„Der Mist muss wieder auf das Feld“

Der Agronom Hans Rudolf Herren kritisiert private Gewinne auf Kosten der Böden

Dr. Hans Rudolf Herren
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Der Agronom Dr. Hans Rudolf Herren promovierte über biologische Schädlingsbekämpfung und bekämpfte dann in Afrika einen Maniok-Schädling mit Wespen und Marienkäfern – sehr erfolgreich. Dafür erhielt der Schweizer 1995 den Welternährungspreis. Mit dem Preisgeld gründete er die Stiftung Biovision, die ökologische Anbaumethoden in Afrika verbreitet. Herren ist auch Mitautor des Weltagrarberichts. 2013 erhielten Herren und seine Stiftung den alternativen Nobelpreis.

NATURFREUNDiN: Herr Herren, Erosion und Bodendegradation haben nach Berechnung der University of Washington seit 1945 weltweit mehr als 14 Millionen Quadratkilometer Ackerland vernichtet – so viel wie die Landfläche von China und Indien zusammen. Aber erst 2015 haben die Vereinten Nationen das Internationale Jahr des Bodens ausgerufen. Wurden die Böden zu lange vernachlässigt?

Hans Rudolf Herren: Ja, das ist ein bisschen spät. Aber es ist nie zu spät, um etwas Gutes zu tun. Vor allem nach dem internationalen Jahr der Klein- und Familienbauern im vergangenen Jahr passt das ganz schön zusammen.

NFiN: Sie reden oft mit Experten und Entscheidungsträgern. Was kann das Internationale Jahr des Bodens überhaupt für den Bodenschutz leisten?

HRH: Es ist immer wichtig, die Leute zusammenzubringen. Wir wissen, wie Bodenschutz aussehen sollte. Wir kennen die Probleme und auch die Lösungen. Doch wir müssen uns fragen, was der Umsetzung im Wege steht. Beim Bodenschutz sind das vor allem die Privatinteressen und die Konsumenten, die nicht bereit sind, einen angemessenen Preis zu zahlen.

NFiN: Was ist das Problem mit dem Privatsektor?

HRH: Die Privatinteressen gehen nicht in dieselbe Richtung wie die gesellschaftlichen Interessen. Bei den Böden geht es darum, immer mehr auf immer weniger Böden zu produzieren. Das heißt, man muss mehr Düngemittel und Chemie einsetzen und man braucht auch mehr Wasser. Und das geht alles in die falsche Richtung. Einerseits soll immer billiger produziert werden, weil die Konsumenten billige Nahrung nachfragen und wenig bezahlen wollen. Auf der anderen Seite stehen die externen Kosten, die dann auf die Gesellschaft verteilt werden müssen. Aber die Industrie wird größer und größer und streicht immer höhere Profite ein. Der „Elefant im Zimmer“ ist immer der Privatsektor, der so viel Gewinn wie möglich herausholen will.

NFiN: Dann muss die Politik die Gewinne auf Kosten der Böden stärker begrenzen?

HRH: Wir müssen einen ganzheitlichen Ansatz für den Boden finden, weil so vieles mit dem Boden zusammenhängt. Aber die Politik ist zu sehr vom Privatsektor beeinflusst, da muss man eine Entkopplung vornehmen. Das ist unbedingt notwendig. Wir brauchen Leute, die nicht nur bis zur nächsten Wahl sehen.

NFiN: Sie vertrauen auf die Macht der Konsumenten, die sich im Supermarkt für billiges Fleisch statt für Biofleisch vom Bauern aus der Region entscheiden?

HRH: Die Leute kennen die Konsequenzen von billiger Nahrung nicht. Sie wissen nicht, dass die Böden zerstört werden, wenn man immer mehr rausholt, als man rein bringt. Sie wissen nicht, was das mit der eigenen Gesundheit und der Umwelt zu tun hat. Deshalb muss man mehr über die Auswirkungen informieren. Man muss in die Schulen gehen.

NFiN:  Dann reicht es, die Verbraucher aufzuklären, um die Böden langfristig zu erhalten?

HRH: Nicht ausschließlich. Aber der einzige Punkt, wo man mit den Konsumenten in Kontakt kommt, ist der Preis. Wenn man die wahren Preise für Fleisch aus Brasilien oder Argentinien zahlt, mitsamt der Kosten für die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Schäden, dann würde das Fleisch viel teurer werden. Wenn man die Produkte mit allen Kosten darstellt, dann hört das alles automatisch auf. Ich bin sicher, wenn es nicht über das Portemonnaie gemacht wird, dann funktioniert die Transformation der Landwirtschaft nicht.

NFiN: Lassen sich Bodenschutz und Landwirtschaft überhaupt vereinbaren?

HRH: Ja! Bodenschutz funktioniert mit einer angepassten Landwirtschaft. Mit Prinzipien der Agrarökologie oder des Biolandbaus kommt man zu einem guten Boden. Bei jedem Zyklus baut man mit Fruchtfolgen die Bodenfruchtbarkeit auf. Außerdem müssen wir auch anders – diverser – essen. Man kann nicht nur Mais, Kartoffeln oder ein bisschen Weizen produzieren. Wir müssen endlich aufwachen. Man muss die Tiere aus den Fabriken holen und wieder auf den Bauernhof bringen. Über eine angepasste, nachhaltige Landwirtschaft hat man die Böden automatisch restauriert und beendet die ganze Bodendegradation. Das geht nicht über Nacht. Aber in Afrika haben wir gezeigt, dass man schon in drei bis fünf Jahren mit nachhaltiger Landwirtschaft die Qualität der Böden verbessern kann.

NFiN: Es heißt, fruchtbare Böden sind auch für das Klima wichtig. Warum?

HRH: Fruchtbare Böden mindern die Erderwärmung, weil sie viel Kohlenstoff aufnehmen und ihn auch für lange Zeit speichern. Das setzt aber voraus, dass die Böden nicht gepflügt werden und nach Biolandbau-Methoden bebaut werden. Das bedeutet auch längere und diverse Fruchtfolgen, die es ermöglichen, organische Substanz aufzubauen und in den Boden einzufügen.

NFiN: Kann eine ökologische Landwirtschaft die Welt mit demnächst neun Milliarden Menschen überhaupt ernähren?

HRH: Mir sind mehr als 270 Studien bekannt, die aufzeigen, dass man die landwirtschaftliche Produktion in Afrika, aber auch in Asien und Lateinamerika, verdoppeln, verdreifachen kann – nur mit natürlichen, ökologischen Methoden. Wichtig ist der Boden, es geht nicht um neue Sorten. Wenn der Boden stimmt, kann man mit den vorhandenen Sorten deutlich mehr produzieren, als derzeit. Ein Boden, der nach Öko-Landwirtschaftsprinzipien bearbeitet wird, kann mehr Wasser aufnehmen und abgeben, wenn gebraucht. Sein Nährstoffzyklus funktioniert wieder, weil die Pflanzen tiefer wurzeln und die Nährstoffe nach oben bringen. Wichtig sind Gründüngung und eine Mischlandwirtschaft, also Tiere und Nahrungsmittelanbau. So kommt der Mist wieder auf das Feld.

Das Interview führte Sandra Kirchner.
Es ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2015.