Ein Intellektueller ohne Ausbildung

Vor 40 Jahren starb der Linkssozialist und NaturFreund Fritz Lamm

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Ein Denkmal für Fritz Lamm gibt es nicht. Dabei war der Jude, Linkssozialist, Emigrant und  NaturFreund Fritz Lamm sowohl Vordenker als auch Kristallisationsfigur der undogmatischen Linken in Süddeutschland. Er starb vor 40 Jahren am 15. März 1977.

Lamms Lebensweg ist eng verbunden  mit der Geschichte des Linkssozialismus in  Deutschland von der Weimarer Republik über  die Zeit des Nationalsozialismus bis in die  siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Auf dem 11. NaturFreunde-Bundeskongress  1969 in Karlsruhe wurde er zum Referenten für Kultur und Bildung  gewählt und übernahm  damit auch bei den NaturFreunden eine wichtige Funktion auf Bundesebene.

Fritz Lamm wurde  1911 in Stettin als einziger Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Mit neun  Jahren trat er dem  deutsch-jüdischen Wan- derbund „Kameraden“ bei, einer Jugendgruppe, die vom Ideal eines  romantischen Sozialismus erfüllt war. Im Alter  von 19 Jahren allerdings  trennte er sich sowohl  von den „Kameraden“ als auch von „seinem Judentum“ und wurde Mitglied der Sozialistischen  Arbeiter-Jugend (SAJ), der Jugendorganisation der SPD.

Die „Radikalisierung der Jugend“

1931 schlossen ihn die Sozialdemokraten jedoch wieder aus wegen „Radikalisierung der Jugend“ – und Lamm wurde Mitbegründer der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), einer kleinen, aber aktiven Partei links von der SPD, der damals auch Willy Brandt angehörte.

Im Februar 1933, direkt nach dem Reichstagsbrand, wurde Lamm verhaftet und 1934 vom  Reichsgericht in Leipzig zu mehr als zwei Jahren  Haft wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. An den Folgen der schweren Folter in Gestapohaft litt er sein ganzes Leben.

Über zwölf Jahre verbrachte er anschließend  im Exil: in Österreich, in der Tschechoslowakei, in Frankreich und schließlich in Kuba. Da  ihm 1937 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, musste er viele bürokratische Hindernisse überwinden, um nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückkehren  zu können. Als Lamm gesundheitlich stark an- geschlagen im Jahr 1948 nach Stuttgart zurück - kehrte, fand er eine Anstellung bei der „Stuttgarter Zeitung“. Beim damaligen Flaggschiff der  Meinungsfreiheit war er 20 Jahre lang Betriebsratsvorsitzender.

Im Jahr 1949 trat er wieder der SPD bei und  übte dort, in der Druckergewerkschaft, bei den  NaturFreunden, in der Ostermarschbewegung  und als Mentor der Studentenbewegung der  sechziger Jahre einen starken Einfluss aus. In  den Jahren von 1950 bis 1959 war er Herausgeber und Hauptautor der linkssozialistischen Zeitschrift „Funken“. Wegen seines Engagements für  den Sozialistischen Deutschen Studentenbund  (SDS) wurde er 1963 zum zweiten Mal aus der  SPD ausgeschlossen.

 Lamm war ein Intellektueller ohne akademische Ausbildung, ja sogar ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Er wirkte durch öffentliche  Auftritte und Briefe sowie durch seine Ausstrahlung. Bis an sein Lebensende ein begehrter Referent und unermüdlicher Diskussionsteilnehmer, wandte er sich auf zahlreichen Schulungen der Naturfreundejugend, der Falken, der Freidenker  und des SDS an junge Menschen, um ihnen die  politischen Zusammenhänge zu erklären und  die Grundlagen des Marxismus zu vermitteln.

Michael Benz ist Autor von:
Der unbequeme Streiter Fritz Lamm – Eine politische Biographie; 540 Seiten; Klartext-Verlag, Essen, 2007;
ISBN 9783898616607;
vergriffen, im Antiquariat erhältlich, etwa auf: www.zvab.com

Ein Vorbild der undogmatischen Linken

Lamm war kein dogmatischer Parteipolitiker,  sondern ein Nonkonformist, der zwischen dem kommunistischen und dem evolutionär-reformistischen Flügel der Arbeiterbewegung einzuordnen ist. Er verkörperte eine Tradition, die auf dem Gedankengut von Rosa Luxemburg beruht,  seine marxistische und antistalinistische Haltung passte sich keiner Parteilinie an. Das Streben nach Einfluss und Karriere war ihm fremd.  Er konnte seine intellektuelle Unabhängigkeit bewahren. Obwohl er nicht zu den führen- den Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung gehört, zeigt seine Biografie exemplarisch, welche Bedeutung er lokal, aber auch  überregional gewinnen  konnte: als Motor und  als Vorbild.

Schon ein Jahr nach  seiner Verrentung starb Lamm 1977 an Herz - versagen. Eine literarische Erwähnung findet  er im Roman „Landgericht“ von Ursula Krechel, der eine eindrückliche Beschreibung der deutschen Exilgemeinde in Havanna enthält,  der Lamm unter anderen angehörte. Nach ihm  ist auch die Fritz-Lamm-Bildungsstätte, eine Einrichtung zur Jugenderholung der „SJD - Die Falken“ in Furtwangen im Schwarzwald benannt.

Michael Benz, NaturFreunde Giengen
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2017