Im Wahlkampf ging das Problem der Erderwärmung unter. Aber Physik lässt sich nicht ignorieren
Wir leben in spannenden Zeiten: Während die menschengemachte Klimastörung uns von einem Wetterextrem zum andern schubst, soll es nun eine neue Regierung richten – eine Regierung, die Deutschland als Hochtechnologie- und Exportland modernisiert und zugleich ökologisch zukunftsfest macht.
Ökologische Modernisierung wirtschaftlich notwendig
Dafür stehen die Chancen eigentlich nicht schlecht: Noch nie waren die ökonomische Absicherung und die ökologische Modernisierung des Standorts Deutschland enger miteinander verzahnt als heute. Wenn Deutschland bei der globalen Energiewende den Anschluss verpasst, werden wir auch als Exportland zurückfallen. Und wenn bei der Mobilitätswende weiter gebremst wird, werden wir in Zukunft mehr Pkw importieren als exportieren. Will Deutschland seine Stellung als erfolgreiche Wirtschaftsnation behalten, muss es nicht nur seine Industriepolitik neu erfinden, sondern gleichzeitig den Menschen auch die Zukunftsängste nehmen, die sie in die Arme von Populisten treiben.
Klimaschutzmaßnahmen unausweichlich
Noch vor ihrem Amtsantritt droht der neuen Bundesregierung ein klimapolitisches Debakel: Das Ziel, die Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist ohne ein kleines Wunder nicht mehr zu erreichen. Im Gegenteil: Im Wahljahr 2017 sind die nationalen Treibhausgasemissionen gestiegen, statt zu sinken. Die neue Bundesregierung hat das Thema also auf der Tagesordnung, ob sie will oder nicht. Extremwetterlagen töten jeden Tag Menschen, richten schwere Schäden an, legen die Infrastruktur lahm und führen zu umweltbedingter Migration weltweit.
Die NaturFreunde haben deshalb mit dem Deutschen Naturschutzring und 60 weiteren Organisationen der neuen Bundesregierung ein klimapolitisches Sofortprogramm überreicht, mit dem sich die menschengemachte Klimastörung stoppen ließe. Darin enthalten sind unter anderem diese Forderungen:
- Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und Kohleland bleiben. Das Klimaschutzziel der Bundesregierung, 40 Prozent Kohlendioxid bis zum Jahr 2020 einzusparen, ist nur durch die Stilllegung der Hälfte der Kohlekraftwerke zu erreichen.
- Der Ausbau erneuerbarer Energien muss nach Jahren des Bremsens beschleunigt werden. Für den Klimaschutz müssen wir den Zubau der Windkraft mehr als verdoppeln und den der Fotovoltaik verzehnfachen.
- Damit die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien naturverträglich, ressourcenschonend und kostengünstig gelingt, müssen wir Energie einsparen. Ein Umbau des Stromsystems kann die Kosten um mehr als 20 Milliarden Euro jährlich senken.
- Der Gütertransport und unsere Mobilitätsgewohnheiten sind seit Langem ein Kernproblem des deutschen Klimaschutzes. Klar ist: Die Mobilitätswende ist ein Generationenprojekt, für das die neue Bundesregierung umgehend die Weichen stellen muss. Der Verbrennungsmotor ist kein Modell der Zukunft.
- Ohne eine Wärmewende in Gebäuden und der Industrie sind die Klimaschutzziele nicht einzuhalten. Dazu bedarf es Effizienzverbesserungen, einen Ausbau erneuerbarer Wärme und eine Elektrifizierung mit Wärmepumpen.
- Die Landwirtschaft trägt wesentlich zu den Klimagasemissionen bei durch hohe Methanemissionen aus der Tierhaltung, Überdüngung sowie Lachgas infolge der Stickstoffdüngung. Wir müssen die Landwirtschaft neu denken.
Klimaschutz kann hochprofitabel sein
Im Wahlkampf hat der Klimawandel keine Rolle gespielt. Warum? Der Politik scheinen die Aufgaben zu groß und den Medien fehlt der Neuigkeitswert – oder sie erklären die Erderwärmung zur Glaubensfrage. Doch die Physik lässt sich nicht wegpredigen.
Lange Zeit war Klimapolitik ideologisch geprägt. Angesichts eines ununterbietbar günstigen Wind- und Sonnenstroms hat sich auch hier die Glaubensfrage erübrigt. Streichen wir noch die jährlich rund 57 Milliarden Euro umweltschädlicher Subventionen, investieren sie in die Zukunft statt in die Vergangenheit, und preisen die Schäden des Klimawandels in die Entstehung des Kohlendioxids ein, wird Klimaschutz hochprofitabel. Der Kampf gegen die Erderwärmung ist auch eine Frage der ökonomischen Vernunft.
Kai Niebert