"Wir müssen die Vernichtung von Lebensräumen stoppen"

Zum Tag des Artenschutzes am 3. März fordert Anton Hofreiter mehr Totalreservate

Moorbesichtigung mit Anton Hofreiter während der Bundeswandertage 2015.
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Der Verlust der Artenvielfalt ist neben der Klimakrise die größte ökologische Gefahr für die Menschheit. Wissenschaftler*innen rechnen mit bis zu 58.000 Arten, die Jahr für Jahr aussterben. Und die meisten davon wurden bislang noch nicht mal entdeckt. Eine Million Arten – vor allem Insekten – sind bedroht. Die Menschheit steht vor der sechsten Aussterbekatastrophe. Diesmal wären nicht Vulkane oder Meteoriten schuld, wie etwa beim Aussterben der  Dinosaurier, sondern der Mensch.

Man kann sich die biologische Vielfalt gut als Netz vorstellen, das das Leben trägt. Es ist ein engmaschiges Netz mit vielen Knoten – in diesem Bild entspricht jeder Knoten einer Art. Doch der Mensch löst einen Knoten nach dem anderen und das Netz wird immer grobmaschiger. Durch den Artenschwund werden auch die natürlichen Systeme instabiler, sie verlieren ihre Tragfähigkeit. Damit riskiert die Menschheit ihre eigenen Lebensgrundlagen.

World Wildlife Day
Als am 3. März 1973 das Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES unterzeichnet wurde, um den Handel mit geschützten Arten einzuschränken, war der Welttag des Artenschutzes (World Wildlife Day) noch nicht mitgedacht. Erst im Dezember 2013 beschloss die UN-Generalversammlung, künftig an jedem 3. März auf die Bedeutung der wild-lebenden Tier- und Pflanzenarten für den Menschen aufmerksam zu machen. Das diesjährige Motto lautet „Recovering key species for ecosystem restoration“. Die dabei angesprochenen Schlüsselarten haben einen großen Einfluss auf die Artenvielfalt einer Lebensgemeinschaft. Verschwinden sie, kann keine andere Art ihre ökologische Nische besetzen und das Ökosystem verändert sich radikal. Bienen sind zum Beispiel solche „key species“, auch Waldameisen, Otter oder Haie.
Samuel Lehmberg

Das Artensterben gibt es auch in Deutschland: 35 Prozent aller Tierarten und 26 Prozent aller Pflanzenarten sind bestandsgefährdet. Das Vogelgezwitscher im Frühling wird leiser, Insektenschwärme seltener, Froschquaken spärlicher. Was läuft falsch? Die Landwirtschaft vergiftet die Lebensräume, der Verkehr zerschneidet sie, der Städtebau betoniert sie. Ein entscheidender Hebel ist daher ein wirksamer Flächenschutz.

Wir brauchen in Deutschland mehr Totalreservate und höhere Standards für unsere Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete. Auch international benötigen wir mehr Schutzgebiete – und nicht nur auf dem Papier.

Das Ziel der Weltnaturschutzkonferenz

Deshalb hat sich die Weltgemeinschaft letzten Oktober in Kunming (China) während des ersten Teils der 15. Weltnaturschutzkonferenz das richtige Thema vorgeknöpft. Die Delegationen verständigten sich darauf, 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen. Das ist ein ambitioniertes Ziel, welches von Fachleuten schon lange eingefordert wurde. Auf dem zweiten Teil der Konferenz in diesem Jahr muss das 30-Prozent-Ziel verbindlich verabschiedet werden – auch mit Qualitätskriterien. Denn die Ausweisung eines Schutzgebietes reicht nicht. Der dortige Naturhaushalt kann nur intakt bleiben, wenn er bestmöglich verschont von negativen Einflüssen bleibt. Es kommt also auf die richtigen Schutzgebietsbestimmungen und die „Förderlandschaft“ an.

Für Deutschland heißt das konkret: Der Einsatz von Acker- und Waldgiften insbesondere in Schutzgebieten darf nicht länger geduldet werden; wir müssen umweltschädliche Subventionen, insbesondere für die Agroindustrie, stoppen; Schutzgebiete brauchen Verknüpfungen, um den Austausch zu ermöglichen; mindestens fünf Prozent der Wälder sollten gänzlich aus der Nutzung genommen werden; die Vielfalt der Landschaft braucht mehr Gehölze, Ackerrandstreifen, Gewässer; der Flächenverbrauch durch Häuser, Parkplätze und Straßen muss endlich minimiert werden. Vielmehr muss die Natur die Möglichkeit erhalten, sich ihre Räume zurückzuerobern.

An konsequenten Schritten zum Artenschutz kommen wir nicht vorbei, wenn wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen retten wollen. Diese Maßnahmen erfordern viel Überzeugungsarbeit. Gerade die Naturschutzverbände sehe ich dafür als Vorkämpfer. Nicht zuletzt die NaturFreunde können mit Unternehmungen in die Natur Interesse für seltene Arten und deren Schutz wecken. Oft gibt es schon in unserem unmittelbaren Umfeld die erstaunlichsten Schätze der Natur. Wir müssen nur genau hingucken. In diesem Sinn verstehe ich den NaturFreunde-Gruß „Berg frei!“ auch als „Natur frei!“

Dr. Anton Hofreiter (Grüne) ist Vorsitzender des Europaausschusses im Deutschen Bundestag und bayerischer NaturFreund.