudem gab es seit dem Aufkommen der Gebirgsvereine im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts aktive grenzüberschreitende touristische Arbeit in dieser Grenzregion. So wurden Kamm- und Weitwanderwege markiert, auch immer mehr Wanderführer warben für diese Gebirge, etwa im Jahr 1914 mit dem geografisch einwandfreien Titel "Fichtel- u. Erzgebirge, Sächsisch-Böhm. Schweiz, Jeschken-, Iseru. Riesengebirge, Waldenburger u. Eulengebirge, Glatzer Gebirge u. Heuscheuer", erschienen in der Reihe Richters Wanderbücher.

Ende der Zwanziger Jahre lassen sich für diese etwa 500 Kilometer langen Gebirgsketten beiderseits der Grenze annähernd 20 Naturfreundehäuser lokalisieren – und damit geradezu eine Bastion an Stützpunkten, die zu unzähligen NaturFreunde-Wandervorschlägen „von Naturfreundehaus zu Naturfreundehaus“ führten. Mehrfach berichteten damals Mitglieder in NaturFreunde-Zeitschriften über Kammwanderungen vom Elbsandsteingebirge zum Zittauer Gebirge, beziehungsweise bis ins Riesengebirge oder durch das Erzgebirge.

Stützpunkte der illegalen Grenzarbeit
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung stieg die Bedeutung der böhmischen Naturfreundehäuser aus ganz anderen Gründen. Sie wurden Stützpunkte der illegalen Grenzarbeit und erste Zufluchtsorte für von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen. So fanden in nordböhmischen Naturfreundehäusern nachweislich mehrere Hundert deutsche NaturFreunde Asyl.

Mit der Besetzung des „Sudetengebietes“ im Herbst 1938 und dem umgehenden Verbot der NaturFreunde in den besetzten Gebieten wurden allerdings auch diese Naturfreundehäuser von den Nazis enteignet und anderweitig genutzt. Somit gehörten nach 1945 die ehemaligen böhmischen, schlesischen und slowakischen Naturfreundehäuser zur „Konkursmasse“ der vertriebenen oder ausgesiedelten Deutschen. Einige Häuser waren im Krieg zerstört worden, andere wurden – da im Grenzgebiet liegend – dem Erdboden gleichgemacht.

Nur ganz wenige der neuen Besitzer sahen Grund oder Anlass, auf die ehemalige NaturFreunde-Geschichte hinzuweisen. Auch in der Geschichtsschreibung der Natur- Freunde Internationale (NFI) scheinen diese ehemaligen Naturfreundehäuser kaum eine Rolle zu spielen. Zur Landschaft des Jahres 2010/11: Slowakischer Karst zum Beispiel wurde der früheren Ortsgruppen und Naturfreundehäuser nicht erinnert. Dabei sollte die Geschichte jedes einzelnen ehemaligen sächsischen, schlesischen, böhmischen, mährischen oder slowakischen Naturfreundehauses geschrieben werden. Doch wer kennt noch deren Erbauer?

Joachim Schindler