„Wir brauchen einen langen Atem“

Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz über die Lage der Natur in Deutschland

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NATURFREUNDiN Frau Jessel, Sie haben Ende März zusammen mit der Bundesumweltministerin den Bericht an die EU zur Lage der Natur in Deutschland veröffentlicht. Wie geht es denn der Natur in Deutschland?

Prof. Dr. Beate Jessel Durchwachsen! Verbessert haben sich seit dem letzten Bericht zum Beispiel die Lage der Wildkatze, des Seeadlers und der Sand-Silberscharte, auch Sand-Bisamdistel genannt. Diese Arten haben von aktiven Naturschutzmaßnahmen wie Biotopverbünden oder der Renaturierung von Lebensräumen profitiert.

NFiN Was läuft nicht so gut?

BJ Sorgen bereiten uns vor allem die Arten und Lebensräume der Agrarlandschaft. Für die artenreichen mageren Mähwiesen zum Beispiel musste die Naturschutzampel von „gelb“ auf „rot“ umgeschaltet werden: Kein einziger genutzter Grünlandtyp befindet sich im grünen Bereich. Die intensive Landwirtschaft macht zahlreichen Arten wie der Feldlerche oder dem Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling arg zu schaffen. Das liegt am hohen Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, am Grünlandumbruch, und nach wie vor nimmt der Maisanbau zu.

NFiN Wie steht es um die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie aus dem Jahr 2007?

Zur Person
Prof. Dr. Beate Jessel ist seit 2007 Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz und mag Wildnis ebenso wie vielfältige Kulturlandschaften. Sie studierte Landschaftspflege an der TU München.

BJ Einige Ziele der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt sind bereits erreicht worden, andere liegen im Zeitplan. Bei manchen Zielen wird es aber sehr schwierig, sie fristgemäß zu verwirklichen. Besonders bedenklich ist der zentrale Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“: Der hat aktuell einen negativen Trend und braucht deshalb künftig unsere besondere Aufmerksamkeit.

Grundsätzlich muss man aber wissen, dass sich Biotope und Bestände von Tier- und Pflanzenarten meist über lange Zeiträume regenerieren. Auch wenn viele in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt formulierte Maßnahmen bereits in Angriff genommen wurden, lassen die daraus resultierenden positiven Wirkungen aber häufig noch auf sich warten. Die Natur braucht Zeit, um sich zu erholen.

NFiN Welche Maßnahmen müssten schneller angepackt werden?

BJ Da sprechen wir insbesondere über den Wald: Bis zum Jahr 2020 sollen fünf Prozent der Waldfläche einer natürlichen Waldentwicklung folgen, momentan liegen wir bei 1,9 Prozent.

NFiN Gibt es eine Rangfolge der Bundesländer bei der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie?

BJ Nein. Der aktuelle Bericht über die Lage der Flora-Fauna-Habitate (FFH) zum Beispiel bewertet sogenannte „biogeografische Regionen“ und unterscheidet dementsprechend zwischen kontinentalen, atlantischen und alpinen Regionen.

Die Erhaltungszustände nach Bundesländern lassen sich daraus nicht ableiten, weil die Anzahl der Stichprobenflächen im bundesweiten Monitoring nicht ausreichend ist. Trotzdem ist gerade der Aufbau dieses Monitoringprogramms einer der großen Fortschritte der letzten Berichtsperiode.

Besonders wichtig für einen erfolgreichen Schutz der Lebensräume und Arten sind auch die Managementpläne, in denen unter Beteiligung von Landnutzern, Verbänden und Fachleuten die notwendigen Naturschutzmaßnahmen vor Ort festgelegt werden. Diese Pläne existieren bisher für etwa 20 Prozent der FFH-Gebiete, wobei hier Sachsen, Bremen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen am weitesten vorne liegen.

NFiN Sie haben Maisäcker für Biogasanlagen als „ökologische Wüste“ bezeichnet. Wie kann das notwendige Umsteuern auf Rest- und Abfallstoffe im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gelingen?

BJ Im aktuellen EEG-Entwurf wurden die Vergütungen für Biogasstrom schon stark reduziert. Daher ist nicht mit einer deutlichen Ausweitung des Biogasmaisanbaus zu rechnen. Das ist speziell im Nordwesten Deutschlands, wo der Mais zum Teil mehr als 70 Prozent der Ackerfläche einnimmt, sehr zu begrüßen. Andererseits fehlen noch Anreize für einen naturverträglicheren Substratmix, sowohl für bestehende als auch für neue Anlagen. Sinnvoll gewesen wäre zum Beispiel eine bessere Vergütung für Landschaftspflegematerial oder bei der Anbaubiomasse eine Besserstellung mehrjähriger Kulturen.

NFiN Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern bei der Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie?

BJ Das lässt sich nicht wirklich vergleichen, da die Nationalen Strategien in der EU unterschiedliche Ansätze verfolgen. Gut ist, dass sich unsere nationale Strategie mit der EU-Strategie ergänzt und die EU-Strategie darüber hinaus auch noch Visionen für 2050 enthält. Wir brauchen im Naturschutz Visionen und einen langen Atem.

Das Interview mit Prof. Dr. Beate Jessel führte Eckart Kuhlwein.
Es erschien zuerst in der NATURFREUNDiN 2-2014.