Interview des brandenburgischen NaturFreunde-Magazins mit Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzringes (DNR)
Sandlatscher: Als DNR-Präsident bist du Chef der Dachorganisation der ehrenamtlichen Naturschützer und hast vermutlich einen hervorragenden Überblick über die Umweltorganisationen. Wo siehst du die NaturFreunde Deutschlands innerhalb dieser Verbändelandschaft?
Kai Niebert: Die NaturFreunde waren schon immer mehr als ein Umweltverband. Sie hatten immer im Blick, dass Gerechtigkeit eben nicht nur Zugang zur Natur und Freiheit von Umweltverschmutzung, sondern gleichzeitig auch den Zugang zu Bildung, ausreichendes Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe heißt. Gegründet vor über 120 Jahren, um für einen freien Zugang zur Natur zu kämpfen, holt uns genau diese Forderung aus den Gründungsjahren wieder ein: Zunehmend werden Seeufer für die Privatnutzung gesperrt oder Waldbesitzer wollen plötzlich Eintritt für unsere sozialen Wanderungen verlangen. Darüber hinaus müssen wir fortwährend zwischen den Interessen des Naturschutzes und der Erholung in der Natur abwägen. Die NaturFreunde behalten hier einen ganz wertvollen Blick für das „Große und Ganze“.
Und sicher hast Du auch eine gute Perspektive auf die Umweltpolitik in den Ländern. Uns interessiert natürlich dein Blick auf unser Land Brandenburg als eines von 16 Bundesländern.
Global betrachtet haben wir in den letzten Jahren – zumindest was die Beschlüsse angeht – massive Fortschritte gemacht: Mit dem Klimaabkommen von Paris soll die Überhitzung der Atmosphäre gestoppt werden und die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) vernetzen ökologische und soziale Gerechtigkeit. Schauen wir jedoch einmal ins Detail, vor allem aber in die Umsetzung vor Ort, stellen sich einem manchmal die Nackenhaare auf: Als ich in den ehrenamtlichen Naturschutz in den 90er-Jahren in Niedersachsen einstieg, redete man mit Bewunderung von der brandenburgischen Umweltpolitik. Das war beispielgebende Pionierarbeit. Innovativ und sehr engagiert. Heute trägt Brandenburg eher die rote Laterne.
Wie meinst Du das konkret?
Das Großschutzgebietssystem, das unter Matthias Platzeck installiert wurde, war beispielgebend. Heute steht es immer wieder in der Diskussion und droht zerschlagen zu werden. In anderen Bundesländern dagegen werden neue Nationalparks und Biospärenreservate ausgewiesen, etwa in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. In Bayern ist die Einrichtung eines weiteren Nationalparks in der Diskussion. Die einmaligen Wildnisgebiete in Brandenburg werden, ganz unabhängig von der Einrichtung eines weiteren Nationalparks, vom zuständigen Umweltminister nicht hinreichend gewürdigt. Dabei könnte hier Brandenburg wieder bundesweit Vorreiter sein. Die reflexhafte Ablehnung weiterer Wildnisentwicklungsflächen – egal welcher Größenordnung – unter Verweis auf eine wirtschaftliche Überforderung der brandenburgischen Forstwirtschaft ist nicht zu rechtfertigen. Ich kann nur hoffen, dass sich Brandenburg wenigstens weiter seiner Verantwortung für den Bestand der Wölfe bewusst bleibt, alle Anstrengungen für einen effektiven Herdenschutz unternimmt und hier nicht auch der Mär eines angeblichen Endes der Weidewirtschaft durch das Vorhandensein von Wölfen die Rolle eines Leitbildes zuweist. Einen krassen Umbruch sehe ich in der Personalpolitik in der Umweltverwaltung. In den 90ern kamen gute, hochmotivierte Naturschützer*innen nach Brandenburg, denn dort passierte was. Heute werden namhafte Leute demonstrativ versetzt. Und weniger exponierte Stellen werden nicht wieder besetzt. So zieht man dem Naturschutz den Boden unter den Füßen weg. Das ist schlichtweg kurzsichtig. Denn ein Minister stellt sich so selbst ein Bein.
Der jetzige Minister Jörg Vogelsänger ist eben auch Landwirtschaftsminister.
Es zeigt sich, dass wir auch in Brandenburg die planetaren Belastungsgrenzen deutlich überschreiten. Wissenschaftler sehen die Welt mittlerweile in einer neuen Epoche, dem Anthropozän, der Menschenzeit angekommen. Da kann man nicht mehr so einfach zwischen Naturnutzung und Naturschutz unterscheiden. Gerade ein Minister, der gleichzeitig für Umwelt und Landwirtschaft zuständig ist, muss hier Verantwortung übernehmen. Er darf nicht zulassen, dass eine falsche Landwirtschaftspolitik die Grundwässer mit Nitrat vergiftet und massiv zum Artensterben führt. Wenn ich recht informiert bin, ist Brandenburg das einzige Bundesland in ganz Deutschland, das es nicht für notwendig erachtet, den Naturschutzbelangen bei der Ausgestaltung des europäischen Landwirtschaftsfonds mehr Gewicht zu verschaffen. Das ist doch absurd: Die brandenburgischen Naturlandschaften bieten einen riesigen Erholungswert für den gesamten Berliner Ballungsraum.
In einer schwierigen Situation waren auch schon Naturschützer in anderen Ländern. Was sollten wir uns angucken?
Kurs halten – und die Menschen mitnehmen! Umfragen zum Umweltbewusstsein zeigen, dass sich die Bürger*innen eine andere Landwirtschaftspolitik wünschen. Sie wollen Bauernhöfe, die Bauern und nicht Konzernen gehören, auf denen sich Tier und Mensch wohl fühlen und in denen man Vertrauen in die Lebensmittelherstellung gewinnt. Ihr habt große Erfahrung in der Einbeziehung der Menschen in Entscheidungsprozesse: in den Beiräten oder bei der formalen Verbandsbeteiligung in Planungsprozessen. Ich denke auch an die Unterstützung der Arbeit der Umweltorganisationen.
Und hast du etwas, das du uns brandenburgischen NaturFreunden ins Stammbuch schreiben willst?
Die brandenburgischen NaturFreunde sind sehr gut aufgestellt und haben ein Bewusstsein für die Geschichte. Zum Beispiel haben sich die NaturFreunde schon in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts für den Schutz der Seeufer im Umfeld von Berlin eingesetzt. Für die Zukunft wünsche ich mir – neben eine Kontinuität in diesem nach wie vor brandaktuellen Thema – auch die Verdeutlichung historischer Bezüge in dem, wie unsere Altvorderen unsere Natur damals haben wahrnehmen können – z.B. im Sommer voller laut surrender Insektenschwärme – und damit verbundener Vogel-, Tier- und Pflanzenvielfalt –, die wir heute nur noch in ausgewählten Restgebieten vorfinden. Ein nicht nur für unsere sinnliche Wahrnehmung herber Verlust, der dringend in das Bewusstsein der Menschen gehört und natürlich die Information über die Ursachen. Hierüber können unsere NaturFreunde nicht nur auf ihren Wanderungen über die Natura Trails – sinnliche – Aufklärungsarbeit leisten.
Interview: Rüdiger Herzog