Alpenschutz-Experte Axel Doering kritisiert den „Industriekomplex Kunstschnee“
Axel Doering (68) war Förster und Gemeinderat in Garmisch-Partenkirchen und ist jetzt unter anderem Vizepräsident der Alpenschutzkommission CIPRA Deutschland. Für die BUND Naturschutz und die Gesellschaft für ökologische Forschung hat er gemeinsam mit Sylvia Hamberger die 105-seitige Kunstschnee-Studie „Der gekaufte Winter“ erarbeitet. Samuel Lehmberg aus der Redaktion der NATURFREUNDiN konnte ein Interview mit Axel Doering führen.
NATURFREUNDiN: Herr Doering, gibt es Weihnachten genug Schnee zum Skifahren?
Axel Doering: Das weiß jetzt natürlich noch niemand. Sicher ist aber: Für die Skigebiete ist Weihnachten sehr wichtig. Liegt kein Schnee, wird die Saison sehr schnell zum Verlustgeschäft.
Aber es werden doch immer mehr Schneekanonen aufgestellt.
Das stimmt. Allerdings können die auch nur Schnee produzieren, wenn es kalt ist. Und gerade im Alpenraum wird es immer wärmer. DerKlimawandel lässt hier die Temperaturen schneller steigen als im weltweiten Durchschnitt. Besonders in niedrigen Lagen war es in den letzten Jahren immer wieder zu warm für Schnee. Kleinere tiefer gelegene Wintersportorte haben deshalb große wirtschaftliche Probleme.
Viele bayerische Skigebiete liegen ja auch nicht gerade besonders hoch.
Und deshalb – oder trotzdem – haben sie in den letzten Jahren stark in Beschneiungsanlagen investiert. Beide Punkte muss man zusammen sehen. Wir haben etwa 900 Hektar beschneite Fläche in
Bayern, allein im letzten Jahr kamen 117 Hektar dazu. Dabei geht es um Investitionen in Millionenhöhe, die in tiefer gelegenen Gebieten oft als ökonomische Katastrophe enden werden. Die Investitionen sind meist höher als der Gewinn.
Warum wird dann überhaupt in neue Beschneiungsanlagen investiert?
Zum einen stagniert der Markt. Der schneegebundene Wintersport hat die Grenzen des Wachstums erreicht. Durch mehr Schneekanonen und Pistenkilometer erhoffen sich die Betreiber Wettbewerbsvorteile. Zum anderen gibt es so etwas wie einen „Industriekomplex Kunstschnee“ aus Herstellern von Beschneiungsanlagen, Planungs- und Gutachterbüros, großen Skigebietsbetreibern und Investoren sowie Bauund Stromkonzernen. Die gaukeln den Skidestinationen vor, man könne sich den Winter kaufen. Natürlich mit Beschneiungsanlagen.
Wie funktioniert das genau?
Diese Firmen leben von der Verunsicherung. Die Skigebiete erfahren ja am eigenen Leib, dass ihr Geschäftsmodell durch die Erderwärmung wackelt. Dann kommen nette Berater mit Analysen und Konzepten und haben eine scheinbare Gewissheit im Angebot: „Wenn du diese Technik lückenlos einsetzt, kannst du noch zehn, zwanzig, dreißig Jahre Geld verdienen.“ Dieser Trick funktioniert sehr gut, wird von Skigebiet zu Skigebiet weiter getragen und verschärft dabei die Konkurrenzsituation immer weiter.
Wer steht auf der Verliererseite?
Das sind die Betreiber tief gelegener Skigebiete und ganz sicher die Natur. Dazu kommen die Steuerzahler und letztlich auch die Skifahrer.
Bitte erklären Sie uns das etwas genauer.
Die Investitionen der Skigebiete steigen mit den Temperaturen und damit auch die Liftpreise. Skifahren wird immer mehr zu einem Sport für Gutverdiener. Mit der versprochenen Schneesicherheit ist es trotzdem nicht weit her. Die Betreiber – häufig sind Kommunen beteiligt – bleiben immer häufiger auf Schulden sitzen. In das niedrig gelegene Skigebiet von Garmisch zum Beispiel wurden in den letzten 15 Jahren rund 65 Millionen Euro investiert, 35 Millionen allein für die Skiweltmeisterschaft. Die hat fünf Millionen Euro Gewinn gemacht, die Gemeinde aber mehr als 200 Sozialwohnungen verkaufen müssen und sich hoch verschuldet. Die Kosten werden sozialisiert und die Gewinne privatisiert.
Warum verliert der Steuerzahler?
Zusätzlich zu den kommunalen Ausgaben werden Beschneiungsanlagen in Bayern staatlich gefördert. Das ist verrückt, denn alle Klimaprognosen sagen schon lange, dass die bayerischen Wintersportorte zu den ersten Verlierern im Wettbewerb um die Schneesicherheit in den Alpen gehören. Mit dem Geld müssten dringend nachhaltigere Winterurlaubskonzepte entwickelt werden, die ohne Kunstschnee funktionieren.
Und was ist mit den ökologischen Folgen?
Man muss das in etwa so verstehen: Für Beschneiungsanlagen werden Leitungen verlegt, große Wasserspeicherbecken gebaut und deren Aushub oft auch noch auf die Pisten verfrachtet. Der Berg wird zur Großbaustelle. Der Kunstschnee selbst ist viel dichter als echter Schnee und enthält mehr Nährstoffe. Die natürliche Vegetation in höheren Lagen wird so großflächig verdrängt, durch das Schmelzwasser auch weit abseits der Pisten. Zudem werden die Lebensräume der alpine Fauna immer stärker gestört.
Wie kann man sich den Energieverbrauch vorstellen?
Die Grundbeschneiung eines Hektars verbraucht etwa so viel Energie wie fünf Familienhaushalte in einem Jahr. Erstens wird aber häufig nachbeschneit, zweitens sprechen wir von aktuell mehr als 70.000 Hektar Beschneiungsfläche in den Alpen. Dazu kommt ein irrsinniger Wasserverbrauch: Im gesamten Alpenraum wird etwa der dreifache Jahreswasserverbrauch von München versprüht – zunehmend auch Trinkwasser.
Was empfehlen Sie der Politik?
Sie sollte auf die Menschen hören und nicht auf die Kunstschnee-Industrie: Erst im Januar dieses Jahres haben sich 61 Prozent der Bayern gegen die Erzeugung von Kunstschnee ausgesprochen. 78 Prozent der bundesweit Befragten meinten dabei auch, dass die lokale Tourismusindustrie in Skigebieten nicht Vorrang vor Interessen von Natur- und Umweltschützern haben dürfe.
Das Interview führte Samuel Lehmberg
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 4-2015.