Die Politologin Hildegard Bedarff fordert mehr Druck auf Parteispitze und Abgeordnete
NATURFREUNDiN: Benötigt die EU besondere Handels- und Investitionsabkommen mit den USA und Kanada?
Hildegard Bedarff: Nein, es gibt bereits sehr enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den Staaten Nordamerikas.
Das „umfassende Handels- und Investitionsabkommen“ CETA zwischen der EU und Kanada soll schon im Sommer in Kraft gesetzt werden – bevor sich die Parlamente damit befassen konnten. Verträgt sich das mit unseren demokratischen Regeln?
Nein! Allerdings ist dieses Verfahren nach europäischem Recht möglich.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an CETA?
Ich sehe insbesondere drei Punkte. Erstens: Mit CETA würden die beteiligten Staaten völkerrechtliche Verpflichtungen zu einem umfassenden, praktisch unumkehrbaren Liberalisierungsprogramm eingehen, das auch für bisher geschützte Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft gelten soll. Selbst bei Bereichen, die zunächst ausgenommen werden sollen, soll eine Ausweitung staatlicher Tätigkeiten ausgeschlossen werden. Dadurch kann zum Beispiel die Rekommunalisierung privatisierter Servicebetriebe verhindert werden.
hildegardb@mail.de
Zweitens etabliert CETA eine Paralleljustiz außerhalb des deutschen und europäischen Verfassungsrechts, durch die internationale Investoren Staaten verklagen können. Mit CETA können Staaten bereits zu Schadensersatz verpflichtet werden, wenn Kommunen die Gewerbesteuern anheben oder eine Mietpreisbremse beschließen. Wichtiger noch: Internationale Investoren könnten durch ihre Klagen den notwendigen Ausstieg aus fossilen Energieträgern grundsätzlich verhindern.
Und drittens?
CETA sieht die Einrichtung von transatlantischen Gremien vor, die das Abkommen verbindlich auslegen und weiterentwickeln sollen, ohne dass immer eine parlamentarische Zustimmung eingeholt werden muss. Diese Gremien sollen auch Gesetzesinitiativen aller politischen Ebenen auf ihre Handels- und Investorenfreundlichkeit hin überprüfen, noch ehe sie in den Parlamenten selbst beraten werden.
Diese sogenannte regulatorische Kooperation, die Investorenklagen und die Liberalisierungsverpflichtungen höhlen die Demokratie aus. Wenn Parlamente und Regierungen nicht mehr über wichtige politische Fragen im Sinne des Gemeinwohls entscheiden können, verkommen Wahlen zur Farce und das verfassungsmäßig garantierte demokratische Wahlrecht der Bürger wird verletzt.
Kann die SPD mit ihrem Parteivorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel trotz heftiger Kritik durch den DGB dem Vertrag zustimmen?
Die SPD verliert ihre Glaubwürdigkeit und ihren gesellschaftlichen Rückhalt, wenn sie sich weiter für CETA einsetzt, obwohl das Abkommen von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis einschließlich des DGB und des Deutschen Richterbundes abgelehnt wird – aus guten Gründen. Die SPD, die 150 Jahre für den Abbau von Privilegien und mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gekämpft hat, schadet ihrer Identität, wenn sie sich für Sonderrechte der machtvollen, globalen Wirtschaftsakteure einsetzt. Gerade unter traditionellen SPD-Wählern befinden sich besonders viele dezidierte Gegner von CETA und TTIP.
Was können die Mitglieder der SPD und die außerparlamentarische Opposition jetzt noch tun, um die Umsetzung von CETA zu stoppen?
Möglichst viele SPD-Mitglieder sollten CETA ablehnen und dies auch von der Parteispitze und den Abgeordneten einfordern. Mit viel Beharrlichkeit muss weiter aufgeklärt werden, damit die Entscheidungsträger endlich verstehen, dass die ausgefeilte Rhetorik zugunsten des Abkommens keiner Überprüfung standhält: CETA stärkt gerade nicht die viel beschworenen gemeinsamen trans-
atlantischen Werte wie Demokratie und Menschenrechte, und formuliert keine guten Regeln für die Globalisierung. Stattdessen festigt CETA den Vorrang der Marktöffnung vor anderen Zielen wie soziale Gerechtigkeit, Fairness, Respekt von regionalen und kulturellen Besonderheiten und Nachhaltigkeit.
Interview Eckart Kuhlwein