Warum Nürnberger NaturFreund*innen das Klettern in Palästina fördern
Bei der Einreise wird uns dann doch etwas mulmig. Wird all das „Eisen“ Probleme machen? Immerhin 80 Kilo Bohrhaken, Bohrhakenlaschen und Kettenstände, dazu Seile, Gurte und Helme, verteilt auf das Gepäck von zehn Personen: Geht man da einfach so durch an einer israelischen Grenzkontrolle?
Ja, geht man – zumindest als Nürnberger NaturFreund*innen. Auch auf der Fahrt in einem israelischen Taxi von Tel Aviv in das palästinensische Autonomiegebiet gibt es für uns kein Grenzproblem. Eine Stunde Fahrt, dann kommen wir endlich in Nablus an.
„Marhaba“ heißt herzlich willkommen auf Arabisch. Und das Willkommen ist herzlich. Hände schütteln hier, gemeinsame Fotos da, Besuche, Empfänge, Einladungen zum Essen. Dies ist ja auch keine Sightseeingtour: Wir wollen Kletterrouten bohren. Und mit den Kletterrouten wollen wir Brücken bauen – zwischen den Menschen in Nablus und Nürnberg, zwischen Jugendlichen vor Ort und gerne auch zwischen Palästinenser* innen und Israelis. Letzteres ist aktuell aber eher unwahrscheinlich, wie wir jetzt wissen.
Eine Felswand oberhalb der Stadt
Unser Besuch in Nablus ist kein Zufall. Es gibt eine Städtefreundschaft mit Nürnberg, das verschiedene Projekte in der palästinensischen Universitätsstadt unterstützt. Als vor einem Jahr eine Nürnberger NaturFreundin nach Nablus fuhr, um nach Ansatzpunkten für gemeinsame Graswurzelprojekte zu suchen, sah die Bergsportlerin eine Felswand oberhalb der Stadt, die geradezu auf Kletternde zu warten schien.
Allerdings gibt es nur eine kleine Kletterszene und kaum Routen in Nablus. Überhaupt sind aktive Freizeitangebote rar. „Viele Kinder haben nicht genug Bewegung und kommen aufgrund der Sicherheitslage nur selten raus aus der Stadt“, erzählt uns ein Jugendleiter. „Sie lernen die heimatlichen Pflanzen und Tiere kaum noch kennen.“ Auch Reisen sind schwierig, ins Ausland fast unmöglich. Einfach von oder nach Tel Aviv fliegen – so wie wir – dürfen Palästinenser*innen nicht.
Unser Kletterroutenprojekt haben wir lange geplant: Einige unserer Trainer*innen hatten extra noch einen Bohrkurs absolviert. Kontakte wurden geknüpft, Material eingekauft, vieles kommt auch aus dem Bestand der NaturFreunde Nürnberg-Mitte. Das finanzielle Fundament des Projektes bilden jedoch Spenden, die zur Beerdigung unseres Mitglieds Hannes Schäffler gesammelt wurden. Hannes liebte das Klettern, war ein Freund der Region und lernte Arabisch. Wir werden später eine Route „Hannes Konzept“ taufen.
Dann geht es endlich los. Wir treffen uns mit Kletterer*innen aus der Nachbarstadt Ramallah, wo US-Amerikaner die Boulderhalle „Wadi Climbing“ gegründet haben. Interessierte aus Nablus kommen dazu. Technische Details für das Einrichten der Kletterrouten werden besprochen und Verabredungen für die nächsten Tage getroffen. Wir haben nur fünf Tage Zeit.
Fünf Tage Schwerstarbeit
Routenbau am Fels ist Schwerstarbeit. In der Wand hängend wird gebohrt, gedübelt und geputzt. So nennt man das Entfernen von Gräsern sowie das Abschlagen lockerer Steine. Diese Arbeiten sind wichtig für die Sicherheit der Routen, aber auch gefährlich, wenn sich Unbeteiligte ohne Helm im Gefahrenbereich aufhalten. Und davon gibt es immer mehr.
Gemeinsam mit den NaturFreunden Nürnberg-Mitte hat auch Timothy Bruns (USA) Routen gebohrt. Bruns arbeitete mit den Kletterern Benjamin Korff (AUS) und Markus Maier (D) schon seit Jahren am Aufbau einer Kletterszene in den palästinensischen Autonomiegebieten. Mittels einer Crowdfunding- Kampagne haben die drei nun auch den ersten regionalen Kletterführer finanziert: Climbing Palestine – A guide to rock climbing in the West Bank wird voraussichtlich Ende 2019 erscheinen – mit den Routen der NaturFreunde Nürnberg-Mitte. www.facebook.com/climbingpalestineguidebook
Denn unsere Arbeiten haben sich herumgesprochen. Eltern mit Kindern aus der Nachbarschaft stehen Schlange, um mit Klettergurt, Schuhen und Helm ausgerüstet zu werden und leichte Routen auszuprobieren. Wir sichern gerne. Als wir Müll um die Kletterstelle aufsammeln, werden wir bestaunt. Schließlich helfen einige mit.
Die Kinder versorgen uns mit Tee. Viele können etwas Englisch und suchen das Gespräch. Die Menschen sind freundlich, die Kinder fröhlich. Als wir nach dem israelischen Stützpunkt auf der Bergkuppe über unseren Köpfen fragen, ist die unbeschwerte Stimmung weg. Nablus ist von diesen Stützpunkten geradezu umzingelt.
Das Leben hier ist unsicher. In den Familien spielt das Thema Gefängnis eine große Rolle. Ein 25-jähriger Kletterer erzählt von seinem einjährigen Gefängnisaufenthalt, als wäre es gestern gewesen. Dabei sei er sieben Jahre zuvor vom israelischen Militär verhaftet worden. Er erzählt von Verhören, Gewalt und langer Dunkelhaft. Noch immer könne er kaum alleine sein. Nur der Sport helfe ihm, beim Klettern vergesse er alles.
Wir sammeln Eindrücke und hören zu. Unsere Weisheiten stammen aus einer anderen Welt. Dem Bürgermeister können wir die NaturFreunde als politische Freizeitorganisation vorstellen, die auch Verbot und Enteignung kennt. Wir bekräftigen unsere Hoffnung, dass das Kletterprojekt vor allem bei jungen Menschen eine nachhaltige Wirkung hat. Denn eine grundsätzliche Veränderung der Lebensumstände durch eine politische Lösung ist so schnell nicht zu erwarten. Der bereits angekündigte völkerrechtswidrige Bau von 2.000 neuen Siedlerwohnungen auf palästinensischem Boden und der Raketenbeschuss der Hamas treiben die Gewaltspirale weiter voran.
Zurück zum Fels: Am letzten Tag besucht uns eine Studentin. Die Uni Nablus überlegt, den Klettersport als neue Disziplin einzuführen. Spontan wird die Idee einer Ausbildung zum*zur Trainer*in C – Klettern durch die NaturFreunde geboren. Einer unserer Kletterer will Baupläne für eine Kletterwand schicken. Und plötzlich ist wieder die Gründung einer NaturFreunde-Gruppe im Gespräch. Auch die Kletterer aus Ramallah sind sehr interessiert.
Manfred Eiselt
NaturFreunde Nürnberg-Mitte