DOSB-Interview mit Professor Dr. Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings und stellvertretender Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands
dosb umwelt: Herr Professor Niebert, extreme Klimaereignisse haben im vergangenen Jahr viele Länder, Regionen und Regierungen vor zum Teil nicht zu bewältigende Aufgaben gestellt. Hat Ihr Kollege, der Astrophysiker Harald Lesch, recht, wenn er postuliert: Die Menschheit schafft sich ab?
Kai Niebert: Diesen Eindruck kann man aktuell tatsächlich momentan gewinnen. Überschwemmungen und Erdrutsche in Nepal, Bangladesch, Indien und Sierra Leone, Dauerregen und Waldbrände durch extreme Hitze in Europa, gefolgt von Hurrikans in den USA und der Karibik. Durch die extremen Wetterlagen haben Millionen Menschen ihr Obdach verloren und mussten ihre Heimat verlassen. Diese Naturkatastrophen sind Folgen einer menschengemachten Störung des Klimasystems.
Doch wir müssen gar nicht in den Süden schauen, um zu sehen, was uns mit zunehmenden Klimastörungen droht: Sturmtief Xavier, das im Oktober 2017 für zwei Stunden durch Deutschland tobte, hat den Zugverkehr in Norddeutschland tagelang lahmgelegt. Mindestens acht Menschen kamen ums Leben, die meisten wurden von Ästen oder umstürzenden Bäumen, teils im Auto erschlagen.
Wir verändern das Klima und überschreiten planetare Belastungsgrenzen, ohne wirklich die Konsequenzen tragen zu können. Wenn wir unsere auf Einweg-Konsum basierende Lebensweise nicht ändern, zerstören wir unsere eigene Lebensgrundlage, die unserer Kinder und die der Menschen im globalen Süden.
Wollen wir das wirklich? Doch unser Handeln ist nicht alternativlos: So wie wir das Ozonloch wieder schließen könnten, können wir auch dem Klimawandel ein Ende setzen. Doch dafür braucht es Handeln. Politisches Handeln.
Im November 2016 hatte die große Koalition den Klimaschutzplan 2050 beschlossen. Ziel ist, die Treibhausgasemissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent zu vermindern. Doch tatsächlich stimmen die Fakten pessimistisch: Das Ausmaß der Kohleverstromung, mehr Straßenverkehr sowie ein Rückstand bei der energetischen Gebäudesanierung werden als Gründe für die schlechte Ökobilanz Deutschlands genannt. Wie kann die neue Regierung das Ruder rumreißen?
Der deutschen Klimapolitik droht in der Tat die Wiederholung eines Debakels: Erneut wird ein ambitioniertes Ziel zur Eindämmung der nationalen Treibhausgase absehbar verfehlt. So war es schon einmal im Jahr 2005, als das 1995 festgelegte Ziel, die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent zu senken, von der Regierung Kohl sang- und klanglos kassiert wurde.
Das Gleiche bahnt sich jetzt erneut an: 2017 nehmen unsere Treibhausgasemissionen nicht ab, sondern weiter zu. Das Ziel, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist so gut wie außer Reichweite. Damit gehört der „Klimaschutzvorreiter“ Deutschland zu nur 5 von 28 EU-Mitgliedstaaten, die ihre Klimaschutzverpflichtung für 2020 voraussichtlich nicht einhalten.
Doch die Chancen für eine deutsche Kehrtwende im letzten Moment stehen eigentlich nicht schlecht: Alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer der AfD – bekennen sich zur Energiewende oder wollen sie sogar beschleunigen. Und die Bevölkerung sorgt sich ausweislich einer Umfrage wenige Wochen vor der Bundestagswahl vor nichts so sehr wie vor den Folgen der menschengemachten Klimastörungen. Ein Umsteuern ist möglich – und machbar.
Wir haben einmal durchgerechnet, was Deutschland eine Umsetzung des Paris-Abkommens, also die Begrenzung des Klimawandels auf maximal 2 Grad kosten wird: Um die Energiewende zu beschleunigen, den Autoverkehr zu ergrünen und auch die Industrie CO2-frei zu bekommen, werden wir ein großes Investitionsprogramm anschieben müssen. Doch am Ende muss es den Steuerzahler keinen Cent kosten. Das Einzige, was wir machen müssen, ist die 57 Milliarden umweltschädlichen Subventionen, die die Bundesregierung derzeit jährlich zur Begünstigung von Dieselfahrzeugen, Flugtickets und Dienstwagen ausschüttet, in die Ergrünung Deutschlands zu stecken. Das Geld ist da – es muss nur richtig investiert werden.
Sie fordern ein gemeinsames Leitbild der Nachhaltigkeit und ein starkes Netzwerk der Umwelt- und Naturschutzorganisationen, um mehr Klimaschutz oder den Erhalt der Artenvielfalt zu erreichen. Muss dieses Netzwerk nicht über den Umwelt- und Naturschutz hinausgehen?
Unbedingt! Deswegen sitzen wir auch regelmäßig beispielsweise mit den Gewerkschaften am Tisch und sind im Dialog mit dem Sport. Der Erfolg mit Hass und Ängsten spielenden Rechtspopulisten zeigt, dass Politik stärker mit den Menschen statt über sie hinweg stattfinden muss. Es gibt viele Regionen in Deutschland – und das sind insbesondere die Regionen, die der Strukturwandel schon getroffen hat oder treffen wird –, in denen die Menschen Angst vor Veränderungen haben. Umso wichtiger ist es, den Weg in ein CO2-freies Deutschland, das auch ein gerechteres Deutschland sein wird, gemeinsam zu gehen.
Nachhaltigkeit ist zu einem Plastikwort verkommen, seitdem sogar Shampoos und Tetrapaks nachhaltig sind. Wir sind der Meinung, dass Nachhaltigkeit neu definiert werden muss, wenn wir den ökologischen, besonders aber den sozialen Herausforderungen gerecht werden kann. Bisher war es so, dass – immer wenn es ernst wurde – ökologische und soziale Bedürfnisse zugunsten von ökonomischen Zwängen hintenangestellt wurden. Das hat nicht funktioniert. Wir brauchen eine Idee von Nachhaltigkeit, die den Menschen ins Zentrum stellt und die natürlichen Grenzen unseres Planeten respektiert.
Der Klimaschutzplan 2050, der ja eine schrittweise nachhaltige Umwandlung von Technologie, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur vorgeben soll und sich als lernender Prozess versteht, will nicht nur aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen, sondern auch den gesellschaftlichen Diskursprozess fortschreiben. Sehen Sie hier gemeinsame Aufgaben für Naturschutz und Sport?
Ich habe oft das Gefühl, dass Sportler und Sportlerinnen oft weiter sind als die Politik – vielleicht, weil für sie der Klimawandel schon gelebte Realität ist, wie ich selber als Bergsportler immer wieder erfahren muss: Es gibt in den Alpen viele Routen, die man im Sommer nicht mehr gehen kann, wie zum Beispiel die Eiger Nordwand. Grund dafür ist das Auftauen des Permafrosts – von Böden also, die das ganze Jahr über gefroren sein sollten. Durch das Tauen halten Gesteine und Schutt im Untergrund nicht mehr zusammen, was die Hangstabilität beeinträchtigt und das Risiko von Erdrutschen und Felsstürzen erhöht.
Wanderer freuen sich über überdurchschnittlich warme und trockene Tage in den Bergen. Doch genau diese Bedingungen sind es, die die Bergwelt zerstören. Doch es gibt hunderte weiterer Beispiele: Nicht nur die Skifahrer und Seglerinnen wissen, dass sie von den Wetterbedingungen abhängig sind.
Ich selber durfte einige Zeit in Australien, eine der größten Sportnationen der Welt, leben. Die Australier haben in einer Studie den Einfluss der menschengemachten Klimastörungen auf den australischen Sport prüfen lassen, mit dem Ergebnis, dass zahlreiche Sportarten nicht mehr möglich sein werden, wegen der Hitze, wegen Dürre, wegen Wind und wegen fehlenden Schnees.
Als Sportler brauchen wir die Natur. Deswegen sind wir auch hervorragende Botschafter für einen zukunftsfähigen Umgang mit ihr. Naturschützer und Sportlerinnen haben ein gemeinsames Interesse: eine lebenswerte und erlebnisreiche Umwelt.
Fragen: Gabriele Hermani
Dieses Interview wurde zuerst veröffentlicht im Informationsdienst SPORT SCHÜTZT UMWELT (Nr. 124 / Dezember 2017) des Deutschen Olympischer Sportbundes (DOSB).