Was im September an den Kalkwänden in Finale Ligure geschah

Trainer*in B – Plaisirklettern sowie Trainer*in B – Sportklettern – ein Lehrgangsbericht von Matthias Näger

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Finale Ligue: Schon der Name lässt die Herzen vieler Kletterer*innen höher schlagen.

In der kleinen Stadt an der italienischen Riviera fand Ende September ein kombinierter NaturFreunde-Lehrgang zum*zur Trainer*in B – Plaisirklettern sowie zum*zur Trainer*in B – Sportklettern statt. Also packten wir eine Extra-Portion Chalk ein und brachen aus verschiedensten Regionen Deutschlands auf ins sonnig-warme Norditalien.

Nach unserer Ankunft und dem gegenseitigen Kennenlernen auf dem Campingplatz Calvisio – einige von uns kannten sich schon von vorangegangenen Lehrgängen – trafen wir am Samstagabend auf unsere Ausbilder*in Sandra, Norbert und Malte, um den Ablauf der kommenden Woche festzulegen und die gegenseitigen Erwartungen zu besprechen.

Eine 5c mit kapitalem Hornissennest

Am nächsten Morgen ging es dann auch sportlich los: Wir fuhren in den Sektor Avancorpo di Boragni, wo wir uns beim Einklettern an wunderschönen langen Routen im Bereich 5c–6c mit dem Fels vertraut machen durften. Wobei zwei der leichteren 5c durchaus aufgewertet werden könnten, da einer der Zielgriffe im oberen Teil der Route durch ein kapitales Hornissennest belegt war. Doch zum Glück waren die Hornissen nur kurz vom Vorbeischauen der Kletterer irritiert und zogen sich schnell wieder ins Nest zurück, so dass die Routen zu Ende geklettert und abgebaut werden konnten. Wir wollten die Tiere ja nicht weiter stören ...

Am Nachmittag standen gleich die ersten beiden Lehrübungen an: Jürgen hatte der Gruppe noch einmal den Seilschaftsablauf inklusive zugehöriger Seilkommandos anhand eines kleinen Modellaufbaus ins Gedächtnis gerufen und anschließend referierte Theresa über HMS-Sicherung sowie deren Blockierung mittels Schleifknoten.

Zum Abschluss eines langen Tages wiederholte Sandra dann noch einmal den Standplatzbau mit Reihenschaltung sowie an fraglichen Fixpunkten mittels abgebundenem Kräftedreieck und wir konnten das Erlernte selbst noch einmal am Wandfuß üben.

Am folgenden Tag brachen wir auf zum Sektor Falesia dei tre porcellini wo die Gesamtgruppe zunächst einmal in Plaisir- und Sportkletterer*innen unterteilt wurde, um den bestmöglichen Fokus auf die Aufgaben des Tages legen zu können.

Training von Expressflaschenzug, Schweizer Flaschenzug und Körperhub

Während die Plaisirkletterer*innen am Vormittag noch die Bergungsmethoden Expressflaschenzug, Schweizer Flaschenzug und Körperhub trainierten, durften die Sportkletterer*innen bereits in die ersten 2–3-Seillängenrouten einsteigen und die Abläufe inkl. des Rückzugs über mehrere Standplätze einstudieren.

Am Nachmittag wurde dann gewechselt, sodass auch die Plaisirkletterer*innen in den Genuss der hohen italienischen Wände mit perfekten Absicherungen kamen.

Am Dienstag wurde es dann ernst: Während sich die Sportkletterer*innen in ihre ersten Tagesprojekte im oberen 6./ unteren 7. französischen Grad wagten (einen Bericht dazu findest du hier), stand für die Plaisirkletterer*innen die erste große (mentale und körperliche) Prüfung in Form einer 9-Seillängen-Mehrseillängentour namens Grimonett bzw. INPS (beides 6b) im Sektor Pianarella an.

Die Schwierigkeiten traten jedoch schon bei der Anreise auf: Einer der Teilnehmer*innen dachte, er kenne den Weg besser als Google und lotste unseren Fahrer Jürgen durch die engen italienischen Häuserschluchten, bis das Auto buchstäblich in einer viel zu engen Durchfahrt feststeckte. Da war schon am frühen Morgen Teamarbeit gefragt, um uns aus dieser misslichen Lage wieder ohne Schaden herauszumanövrieren.

Mit etwas Verspätung konnten wir dann aber nach einem 20-minütigen Zustieg gegen 8:45 Uhr in die Routen einsteigen: Sandra und Jürgen waren die erste Seilschaft in der Grimonett, Theresa und Matze bildeten das zweite Team in der Route und waren äußerst dankbar, dass die beiden uns die ein oder andere Schlinge legten beziehungsweise Exen verlängerten.

Magdalena und Malte mussten sich dagegen in der parallel zur Grimonett verlaufenden INPS ohne „fremde“ Hilfe durchschlagen, was den beiden auch ohne Probleme gelang.

Neun Seillängen in 4,5 Stunden

Nach ca. 4,5 h waren wir alle durch die teilweise recht anspruchsvollen neun Seillängen durchgestiegen und trafen am Ausstieg der Routen wieder aufeinander. Nach gegenseitigem Abklatschen und einer kurzen Stärkung ging es von dort zu Fuß über den Wanderweg zurück zu den Autos.

Nachdem wir am Mittwochmorgen den Parkplatz ohne Umwege und Auto-Rettungsmanöver gefunden hatten, machten wir uns an den steilen Aufstieg zum hoch über Calvisio thronenden Rocca di Corno.

Nun durften Theresa und Magdalena eine Tour komplett vorsteigen und jeweils eine Dreier-Seilschaft durch eine Vier-Seillängentour führen. Anschließend seilten wir über zwei Abseilstände in der Route ab, um wieder zurück zu unseren Rucksäcken am Wandfuß zu gelangen. Alle Kletterer*innen fühlten sich während der gesamten Tour sicher bei unseren beiden Vorsteigenden aufgehoben und es machte Spaß, die beiden Frauen dabei zu erleben, wie sie in ihren Routenführungsrollen aufgehen – den Routenverlauf sowie die Kletterpartner dabei stets im Blick behaltend!

Am Nachmittag lehrten uns Sandra und Malte dann, wie man ordentlich gespannte Seilgeländer baut und im Notfall seinen Kletterpartner sicher und schnell ablassen kann. Auch hier hatten wir anschließend genug Zeit, das Gelernte zu üben und den Wandfuß mit Kletterseilen zu verkabeln.

Am Donnerstag war Routentausch im Vergleich zu Dienstag angesagt: Magdalena & Malte stiegen in die Grimonett ein, für Sandra und Matze sowie Theresa & Jürgen stand heute die Route INPS auf dem Plan.

Quarzkristalle und ein verstauchter Fuß als Andenken

Während die Grimonett sehr ausgesetzt durch abwechslungsreiches, oft überhängendes Gelände führt, verläuft die INPS eher durch eine plattige, jedoch nicht weniger interessante Wand, bei der man sich sogar ein kleines Andenken in Form von wunderschönen Quarzkristallen mitnehmen konnte. Aber auch andere Andenken in Form von Schürfwunden, leichten Kratzern und einem verstauchten Fuß nahm der/die ein oder andere von uns mit aus den Routen.

Am Freitag, dem letzten Klettertag, war die Plaisir- & Sportkletterer*innengruppe wieder vereint. Die Aufgabe für den Vormittag war es, dass die Sportkletterer*innen (am Vorabend war jedem*r Plaisirkletterer*in ein*e Sportkletterer*in zugelost worden) die Plaisirkletterer*innen in deren Projekten coachen. Somit konnten die Sportkletterer*innen gleich das erlernte Wissen aus den vergangenen Tagen praktisch umsetzen.

Nach dem Warmmachen & -klettern wurde in Coaching-Gesprächen auf die Stärken, Schwächen und Wünsche der Plaisirkletterer*innen eingegangen und danach das passende Projekt ausgewählt.

Anschließend war Zeit, die Projekte auszubouldern, Schlüsselstellen zu besprechen und Zwischensicherungen durch das Verlängern von Expressschlingen zu optimieren.

Steile Entwicklungskurve durch strukturierte Herangehensweise

Nach einer circa halbstündigen Pause starteten die Plaisirer*innen unter großer Anfeuerung ihrer persönlichen Coaches in ihren scharfen Go. Auch wenn die Projekte noch nicht zu 100 Prozent erfolgreich abgeschlossen werden konnten, war dennoch eine steile Entwicklungskurve bei den Plaisirkletterer*innen durch die strukturierte Herangehensweise zu erkennen.

Im Anschluss an diesen anstrengenden Vormittag standen am Nachmittag die drei noch offenen Lehrübungen zu den Themen Seilverlängerung von unten, Aufstieg am Seil und behelfsmäßige Tragevorrichtung (Rucksack, Seilsitz) auf dem Tagesplan. Wie gewohnt erklärte jeweils eine*r der Teilnehmer*innen die Praktiken und anschließend war noch ausreichend Zeit für alle, sich selbst an den jeweiligen Aufbauten zu probieren.

Nach einer ereignisreichen Woche an den unterschiedlichen Felsen der Region bei strahlendem Sonnenschein ließ uns das Wetter am Samstag dann leider im Stich: Schon in der Nacht hatte es angefangen zu regnen und dieser hielt auch über den ganzen Tag an, so dass das Ausbilder*innenteam die verbleibenden theoretischen Themenpunkte kurzerhand auf die Terrasse ihres Bungalows verlegten. Dort wurden abschließend die Ein-Mann-Bergung, Seilverlängerung von oben und noch etwas Materialkunde vermittelt. Am Tagesende waren wir alle froh, dass der Balken des Terrassendachs stabil genug war und uns gehalten hat.

Abschlussabend bei Pizza und Wein

Bevor der Abschlussabend bei Pizza und Wein eingeläutet werden konnte, stand noch die ausführliche Abschlussbesprechung an, im Rahmen derer alle Teilnehmer*innen zum bestandenen B-Trainer*innenschein beglückwünscht werden konnten. Die Erleichterung und Freude war allen deutlich anzumerken und so endete eine anstrengende, aber sehr lehrreiche Spätsommerwoche zur allseitigen Zufriedenheit.

Ein großes Dankeschön an unsere Ausbilder*innen Sandra, Norbert und Malte, die stets einen perfekten Mix an Lockerheit im Umgangston und Ernsthaftigkeit in der Sache an den Tag legten!

Es soll sogar einen Teilnehmer gegeben haben, der fragte, ob man den Kurs nächstes Jahr nicht einfach noch einmal wiederholen könne.

Matthias Näger
Ausbilder künstliche Kletteranlage, Trainer C – Sportklettern und jetzt auch Trainer B – Plaisirklettern :]

Weitere Bilder

Galerie Lehrgangsbericht Finale Ligure 2022

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