Buchvorstellung: Die Idee des Sozialismus

Der Versuch einer Aktualisierung

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Axel Honneth: Die Idee des Sozialismus – Versuch einer Aktualisierung; 168 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin 2015; ISBN 9783518586785; 22,95 Euro.

Was ist nur aus der Idee des Sozialismus geworden? Der Begriff ist aus der öffentlichen Debatte weitgehend verschwunden, seine Anziehungskraft hat stark nachgelassen. Axel Honneth, Sozialphilosoph und Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, überlegt in seinem neuesten Buch, welche Veränderungen der Sozialismus bräuchte, damit er seine frühere Kraft wiedergewinnt und versucht dabei nicht weniger als eine Aktualisierung. Honneth betont das soziale Individuum:

„Nur wenn jedes Gesellschaftsmitglied sein mit jedem anderen geteiltes Bedürfnis nach körperlicher und emotionaler Intimität, nach ökonomischer Unabhängigkeit und nach politischer Selbstbestimmung derart befriedigen kann, dass es sich dabei auf die Anteilnahme und Mithilfe seiner Interaktionspartner zu verlassen vermag, wäre unsere Gesellschaft im vollen Sinne des Wortes sozial geworden.“ Soziale Freiheit könne es dabei nicht auf Kosten, sondern nur mit Hilfe von Solidarität geben: „Weil sich die Subjekte dann nämlich wechselseitige Anteilnahme entgegenbringen, behandeln sie sich grundsätzlich als Gleiche und verzichten untereinander fortan auf jegliche Ausbeutung oder Instrumentalisierung.“

Der Sozialismus muss den Markt reinigen
Das klingt gut, doch wie sollte diese soziale Freiheit in Gesellschaften institutionalisiert werden? Honneth setzt auf einen vom Kapitalismus gereinigten Markt: „Eine der vordringlichsten Aufgaben des Sozialismus besteht heute darin, den Begriff des Marktes von allen ihm nachträglich zugefügten Beimischungen kapitalismusspezifischer Eigenschaften erst wieder zu reinigen, um ihn so auf seine moralische Belastbarkeit hin prüfen zu können.“ Um soziale Werte und solidarische Lebensweisen weiterzuentwickeln, müsse unbedingt die breite „demokratische Öffentlichkeit“ beteiligt werden. Der Autor will dabei nicht mehr auf das Proletariat als historischen Träger von Fortschritt hoffen.

Es wäre „viel naheliegender, den realen Schein des Zukünftigen dort zu lokalisieren, wo sich Spurenelemente eines zu erwartenden Fortschritts in der Erweiterung sozialer Freiheiten bereits in institutionellen Errungenschaften, in veränderten Rechtsetzungen und kaum mehr rückgängig zu machenden Mentalitätsverschiebungen niedergeschlagen haben“.

Idee einer demokratischen Lebensform
Schließlich skizziert Honneth noch seine „Idee einer demokratischen Lebensform“. Er regt an, Freiheit „im Sinne eines egalitären Füreinander und einer zwanglosen Zusammenarbeit zu verstehen, um so dem Prinzip der Volkssouveränität doch noch den erforderlichen Charakter einer Beratschlagungsprozedur zu geben“, in der alle wesentlichen Entscheidungen auf demokratische Weise gefällt werden. Die freiheitliche sozialistische Gesellschaft hat Honneth zufolge drei Sozialsphären:

Wirtschaft, demokratische Verfahren und persönliche Sozialbeziehungen. Jede Sphäre befruchtet wie beschränkt sich gegenseitig. Die praktische Umsetzung aber bleibt offen. Auch Fragen konkreter Macht blendet Honneth weitgehend aus. Unbestimmt bleibt zudem der Zusammenhang von solidarischem Füreinander und der Beziehung von Mensch und Natur. Honneth mahnt die Rolle individueller Freiheit und demokratischer Prozeduren für einen modernen Sozialismus an.

Inwieweit dieser philosophische Entwurf auch das aktuelle Selbstverständnis der NaturFreunde als ökologischem Verband mit sozialistischen Wurzeln vorantreiben kann, ist im Kern eine praktische Frage. Doch selbst wenn „Die Idee des Sozialismus“ kaum konkrete Hinweise dazu bietet, kann der Versuch, den Sozialismus wieder zu einem erstrebenswerten Ziel zu machen, die Diskussionen zum Selbstverständnis im Verband befruchten.

Klaus-Dieter Gross
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 1-2016.