Ein Beschluss des Bundesausschusses der NaturFreunde Deutschlands
Spätestens seit Beginn der Industrialisierung ist Wohnraum kostbar geworden. Menschen benötigen Wohnraum, möglichst in unmittelbarer Nähe ihres Arbeits- oder Studienortes. Die Anzahl der Menschen, die heute gezwungen sind, immer höhere Anteile ihres Einkommens, oft bis zu 60 Prozent, für Miete auszugeben, steigt ständig. Der Anteil der Miete am Gesamteinkommen der Haushalte ist in den letzten 20 Jahren um mehr als 25 Prozent angestiegen. Um überhaupt Miete bezahlen zu können, sparen viele an Kleidung, Essen oder an Kultur, Büchern und Freizeitmöglichkeiten. Gründe für die steigenden Mietpreise sind die Privatisierungen von Wohnungen seit den 1990er-Jahren und die systematische Zerstörung des sozialen Wohnungsbaus.
Die NaturFreunde streiten dafür, dass Wohnen als Menschenrecht und damit als unveräußerliche Leistung der Daseinsvorsorge anerkannt wird. International ist das Recht auf Wohnen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in dem von Deutschland ratifizierten UN-Sozialpakt von 1966 (seit 1976 in Kraft) festgeschrieben. Das Menschenrecht auf Wohnen darf nicht den Gesetzen des Marktes unterworfen werden, der Wohnungsmarkt soll vielmehr durch öffentliche Unternehmen sozial gestaltet werden. Die NaturFreunde unterstützen Initiativen zur Einführung eines Mietendeckels sowie zur Rekommunalisierung der Wohnungsbaubestände.
Die Verfasser*innen des Grundgesetzes haben ein mögliches Konfliktpotential erkannt und in Artikel 13, Artikel 14 Absatz 3 und Artikel 15 Grundgesetz (GG) die Wohnung besonders geschützt, Eigentum einer Sozialpflicht unterworfen und eine Vergesellschaftung von Eigentum ermöglicht.
Mit den bestehenden Vorschriften wird überwiegend nicht der Mensch, sondern die Wohnung als Kapitalanlage und damit die Eigentümer*innen geschützt. Mieter*innen werden zum Spielball des Gewinnstrebens. Artikel 14 Absatz 3 und Artikel 15 GG werden aus Angst vor Verfassungsklagen nicht oder fast nicht angewendet. Gesetzliche Regelungen wie Wohngeld oder Regelungen im Sozialgesetzbuch (SGB) II lindern meist nur die allerschlimmsten Auswüchse des bestehenden Gewinnstrebens.
Gerade Menschen mit geringen Einkommen werden aus innerstädtischen Wohngegenden, die nah am Arbeits-, Studien- oder Ausbildungsort liegen, verdrängt. Sie geraten damit in eine doppelte Armutsspirale. Preiswerter Wohnraum ist häufig nur im ländlichen Raum zu erhalten, der oft nicht oder nur unzureichend an den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angeschlossen ist. Der (staatlich geförderte) ÖPNV wird so zum Mobilitätsmittel der ohnehin besser Betuchten. Die Bevölkerung auf dem Land ist wegen fehlendem oder ungenügendem ÖPNV auf den Individualverkehr, der überwiegend auf fossilen Antriebsmitteln basiert, angewiesen. Eine sozial-ökologische Lebensweise ist ihnen so nicht möglich.
Wohnungsbestand klimagerecht sanieren
Die NaturFreunde setzen sich für die Erhöhung der Wohnqualität in den Wohnquartieren ein, indem durch eine Aufstockung und Weiterentwicklung der Städtebauförderung der Um- und Ausbau der Wohnquartiere hin zu einer sozialen und klimagerechten Stadt gefördert wird. Die Städte, Gemeinden und Regionen müssen nach ökologischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der dort Wohnenden umgebaut werden. Bestehende Gebäude müssen energetisch saniert werden, ohne dass dies zur Verdrängung oder Mieterhöhung führt.
Für den Klimaschutz ist die Nutzung der vorhandenen energetischen Einsparpotentiale im Gebäudebereich entscheidend für die Erreichung der KlimazieleAufgrund der bestehenden gesetzlichen Lage wird die energetische Gebäudesanierung dafür missbraucht, zum Teil extrem steigende Mieten durchzusetzen, die für viele Mieter*innen zu einer untragbaren Belastung führen. Deshalb lehnen die NaturFreunde alle finanziellen Anreize zur Sanierung von Gebäuden ab, die auf Kosten der Mieter* innen umgesetzt werden. Vielmehr setzen sich die NaturFreunde dafür ein, dass Vermieter*innen gesetzlich verpflichtet werden, Gebäude mit niedrigen Effizienzklassen zu sanieren. Dabei dürfen Mietsteigerungen durch die Modernisierungsumlage die Energiekosteneinsparung nicht überschreiten.
Bezahlbaren Wohnraum sicherstellen
Faire Vermieter*innen, die Wohnraum deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete anbieten, werden derzeit steuerlich bestraft. Das Finanzamt nimmt für die Besteuerung die erzielbare und nicht die tatsächlich erzielte Miete zur Grundlage. Wir NaturFreunde fordern, dass die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums nicht bestraft, sondern belohnt wird. Abgaben, Steuern und Gebühren sind deshalb an den tatsächlichen Mieteinnahmen zu berechnen und nicht auf fiktiv mögliche Mieteinnahmen auszudehnen. Wer sozialen Wohnraum schafft, dem muss die Möglichkeit der Gemeinnützigkeit eingeräumt werden.
Verstehen wir die Wohnung als sozial-ökologischen Mittelpunkt des Menschen, fällt unter diesen Begriff nicht nur die Wohnung im engeren Sinne, wie wir sie heute verstehen. Ein menschenwürdiges Leben muss auch am Lebensende gewährleistet sein. Jeder wünscht sich, im eigenen Heim im Kreis seiner Familie seinen Lebensabend zu erleben. Durch den Zwang der gesellschaftlichen Verhältnisse sieht die Wirklichkeit aber anders aus. Pflegeheime sind heute meist Abstellräume für die Gepflegten. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen in der Pflegeversicherung sind unzureichend. Bewohner*innen von Pflegeheimen sind Mieterhöhungen weitgehend schutzlos ausgeliefert, weil eine Kappungsgrenze für Mieterhöhungen fehlt. Die Gepflegten werden zum Spielball von Pflegeversicherung, Betreiber*innen und Investor*innen.
Wohnungsbestand in die öffentliche Hand überführen
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Veräußerungen von kommunalem Eigentum, wie beispielsweise Immobilien, Wasser- oder Energieversorgern, nur selten die erhofften Effekte hatten: sinkende Aufwendungen und höhere Investitionen durch die Privatwirtschaft. Stattdessen stiegen die gesellschaftlichen Kosten durch Profitmaximierung und die Kommunen verloren erheblichen Einfluss auf die Entwicklung vor Ort.
Um die Steuerungsmöglichkeiten auf dem sogenannten Wohnungsmarkt nicht weiter zu reduzieren, dürfen Veräußerungen kommunaler Wohnungsunternehmen und große Portfolioverkäufe kommunaler Bestände nicht mehr stattfinden. Gleichzeitig müssen im Sinne einer breit aufgestellten Rekommunalisierung Wohnungsbestände wieder in den Besitz der öffentlichen Hand gelangen. Das Ziel „bezahlbarer Wohnraum“ ist dabei im Zweifel wichtiger als die Unantastbarkeit der Profitmöglichkeiten aus geerbtem Vermögen oder aus Aktienvermögen. Wie das Beispiel Berlin zeigt, ist die Debatte um Vergesellschaftungen von Wohnungsunternehmen in der Breite angekommen. Diese Anstrengungen sind zu unterstützen und fortzuführen, damit langfristig eine Mehrheit der Wohnungen einer gemeinwohlorientierten Eigentümer* innenstruktur zugeführt werden.
Außerdem müssen Kommunen auch wieder selbst stärker als Bauherr*innen auftreten, um damit den Einfluss von Großinvestor*innen zurückzudrängen und jene Projekte vor Ort zu entwickeln, welche auch den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen. Dafür sind die Mittelzuweisungen von Bund und Ländern entsprechend zu erhöhen und die Kommunen wieder zu befähigen, selbstbestimmt ihre Räume zu gestalten.
Vor allem in den Ballungsräumen muss ein auf Schüler*innen, Auszubildende und Student*innen besonders zugeschnittenes Wohnungsangebot gefördert werden. Sie sind durch häufige Umzüge besonders von der steigenden finanziellen Belastung bei Neuvermietungen betroffen. Gleichzeitig beschleunigt diese Fluktuation wiederum den Anstieg der Mieten.
Doch auch auf dem Land würden junge Menschen von mehr Wohnheimplätzen profitieren. Im ländlichen Raum sind immer größere Distanzen zwischen Ausbildungsbetrieb, Berufsschule und Wohnort mit einer geringen Ausbildungsvergütung nicht zu finanzieren.
Die Ausweitung eines bedarfsgerechten Angebotes an gemeinwohlorientierten Wohnheimplätzen würde dieser Entwicklung zielsicher entgegenwirken. In den Städten würden davon nicht nur junge Menschen, sondern auch Familien sehr profitieren, da beide Gruppen um ein ähnliches Angebot konkurrieren: größere Wohnungen mit mehreren separaten Zimmern. Der ländliche Raum könnte durch die bessere Vereinbarkeit von Wohnort und Ausbildungsmöglichkeiten für junge Menschen wieder bessere Zukunftsmöglichkeiten bieten.
Des Weiteren muss die häufig im Mietvertrag zu findende Regelwohnzeit auf die individuell geltende Regelstudienzeit sowie zwei Semester als Puffer erhöht werden. Das zu geringe Angebot an Wohnheimplätzen darf keine Entschuldigung dafür sein, Studierende auf die Straße zu setzen.
Die NaturFreunde fordern deshalb die Bundesund Landesregierungen auf,
- keine weiteren Privatisierungen kommunalen und öffentlichen Wohnraums vorzunehmen,
- bestehende gesetzliche Regelungen zum Schutz von Mieter*innen konsequent anzuwenden und auszubauen,
- umgehend klare rechtliche Regelungen zum (Rück-)Erwerb von Mieteigentum zu schaffen,
- die Gemeinnützigkeit für Wohnungsunternehmen wiedereinzuführen,
- die Besteuerung auf tatsächliche Mieteinnahmen vorzunehmen,
- nicht nur die Wohnung, sondern das Wohnen als Grundrecht in das Grundgesetz aufzunehmen,
- einen flächendeckenden, regelmäßigen und bezahlbaren ÖPNV auch im ländlichen Raum bereitzustellen,
- Voraussetzungen für menschenwürdige und bezahlbare Wohn- und Pflegestätten zu schaffen,
- zum Ausbau des sozialen Wohnungsbaus die Bundesfördermittel auf mindestens sieben Milliarden Euro für die nächsten 10 Jahre aufzustocken,
- den Mieter*innenschutz deutlich auszubauen und einen verbesserten Kündigungsschutz für die Mieter*innen festzuschreiben,
- Auszubildenden- und Student*innen-Wohnheime zu unterstützen.
Verabschiedet am 30. April 2020 vom Bundesausschuss der NaturFreunde Deutschlands.