Die Schwierigkeit sich klimafreundlich zu verhalten

Interview mit der Soziologin Anita Engels

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Prof. Dr. Anita Engels ist Soziologin an der Universität
Hamburg und Sprecherin des dortigen
Exzellenzclusters zur Klimaforschung.
anita.engels@wiso.uni-hamburg.de

NATURFREUNDiN: Im Herbst demonstrierten Hunderttausende gegen TTIP. Warum bringt der Klimawandel nicht annähernd so viele auf die Straße?

Prof. Anita Engels: Die Freihandelsabkommen waren in einer sehr aktuellen Phase. Deshalb hatten viele Menschen den Eindruck, dass sie mit einer machtvollen Demonstration sehr viel erreichen können. Anders ist es beim Klimawandel. Der begleitet uns als Thema jetzt schon seit vielen Jahrzehnten. Für Laien ist es da schwierig zu erkennen, an welchem Punkt in diesem langen Verhandlungsprozess Demonstrationen überhaupt noch ein Zeichen setzen können.

Ihren Studien zufolge ist der Klimawandel für 65 Prozent der Deutschen ein ernstes Problem. Engagieren sich diese Menschen auch?

Viele Menschen engagieren sich. Aber es ist schwierig, sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen ganztägig klimafreundlich zu verhalten. Zu viele ganz normale Alltagsaktivitäten gehen mit dem Ausstoß von Treibhausgasen einher. Außerdem führt der Wunsch, dass der Klimawandel begrenzt werden soll, bei vielen nicht gleich zu einem politischen Engagement.

Über Ursachen und Folgen des Klimawandels wissen wir heute so viel wie nie. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen Wissen und Handeln?

Das ist ganz normal. Vieles an unserem Handeln passiert wider besseren Wissens. Das kann man jeden Tag bei sich selbst erleben. Rad fahren zum Beispiel macht bei gutem Wetter mehr Spaß als bei Regen. Auch wechseln die Menschen inzwischen häufiger ihren Stromanbieter. Einfaches klimafreundliches Handeln findet also schon statt. Aber grundsätzlich haben wir noch nicht den Infrastrukturwandel vollzogen, der für einen wirklich konsequenten Klimaschutz notwendig ist.

Viele Deutsche glauben nicht, dass die Erderwärmung direkte Auswirkungen auf ihr Leben hat. Engagieren sich Menschen eher, wenn sie schon direkt betroffen waren?

Man kann tatsächlich beobachten, dass sich in den Weltregionen, die bereits stärker unter den Auswirkungen leiden, Menschen stärker engagieren. Auch in Deutschland steigt die Aufmerksamkeit für das Thema, wenn zum Beispiel Starkregenereignisse stattfinden oder wenn wir sehr heiße Sommer erleben. Das merkt man auch bei Berufsgruppen, die direkt vom Klimawandel betroffen sind, zum Beispiel bei den Winzern.

Fehlt es möglicherweise an konkreten Gegnern im Kampf gegen den Klimawandel?

Nun, die Gegner sind wir ja letztlich alle selbst. Wenn wir zum Beispiel unsere Mobilitätsbedürfnisse mit einem konventionellen Verbrennungsmotor befriedigen. Ein dauernder Kampf gegen sich selbst ist aber eben nicht besonders motivierend.

Warum kommt unsere Gesellschaft beim Klimaschutz nicht wirklich voran?

Der Klimaschutz erfordert sehr tief greifende gesellschaftliche Transformationen, die noch viele Jahrzehnte dauern werden. Das wirkt oft sehr mühsam und langwierig.

Rechnen Sie mit einer neuen politischen Kraft, die zukünftig das Thema Klimaschutz besetzen wird?

Eigentlich haben alle etablierten politischen Kräfte in Deutschland das Thema längst aufgegriffen. Ich befürchte eher, dass der aufkommende Populismus auch eine Abkehr vom Klimaschutz fördert. Populismus arbeitet stark mit Vereinfachungen, setzt sich über wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg und ist aus Prinzip gegen eine Politik, die gesellschaftliche Transformationen fördert.

Kann der Klimawandel im Kapitalismus überhaupt gestoppt werden?

Das ist die Königsfrage. Und ich kann sie leider nicht beantworten. Aber noch habe ich Hoffnung.

Das Interview führte Clara Isakowitsch.
Es ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 4-2016.