Michael Braungart entwickelte das Cradle-to-cradle-Konzept zusammen mit William McDonough. Braungart ist Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts.
Herr Professor, warum sind Verpackungen, warum ist Plastik schlecht?
Prof. Michael Braungart: Es gibt eine Reihe von hochproblematischen Stoffen, vor allem die chlorierten Plasten gehören dazu, weil sie Recycling praktisch unmöglich machen und die Umwelt vergiften. Zudem ist es die Menge, die zum Problem wurde: 1980 wurden weltweit 48 Millionen Tonnen Plastik hergestellt. Heute sind es zehnmal so viel.
Warum gibt es eigentlich so viele verschiedene Plastikarten?
Das hat zwei Gründe: Erstens suchen die Hersteller immer nach dem billigsten Plastik für ihre Anwendung. Eine Waschmaschine enthält zum Beispiel 150 verschiedene Plastiksorten. Praktisch käme sie aber auch mit fünf Sorten aus. Aber dann wäre das Gerät teurer.
Zweitens spielen patentrechtliche Gründe eine Rolle. Firmen wie BP, Exxon oder Evonik: Jeder will seinen eigenen Plastikrohstoff auf den Markt bringen. Allein für Polypropylen – angewendet etwa als Joghurtbecher, Strohhalm oder in Teppichen – gibt es weltweit 900 verschiedene Additive.
Die Welt wäre besser mit nur vier, fünf verschiedenen Plastikarten?
Besser würde ich nicht sagen: Sie wäre immerhin weniger schlecht! Wenn wir schon Plastik einsetzen, müssen wir sicherstellen, dass es wieder genutzt wird. Man könnte beispielsweise alle Verpackungen aus drei Kunststoffen machen, und zwar aus reinen Kunststoffen. Nylon zum Beispiel ist ein Plastik, das sich sehr gut in die ursprünglichen chemischen Substanzen zurückverwandelt lässt und dann erneut polymerisiert werden kann.
Allerdings ist ein solches Recycling nur machbar, wenn das Nylon tatsächlich rein ist: Schon wenn diesem Rohstoff Pigmente etwa zur Farbgebung beigemischt werden, verliert Nylon die guten Eigenschaften. Eines der umweltschädlichsten Pigmente ist beispielsweise das kupferchlorhaltige Grünpigment, was etwa bei Jever, Becks oder Heineken zum Einsatz kommt: Wer solche Stoffe im Verpackungsmüll hat, kann damit nichts Vernünftiges mehr anfangen.
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Sie haben ein Pfandsystem vorgeschlagen. Wie soll das funktionieren?
Wir müssen zunächst verhindern, dass finanziell benachteiligte Menschen die Zeche bezahlen. Deshalb schlage ich vor, dass alle Kunden eine Pfandkarte bekommen, auf die 30 Euro Pfand gebucht sind. Damit könnten sie etwa 150 verschiedene Gegenstände einkaufen, dann wäre das Pfand aufgebraucht. Aber sie würden die Verpackungen ja wieder zurückzubringen. Plastikflaschen aus PET lassen sich sechs-, siebenmal recyceln für denselben Zweck, und zwar in Lebensmittelqualität. Das gilt auch für Polypropylen, aus dem beispielsweise der Deckel der Tic-Tac-Verpackung gemacht ist. Wichtig ist, diese Verpackungen sortenrein zu haben.
Die Deutschen sammeln ihren Müll nicht richtig?
Das Problem sind die Hersteller! Dosen aus Metall werden mit Plastik beschichtet und so unrecycelbar. Papiertaschentücher verrotten jahrelang nicht, weil ihnen ein Kunststoff als Bindemittel beigemischt wurde. Ein einziger Joghurtbecher kann bis zu 600 verschiedene Chemikalien enthalten, weil er möglichst leicht und billig sein soll: Antioxidantien, Hitze- Kälte-Stabilisatoren, Füllstoffe. Ein großes Problem ist PVC, das immer noch zwei Prozent des Plastiks von Verpackungen ausmacht. Weil es genau die gleiche Dichte wie PET hat, lassen sich beide Materialien nicht gut trennen. Also kann man sie auch nicht recyceln.
Warum passiert nichts?
Die Politik war in den letzten 25 Jahren mit anderen Dingen beschäftigt. Und dann gab es ja den Grünen Punkt, der suggerierte, dass wir das Problem im Griff haben. Aber seit seiner Einführung in den 90er-Jahren ist kein einziger giftiger Klebstoff, kein einziges giftiges Pigment vom Markt verschwunden.
Jetzt kommt das Plastikthema langsam zurück. Jüngst gab es eine Studie, die Mikroplastik in menschlichen Ausscheidungen nachgewiesen hat.
Was ich ein bisschen lächerlich fand: Wenn wir Mikroplastik in der Zahnpasta haben, wenn wir Mikroplastik über Cremes – wo sie absichtlich hineingegeben werden – oder über unsere Nahrung aufnehmen, dann ist es doch logisch, dass wir sie auch wieder ausscheiden müssen. Wenn ein Baby einen Knopf verschluckt, kommt der schließlich auch irgendwann wieder hinten raus. Die entscheidende Frage ist doch: Was bewirkt jenes Mikroplastik, das nicht ausgeschieden wird und sich im Körper anreichert?
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Ist das Mikroplastik-Problem genügend erforscht?
Ich finde, das ist die falsche Frage. Gemeinsam mit Kollegen habe ich 1984 die Wirkung von Weichmachern aus Waschmitteln erforscht. Das Ergebnis war damals: Weichmacher wie Phthalate machen unfruchtbar und führen zu Erkrankungen der Schilddrüse. Darauf hieß es aus der Fachwelt: Ok, das müssen wir jetzt mal erforschen.
30 Jahre nach unseren Erkenntnissen zu den Weichmachern hat sich die Fruchtbarkeit der jungen Männer halbiert, 20 Prozent der jungen Frauen haben Schilddrüsenerkrankungen. Aber immerhin gibt es jetzt Studien, die belegen, dass die Weichmacher tatsächlich auch Meerschweinchen unfruchtbar machen. Wer sagt, wir müssten erst mal genau erforschen, wie Mikroplastik in unserem Körper wirkt, der will, dass sich nichts ändert.
Der Gesetzgeber schützt uns zu wenig?
Das sollte wie bei der sexuellen Selbstbestimmung sein: So wie wir ein Recht darauf besitzen, sexuell nicht belästigt zu werden, so haben wir auch ein Recht darauf, dass wir nicht von Mikroplastik belästigt werden, dass wir das Zeug nicht aus der Umwelt, nicht über unsere Nahrung in unsere Körper aufnehmen müssen.
Was müsste passieren, damit wir – um in Ihrem Bild zu bleiben – vor der mikroplasteriellen Belästigung geschützt werden?
Zuerst einmal müssten PVC und die Giftstoffe in allen Verpackungen verboten werden. Zweitens: Man müsste auf die Verpackungen drauf schreiben, was drin ist – und nicht, was nicht drin ist. Drittens müsste man die Erzeuger der Plasten in die Verantwortung nehmen, ihr Zeug auch tatsächlich selbst zu entsorgen. Viertens ist wichtig, dass immer mehr Verpackungen zum Einsatz kommen, die biologisch abbaubar sind. Und wir brauchen fünftens einen anderen Umgang mit dem Thema.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Windeln: 20 Prozent des Hausmülls sind hierzulande Babywindeln. Ein Baby braucht im Durchschnitt 5.000 Windeln zum Heranwachsen. Das Abfallproblem schieben die Hersteller aber auf die Kommunen ab, die sich um die Entsorgung kümmern müssen. Die Hersteller verdienen hervorragend am etablierten System, es zahlt die Allgemeinheit.
Gäbe es in jedem Supermarkt ein Rückführsystem, würden die Händler sicherlich ganz anders mit dem Thema umgehen! Warum nicht eine Hightechbabyverpackung konstruieren, die man zum Beginn seines Einkaufs abgibt und danach superrein gewaschen zurückbekommt. Natürlich dürfte so eine Babyverpackung nicht aus Baumwolle sein, es müssten temperaturbeständige Mikrofasern zum Einsatz kommen und jede dieser Hightechwindeln mit einem Code personalisiert werden. Aber auf diese Weise könnte ein Baby mit etwa 25 Windeln aufwachsen.
Das gibt einen Aufschrei!
Warum? Wir haben bei Untersuchungen in Israel die Wasserspeicher der Windel geändert: von Polyacrylaten auf Zellulose. Die Plastikfasern sind problematisch für die Umwelt, die Zellulose ist natürlich. Nach der Nutzung könnte dieser neue Windelspeicher in der Wüste ausgebracht werden; wir könnten Bäume darauf pflanzen. Ein Baby würde derart kohlenstoffpositiv! Wir müssen neu denken: Alle Dinge, die in die Biosphäre zurückgelangen können, müssen natürlich sein.
Wenn Sie für einen Tag König in Deutschland wären: Was würden Sie zuerst tun?
Als Erstes würde ich Pfand auf alle Verpackungen einführen. Zweitens würde ich eine Liste mit problematischen Kunststoffen erstellen – und diese per Gesetz verbieten. Drittens schließlich würde ich das Augenmerk viel stärker auf das Mikroplastikproblem legen: Allein durch den Abrieb unserer Kunststoffschuhsolen produziert jede*r Deutsche statistisch betrachtet 107 Gramm dieser Kleinstpartikel pro Kopf und Jahr. Beim Abrieb der Autoreifen sind es sogar 1,3 Kilogramm! Für mich ist Donald Trump der ehrlichere Lügner. Während der sagt, was er denkt, wurde hierzulande noch vor drei Jahren ganz legal Plastikmüll in Bergwerke verbracht – deklariert als „Wertstoff“. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit bei diesem Problem!
Interview: Nick Reimer