NaturFreunde Deutschlands debattieren vom 8. bis 10. Oktober in Falkensee bei Berlin über das „Leben im Anthropozän“ – auch das als erster Umweltverband
Nicht weniger als die Rahmenbedingungen des Lebens in der neuen geologischen Erdepoche des Anthropozän (Menschenzeit) will der 31. ordentliche Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands ergründen. Der erste Kongress eines Umweltverbandes nach der Bundestagswahl wird vom 8. bis 10. Oktober in Falkensee bei Berlin über mehr als 50 Anträge aus den Bereichen Natur-, Umwelt- und Klimaschutz, sozial-ökologische Gestaltung der Transformation, Energie, Verkehr, sanften Tourismus, Frieden, Bürgerrechte und natürlich auch Verbandsentwicklung beraten. Das höchste NaturFreunde-Organ tagt alle drei Jahre, in Falkensee unter dem Motto „Leben im Zeitalter des Menschen: Sozial ∙ Ökologisch ∙ Frei“.
Der Mensch prägt den Planeten Erde heute stärker als jeder natürliche Einfluss: Der Anstieg der Treibhausgase, die fortdauernde Vernichtung der biologischen Vielfalt, die Übersäuerung der Meere oder auch die Störung des Stickstoffkreislaufes verändern langfristig die Bedingungen des Lebens. Der Mensch ist zum stärksten Treiber geo-ökologischer Prozesse geworden. Doch die Natur schlägt immer härter zurück, wie auch die Flutkatastrophe im Juli gezeigt hat.
Denn die neue Menschenzeit ist geprägt von Kurzsichtigkeit, Raubbau und einer globalisierten Umweltzerstörung. Die andauernde Schädigung der Erdsysteme macht mittlerweile sogar die Selbstzerstörung der Zivilisation denkbar. Andererseits bietet das Anthropozän aber auch eine große Chance für die Menschheit, weil es die Gestaltungs- und Verteilungsfrage stellt, wie der NaturFreunde-Bundesvorsitzende Michael Müller betont:
„Die Menschheit ist in ein Zeitalter eingetreten, für das es in den letzten Millionen Jahren keine Entsprechung gibt. Wenn wir im Anthropozän überleben wollen, müssen wir jetzt alles dafür tun, dass wir nicht der Zerstörer der Zivilisation bleiben, sondern ihr Gestalter im Sinne der Nachhaltigkeit werden. Das ist eine sehr große Verantwortung, die die Menschheit endlich wahrnehmen muss. Wir NaturFreunde fordern eine Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung, die den kurzfristigen ökonomischen Verwertungszwang beendet und zu einer Ökonomie des Bewahrens der natürlichen Mitwelt und des Vermeidens hoher Energie- und Ressourceneinsätze wird. Oder kurz: Das Anthropozän braucht unbedingt eine sozial-ökologische Gestaltung der gesellschaftlichen Transformation. Denn die Naturverhältnisse sind nicht zuletzt auch Herrschaftsverhältnisse“, so Michael Müller.
Die Transformationsdebatte müsse drei gewaltige Herausforderungen – wirtschaftliche Krisenhaftigkeit, soziale Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung – in einem Zusammenhang sehen, führt Michael Müller weiter aus. Die Gestaltung der Transformationsprozesse werde nur möglich, wenn die Demokratie erweitert und das Projekt der sozialen und ökologischen Emanzipation ins Zentrum der Politik rücke. Deshalb fordern die NaturFreunde für das Anthropozän auch mehr Aufklärung und Vernunft, mehr Demokratie und Verantwortung sowie mehr Allgemeinwohl und politische Gestaltungskraft.
Auch Maritta Strasser, Bundesgeschäftsführerin der NaturFreunde Deutschlands, unterstreicht die Notwendigkeit einer sozial-ökologische Gestaltung der Transformation: „Mit den Sondierungen für die Bildung einer neuen Bundesregierung werden dafür jetzt die Weichen gestellt. Allerdings ist keine der Parteien mit einem Wahlprogramm angetreten, das die Herausforderungen unserer neuen Erdepoche auch nur annähernd hinreichend beantwortet. Die Zivilgesellschaft, deren Teil auch wir NaturFreunde sind, wird ein starker Antreiber der politischen Veränderung bleiben müssen.“
Weitere Anträge des NaturFreunde-Bundeskongresses beschäftigen sich unter anderem mit dem Recht auf Wohnen, verurteilen den geplanten Oderausbau, verdammen die Atomenergie als Klimakiller, fordern mehr Klimagerechtigkeit, mehr Moorschutz, eine Mobilitätswende, die Besteuerung von Flugbenzin, mehr Abrüstung und eine neue Entspannungspolitik, den Stopp des EU-Mercosur-Abkommens oder die Freigabe der Patente auf Corona-Impfstoffe für alle Länder.
Neben den 120 Delegierten haben sich auch prominente Gastredner zum NaturFreunde-Bundeskongress angekündigt: So wird zum Beispiel DGB-Chef Reiner Hoffmann zum Verhältnis von „Arbeit und Umwelt“ sprechen, Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings, in die Besonderheiten des Anthropozän einführen und Luca Samlidis von Fridays for Future die Zukunftsaussichten im Klimawandel skizzieren.
Weitere prominente Rednerinnen und Redner sind: Michael Müller (Regierender Bürgermeister von Berlin), Lukas Siebenkotten (Präsident Deutscher Mieterbund), Herta Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.), Florian Pronold (Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Maximilian Becker (Mitglied LINKE-Parteivorstand), Reiner Braun (Co-Präsident Internationales Friedensbüro), Manfred Pils (Präsident NaturFreunde Internationale), Mamadou Mbodji (Vizepräsident NaturFreunde Internationale und Präsident afrikanisches NaturFreunde-Netzwerk) sowie Joachim Wolschke-Bulmahn (Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz-Universität Hannover).
Aktuelle Informationen: www.bundeskongress.naturfreunde.de | #nfdbk